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PolitikEuropa

Getrübte Freude in Deutschland nach Frankreich-Wahl

8. Juli 2024

Eine Regierung in Paris unter Führung der rechtsnationalen Le-Pen-Partei wird es nicht geben. Trotzdem sorgt man sich in Berlin um den französischen Partner.

Noch-Ministerpräsident Gabriel Attal und Präsident Emmanuel Macron stehen mit ernster Miene nebeneinander
Lange Gesichter bei Noch-Ministerpräsident Gabriel Attal und Präsident Emmanuel MacronBild: Ludovic Marin/AP/picture alliance

Im Berliner Regierungsviertel war ein Stoßseufzer zu hören: Es überwiege "eine gewisse Erleichterung, dass Dinge, die befürchtet worden sind, nicht eingetreten sind", sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit vorsichtig. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte große Sorge vor einer Regierung des rechten Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen geäußert. Die bleibt der Bundesregierung in Berlin jetzt erspart.

Nach dem zweiten Durchgang der Wahl zur französischen Nationalversammlung wurde das Linksbündnis "Neue Volksfront" überraschend stärkste Kraft, gefolgt von den Zentristen von Staatspräsident Emmanuel Macron. Erst an dritter Stelle kommt der RN, der in der ersten Wahlrunde noch mit Abstand stärkste Kraft geworden war.

"Vielen ist ein Stein vom Herzen gefallen, mir auch", sagte Kevin Kühnert, der Generalsekretär der Kanzler-Partei SPD, im Zweiten Deutschen Fernsehen. Ricarda Lang, Co-Chefin der an der Berliner Koalition beteiligten Grünen, twitterte "Merci France", dazu drei Herzchen in den französischen Nationalfarben blau, weiß und rot.

Mélenchon ein "Antideutscher durch und durch"

Doch so rechte Freude will in Berlin nicht aufkommen. Die größte Sorge gilt einem möglichen französischen Ministerpräsidenten Jean-Luc Mélenchon. Der Gründer der größten Partei des Linksbündnisses, Unbeugsames Frankreich, hat bereits Anspruch auf die Führung der neuen Regierung angemeldet.

Der linke Heißsporn Jean-Luc Mélenchon (am Rednerpult) hat für die EU und Deutschland wenig übrig Bild: Thomas Padilla/AP Photo/picture alliance

Michael Roth (SPD), der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, warnte im Berliner "Tagesspiegel": "Mélenchon ist ein Antideutscher durch und durch. Er unterscheidet sich in seinen antideutschen und antieuropäischen Tiraden nicht substanziell von Frau Le Pen."

Das Linksbündnis würde allerdings in jedem Fall einen Koalitionspartner brauchen, weil sie keine absolute Mehrheit hat.

Droht eine neue europäische Staatsschuldenkrise?

Dazu kommen in Deutschland Ängste vor einer Abkehr von Macrons Bemühungen um Haushaltskonsolidierung. Wie der Rassemblement National will auch das Linksbündnis die Rentenreform Macrons rückgängig machen. Das allein würde die Staatsausgaben schon deutlich erhöhen.

"Frankreich steht aber bereits finanziell mit dem Rücken zur Wand, hat eine extrem hohe Staatsverschuldung", sagte Ronja Kempin, Frankreich-Expertin von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, der DW schon vor der Wahl. Es könne eine neue europäische Staatsschuldenkrise wie vor 15 Jahren drohen. Das wäre dann auch ein Problem für Deutschland, weil Deutschland für andere Euro-Länder mithaftet.

Polarisiertes Land: In der Wahlnacht gab es gewaltsame Zusammenstöße zwischen linksextremen Gruppen und der PolizeiBild: Artur Widak/Anadolu/picture alliance

Das Linksbündnis hatte für den Fall einer Regierungsübernahme eine ganze Reihe kostenträchtiger Maßnahmen angekündigt: neben einer Rücknahme der Rentenreform beispielsweise das Einfrieren der Preise für Energie und Nahrungsmittel, eine Wohngelderhöhung und eine Ausdehnung des öffentlichen Dienstes. Nach ihren eigenen Angaben sollte das in den ersten beiden Jahren insgesamt 125 Milliarden Euro kosten. Dabei ist das französische Haushaltsdefizit schon jetzt nicht EU-konform.

Von dem bekennenden EU-Gegner Mélenchon wäre wohl keine Einsicht in die EU-Defizitregeln zu erwarten, auch weil er weiß, dass Frankreich als zweitgrößte Volkswirtschaft der EU too big to fail ist – das Land ist einfach zu wichtig, als dass man es fallenlassen könnte. Dann wäre vor allem Deutschland als stärkste Volkswirtschaft der EU gefragt, mit Garantien einzuspringen. Für die Bundesregierung wäre das politisch und finanziell heikel. Sie selbst hat größte Probleme, einen verfassungsgemäßen Haushalt aufzustellen.

Statt Klarheit in Frankreich nur "sehr dichter Nebel"

Doch schon die absehbaren Schwierigkeiten der Regierungsbildung in Frankreich sind auch für Deutschland ein Problem, weil sie zu Unsicherheit führen. Macron hatte die vorgezogene Parlamentswahl nach dem schlechten Abschneiden seines Regierungslagers und dem Erfolg des RN bei der Europawahl einberufen, um "Klarheit" zu schaffen. Das Gegenteil ist eingetreten, meint Gael Sliman vom französischen Umfrageinstitut Odoxa: "Nun befinden wir uns in totaler Unklarheit - in einem sehr dichten Nebel."

Emmanuel Macron und Olaf Scholz im Mai in Deutschland: Die deutsch-französische Beziehung wird in Zukunft schwierigerBild: Filip Singer/EPA

Die drei großen Lager in der Nationalversammlung könnten sich gegenseitig blockieren und das extrem polarisierte Land in eine politische Krise stürzen. Das links-grüne Bündnis ist mit dem Macron-Lager verfeindet und auch intern zerstritten. Mélenchon ist bei den anderen beteiligten Parteien unerwünscht. Auf einen gemeinsamen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten konnte man sich nicht einigen.

Jede Koalitionsregierung zwischen der in Teilen weit links stehenden Volksfront und dem liberalen Macron-Lager müsste kaum vereinbare Positionen miteinander verbinden. Dazu kommt der Gegensatz zu Präsident Macron selbst, der im Amt bleibt. Eine ambitionierte deutsch-französische Europapolitik fällt damit praktisch aus.

Berliner Alptraum-Präsidentschaftswahl 2027

Die Berliner Politiker dürften aber auch schon an die französische Präsidentschaftswahl 2027 denken, wenn Macron nach zwei Amtsperioden nicht mehr antreten kann. Marine Le Pen betonte nach der Parlamentswahl, der Sieg ihrer Partei sei "nur aufgeschoben".

Sie peilt jetzt die Präsidentschaft 2027 an: Marine Le Pen vom Rassemblement NationalBild: Louise Delmotte/AP/picture alliance

Sollten die Franzosen von der neuen Regierung enttäuscht werden, könnte das die Chancen für Marine Le Pen weiter erhöhen, 2027 Staatspräsidentin zu werden. Würde sie dann gewählt, "dann hätten wir auf jeden Fall ein sehr anderes Europa", glaubt Ronja Kempin. Auch wenn ein Austritt Frankreichs aus der Europäischen Union und aus dem Euro längst kein Thema mehr ist – da hat Le Pen aus vergangenen Misserfolgen gelernt.

Es wäre aber in jedem Fall der Alptraum für die Bundesregierung in Berlin und das vorläufige Ende der deutsch-französischen Partnerschaft in gewohnter Form. Doch während dieser Gedanke noch reine Spekulation bleibt, muss sich die Berliner Politik schon jetzt auf deutlich mehr Unsicherheit in der Zusammenarbeit mit Paris einstellen.