Oft erst spät erkannt: Altersdepressionen
27. Juli 2025
Es überrascht vielleicht, dass auch bei der psychischen Gesundheit ein Graben zwischen den Generationen klaffen soll. Oft bekommen Menschen eines bestimmten Alters von Jüngeren zu hören: "Wir - die Jüngeren - haben mehr Ahnung von psychischer Gesundheit als ihr". Als könnte das Bewusstsein allein eine Depression heilen. Aber tatsächlich könnte etwas Wahres dran sein.
"Die Einstellung verändert sich bei jüngeren Menschen, aber auch bei älteren. Doch gerade bei älteren Menschen sind psychische Erkrankungen noch stark stigmatisiert", sagt Pascal Schlechter von der Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Münster. "Für einige Menschen ist es ein großer Schritt, zuzugeben, dass sie psychische Probleme haben und darüber sprechen wollen."
Allerdings fehlt es nicht nur älteren Patienten an dem Bewusstsein oder der Bereitschaft, über Depressionen zu sprechen. Möglicherweise sind es auch die Ärzte, die psychische Probleme mit körperlichen Erkrankungen, die im Alter häufiger werden, verwechseln.
"Wenn Ihnen ein 30-Jähriger erzählt, dass er nicht mehr ausgeht und soziale Kontakte meidet, würden Sie fragen: 'Wie geht es Ihnen psychisch? Fühlen Sie sich depressiv?'", meint Schlechter. "Bei älteren Menschen sagen Sie dagegen vielleicht 'Sie sind erschöpft, das gehört zum Altern dazu'."
Haben ältere Menschen andere Symptome?
Der Graben zwischen den Generationen schließt sich, wenn es um die Symptome einer Depression geht. Ob jüngere oder ältere Patienten, die Symptome unterscheiden sich wenig bis gar nicht. Während seiner Zeit an der Universität von Cambridge in Großbritannien veröffentlichte Schlechter gemeinsam mit anderen eine Studie über die Entwicklung depressiver Symptome bei älteren Erwachsenen. Diese stützte sich auf die Ergebnisse einer Längsschnittstudie, für die mehr als 11.000 Personen über einen Zeitraum von 16 Jahren beobachtet wurden.
Schlechter und seine Kollegen stellten bei älteren Erwachsenen die gleichen Symptome fest wie bei jüngeren: Die Patienten gaben an, dass sie sich deprimiert fühlten oder ihnen alles zu anstrengend sei, dass sie sich nicht motivieren könnten, dass sie unruhig schliefen oder sich einsam fühlten. Sie stellten jedoch auch fest, dass sich Depressionen bei älteren Erwachsenen häufig mit mehr "körperlichen Symptomen" bemerkbar machen, als bei jüngeren.
"Medizinische oder somatische Symptome können Teil einer Depression sein, ältere Patienten erklären diese Symptome jedoch häufig mit dem Alterungsprozess. Das kann zu einer verzögerten Diagnose und damit zu einer chronischeren Depression führen", erläutert Schlechter im Gespräch mit der DW.
Das also ist der Unterschied: Ob es am mangelnden Bewusstsein der Patienten und Ärzte liegt oder am Stigma, für ältere Menschen kann eine Depression schlimmer sein.
Das kann daran liegen, dass die Depression mit körperlichen - somatischen - Beschwerden einhergeht oder zumindest teilweise von diesen ausgelöst wird, oder dass die Symptome einer Depression zu einem früheren Zeitpunkt nicht behandelt wurden, möglicherweise auch damals schon wegen des fehlenden Bewusstseins oder Stigmas.
Mit Depressionen und Angstzuständen verhält es sich jedoch wie mit anderen Erkrankungen auch: je früher sie diagnostiziert werden, desto besser sind die Chancen auf eine Heilung.
Verschiedene soziale Faktoren tragen ebenfalls zu Depressionen bei. In unseren späteren Lebensphasen sind wir oft gezwungen, uns damit abzufinden, dass sich unser sozialer Status und unsere Identität, die durch die Erwerbsarbeit oder andere Aktivitäten innerhalb der Gemeinschaft geprägt wurden, verändern. Menschen um uns herum sterben. Möglicherweise sind wir sogar Missbrauch durch die Personen ausgesetzt, die uns pflegen, wie die Weltgesundheitsorganisation in Informationen zu Depressionen hervorhebt.
All das kann dazu beitragen, dass aus einer milden, latenten Depression eine schwere, chronische Depression wird.
Verschiedene Behandlungsoptionen
Spricht man mit Fachleuten, bekommt man den Eindruck, dass Ärzte und Ärztinnen bei älteren Patienten lieber körperliche Gebrechen behandeln als psychische. Gleichgültig, wie alt eine Person ist, eine Depression ist immer schwierig zu behandeln. Doch wenn ältere Erwachsene mit körperlichen und seelischen Problemen vorstellig werden, ist es noch schwieriger.
"Egal, ob in den ärmeren oder reicheren Gesundheitssystemen in Europa, eines der wichtigsten Instrumente, das uns bei der Behandlung von Depressionen zur Verfügung steht, sind Medikamente", sagt Albino Oliveira-Maia, Leiter der Neuropsychiatrischen Abteilung der Champalimaud Foundation in Lissabon, Portugal.
"Bei der Behandlung älterer Erwachsener mit Medikamenten ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass diese mit anderen Medikamenten interagieren und es zu Nebenwirkungen kommt", erläutert Oliveira-Maia im Gespräch mit der DW. "Ärzte schenken der körperlichen Gesundheit daher möglicherweise mehr Aufmerksamkeit als der psychischen."
Doch die Behandlung von Depressionen ist nicht auf Medikamente beschränkt. Es steht eine ganze Reihe psychotherapeutischer Behandlungsoptionen wie die kognitive Verhaltenstherapie zur Verfügung, zwischen denen je nach Situation des Patienten oder der Patientin gewählt werden kann.
Von der Forschung ignoriert
Depressionen gehen häufig mit Selbstmordgedanken einher. Das betrifft junge Menschen ebenso wie alte, Frauen ebenso wie Männer. Ältere Menschen, die Selbstmordgedanken hegen oder suizidales Verhalten zeigen, werden jedoch oft von Studien ausgeschlossen. Forschenden fehlt es also an relevantem Wissen und Erkenntnissen.
"Natürlich gibt es ethische Bedenken", sagt Oliveira-Maia. "Die Teilnahme an einem Forschungsprogramm ist ein Akt der Großzügigkeit, also müssen wir die Teilnehmenden schützen. Aber das hat manchmal Konsequenzen, die bei einigen der bedürftigsten Patienten zu langsameren Fortschritten führen."
Menschen über 65 werden manchmal auch von Studien ausgeschlossen, wenn sie Vorerkrankungen wie Gefäßläsionen im Gehirn haben, erläutert Oliveira-Maia weiter. Das ist wissenschaftlich sinnvoll, auch wenn es sich hart anhört: Sterben Teilnehmende oder verschlechtert sich ihr Zustand während des Studienzeitraums, ist es schwer für andere Forschende, die Ergebnisse zu replizieren. Insbesondere bei der Entwicklung neuer Medikamente ist dies ein standardmäßiges Vorgehen, das die Forschung sicherer machen soll.
Gefahr der Selbstdiagnosen
Sowohl Schlechter als auch Oliveira-Maia haben Vorbehalte, was Aufklärungskampagnen betrifft. Insbesondere Selbstdiagnosen sehen sie kritisch, denn während jüngere Personen möglicherweise dazu neigen, psychische Probleme bei sich selbst festzustellen, auch wenn sie keine haben, ignorieren ältere Menschen eher alle Symptome.
"Bei den jüngeren Generationen ist das Bewusstsein aufgrund der sozialen Medien größer. Es gibt gute Kampagnen, die gute Informationen vermitteln", meint Schlechter. "Aber es gibt auch viel falsche Informationen."
Ob alt oder jung, Oliveira-Maia sorgt sich, dass die Menschen sich selbst falsche Diagnosen ausstellen. "Die Kampagnen haben ihren Wert, aber es gibt auch Daten, die nahelegen, dass sie zu Fehldiagnosen führen, weil gesunde Menschen normale Symptome der Traurigkeit oder Angst als psychische Probleme interpretieren."
Wie mit jeder Krankheit und jedem Symptom ist es immer wichtig, mit einer medizinischen Fachkraft zu sprechen, der man vertraut.
Häufig werden Altersdepressionen nicht erkannt, weil ihre Symptome für Zeichen des Alterungsprozesses gehalten werden.
Sollten Sie selbst Selbstmordgedanken hegen oder in einer emotionalen Notlage stecken, zögern Sie nicht, Hilfe zu suchen. Wo es Hilfe in Ihrem Land gibt, finden Sie unter der Website https://www.befrienders.org/. In Deutschland hilft Ihnen die Telefonseelsorge unter den kostenfreien Nummern 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222.
Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.