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Politik

Gesundheitsämter: Mit Papier, Stift und Fax gegen Corona

26. Januar 2021

Ende 2020 sollten die Gesundheitsämter in Deutschland eigentlich digitalisiert sein. Doch statt Daten in Echtzeit zu verarbeiten, bekämpft die Mehrzahl der Ämter die Corona-Pandemie weiterhin analog.

Symbolbild I  Digitalisierung von Gesundheitsämtern
Bild: Britta Pedersen/dpa/picture alliance

Ob Ebola, Affenpocken, Lassafieber oder Meningokokken: Schon seit Jahren werden Seuchen in Nigeria und in Ghana mit einer deutschen Software bekämpft: "Surveillance Outbreak Response Management and Analysis System", abgekürzt SORMAS, heißt das vernetzte System zur Kontaktnachverfolgung und Erfassung von Infektionsherden, das Epidemiologen des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig entwickelten, als 2014 in Westafrika Ebola wütete.

Alle Informationen an einem Ort und für alle verfügbarBild: Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung

Inzwischen ist das System, das weitgehend automatisiert arbeitet, so modifiziert und ausgereift, dass damit 37 Infektionskrankheiten bekämpft werden können. Darunter auch Covid-19. Die Schweiz und Frankreich, aber auch Fidschi setzen SORMAS zur Corona-Bekämpfung ein; Burkina Faso, die Elfenbeinküste, Nepal und Afghanistan bereiten den Einsatz vor.

Deutsche Gesundheitsämter winken ab

Für den deutschen Gesundheitsdienst haben die Experten des Helmholtz-Instituts die Software bereits im Mai 2020 spezialisiert und angepasst. Doch das Programm zur Kontaktnachverfolgung und Unterbrechung von Infektionsketten ist im Land der Erfinder alles andere als ein Erfolgsmodell. Es wurde bislang nur in 132 von knapp 400 kommunalen Gesundheitsämtern installiert.

Wenn neue Software eingeführt wird, müssen die Mitarbeiter geschult werden. Das kostet ZeitBild: Britta Pedersen/dpa/picture alliance

Viel Zeit und Arbeitskraft geht in den Gesundheitsämtern verloren, weil die meisten im digitalen Zeitalter immer noch mit handgeschriebenen Listen und ausgedruckten Excel-Tabellen arbeiten. Daten werden auf Papier per Fax übermittelt und anschließend händisch in den Computer eingetippt. In keinem anderen Bereich werde noch soviel gefaxt wie im Gesundheitswesen, beliebte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn in den Anfängen seiner Amtszeit zu spotten. Inzwischen ist er nicht mehr zu Scherzen aufgelegt.

Auch das Meldewesen funktioniert noch nicht digital

50 Millionen Euro hat Spahn 2020 kurzfristig für die Digitalisierung der Gesundheitsämter bereitgestellt. Zudem könnten sie, wenn sie wollten, kostenlos auf SORMAS zugreifen. Anordnen kann der Minister das aber nicht. "Die Verantwortung für die Ausstattung der Gesundheitsämter und damit die Entscheidung über den Einsatz digitaler Hilfsmittel obliegt den Bundesländern und den Gesundheitsämtern selbst", teilt eine Sprecherin des Ministeriums mit.

Spahn zieht Corona-Bilanz

12:30

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Anders sieht das bei der digitalen Anbindung und damit Vernetzung von Ärzten, Krankenhäusern und Laboren mit den Gesundheitsämtern und dem Robert-Koch-Institut (RKI, die zentrale Gesundheitsbehörde der Bundesregierung) aus. Dort läuft die Umstellung auf DEMIS, das Deutsche Elektronische Melde- und Informationssystem für den Infektionsschutz, auf Hochtouren. Minister Spahn hat angeordnet, dass meldepflichtige Krankheitsbefunde und Daten nur noch auf elektronischem Weg übermittelt werden dürfen. Das Fax habe ausgedient, so der Minister.

Widersprüchliche Infektionszahlen

Doch ganz so einfach ist das natürlich nicht. Zwar sind inzwischen 97 Prozent der Gesundheitsämter mit DEMIS ausgestattet. Aber nur mit einer abgespeckten Version, die sich zudem noch in der Testphase befindet. Außerdem ist das RKI noch nicht vollständig eingebunden. Nur ein Teil der Labore kann Corona-Testergebnisse elektronisch an alle Beteiligten übermitteln. Die meisten Daten landen elektronisch und weiterhin auch per Fax bei den Gesundheitsämtern und müssen von dort ans Robert-Koch-Institut weitergeleitet werden. Dafür schreibt das RKI allerdings eine eigene Software vor: SURVNET. 

Lagezentrum im Berliner Gesundheitsamt MitteBild: picture-alliance/dpa/Zentralbild/B. Pedersen

In den letzten Wochen sind tausende Meldungen liegengeblieben, weil die Gesundheitsämter fast ausschließlich mit der Kontaktnachverfolgung beschäftigt waren und wenig Zeit blieb, um die Infektionszahlen zu SURVNET zu transferieren. Um das Chaos perfekt zu machen: Die Gesundheitsämter versorgen nicht nur das RKI mit den Infektionszahlen, sondern auch die Verwaltungen auf Kreis- und Länderebene. Allerdings schicken sie die Daten dann teilweise auch per E-Mail. So kommt es immer wieder, dass das RKI in seinem täglichen Lagebericht andere Infektionszahlen ausweist als die Verwaltungen der Städte, Gemeinden oder Bundesländer.  

Rückständigkeit hat Konsequenzen

Auch die Bundesregierung kämpft mit dem unzuverlässigen Meldewesen. Weil die Gesundheitsämter am Wochenende geschlossen haben, ist die Datenlage montags grundsätzlich unvollständig. Die Schließung zwischen Weihnachten und Neujahr hat extreme Folgen. Als die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten Anfang des Jahres über die Verlängerung des Lockdowns berieten, mussten sie offen einräumen, dass es keine verlässliche Datengrundlage zum Infektionsgeschehen in Deutschland gebe. Frühestens Mitte Januar, so die Kanzlerin, würden die aufgestauten Meldungen abgearbeitet sein. Doch selbst jetzt haben manche Gesundheitsämter den Rückstau noch nicht abgearbeitet.

Im Lockdown wird derzeit kontrovers darüber diskutiert, wie weit die Infektionszahlen sinken müssen, um Geschäfte, Restaurants und Theater wieder öffnen zu können. Die immer wieder genannte Obergrenze liegt bei 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen. Eine Zahl, die nicht wissenschaftlich begründet ist, sondern sich an der "mittleren Leistungsfähigkeit eines Gesundheitsamtes" orientiert, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel erst kürzlich wieder bestätigte.

Der Unmut der Kanzlerin wächst

Diese Leistungsfähigkeit könnte bei entsprechender digitaler Ausrüstung durchaus erhöht werden. Im November warb die Bundeskanzlerin daher bei den Ministerpräsidenten der Bundesländer dafür, mit SORMAS so schnell wie möglich ein bundesweites, gemeinsames Kontaktverfolgungssystem einzusetzen. Man einigte sich auf die Zielmarke Anfang Januar 2021. Doch daraus wurde nichts, auch weil einzelne Länder bereits eigene Wege eingeschlagen haben.

Bundeskanzlerin Angela Merkel am 25. November mit den Ministerpräsidenten von Berlin und NRWBild: Guido Bergmann/BPA/REUTERS

Rheinland-Pfalz beispielsweise hat die Software MIKADO gekauft, die ein in Kaiserslautern, also im eigenen Bundesland ansässiges Unternehmen entwickelt hat. Kompatibel mit SORMAS ist sie nicht. Die flächendeckende Installation einer bundeseinheitlichen Software sei "leider nicht gelungen", weil einige Länder "andere gleichwertige Systeme" bevorzugten, musste Angela Merkel vor ein paar Tagen einräumen.

Appellieren und bitten

Zwar hätten inzwischen alle Länder versprochen, SORMAS bis Ende Februar zu installieren. Das heißt aber nicht, dass damit dann auch umgehend gearbeitet würde. "Wir können jetzt nicht mitten in der größten Anspannung, die die Gesundheitsämter erleben, von MIKADO in Rheinland-Pfalz auf den Gebrauch von SORMAS in dem gewünschten Format umstellen", so Merkel, die vorhat, "mit den Gesundheitsämtern im Gespräch" zu bleiben und ihnen die Vorzüge eines einheitlichen digitalen Systems immer wieder vor Augen zu führen.

Bild: Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung

Mit anderen Worten: Es wird wohl noch länger dauern, bis Deutschland die Corona-Pandemie so digital bekämpfen kann, wie Nigeria es 2017 mit drei gleichzeitig ausgebrochenen Seuchen vorgemacht hat.

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