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Politik

Getrübte Urlaubsidylle in Andalusien

14. Juli 2018

Notruf aus dem Ferienparadies: In der spanischen Provinz Cádiz leidet die Bevölkerung unter Drogenhandel, Tabakschmuggel und Schlepperbanden. Aus Algeciras Stefanie Claudia Müller.

Spanien Flüchtlingsboot erreicht Badeort
Aufruhr im Urlaubsparadies: Im Badeort Záhara de los Atunes kommt ein Flüchtlingsboot anBild: picture alliance/dpa/ROPI

Der bereits ergraute Francisco Mena ist derzeit ein gefragter Mann. Das Treffen auf der Terrasse einer spanischen Bar in dem malerischen Dorf San Roque wird mehrmals durch Telefonanrufe unterbrochen. Drei Handys liegen auf dem Tisch. "Gerade hatte ich die BBC an der Strippe und am Montag treffe ich den spanischen Innenminister", erzählt der 58-Jährige nicht ganz ohne Stolz.

Der Andalusier kämpft mit seiner Organisation "Por tu seguridad, por la de todos" (dt.: Für deine Sicherheit und die aller) seit mehr als 20 Jahren gegen den Drogenhandel in seiner Heimatprovinz Cádiz, dem südlichsten Zipfel Europas: "Hier arbeiten Spanier und Marokkaner Hand in Hand mit jedem, der hier schnelles Geld verdienen will." Menas Organisation hilft Süchtigen, sich aus dem Teufelskreis der Drogen zu befreien.

Francisco Mena hilft Drogensüchtigen ehrenamtlich beim AusstiegBild: DW/S. Müller

An den Stränden der benachbarten Kleinstadt La Línea kommen täglich Hunderte Kilo Cannabis in Schnellbooten aus Marokko an. An manchen Tagen sind es sogar Tonnen. Spanien hat sich laut Mena zu einem Hotspot für Drogen entwickelt. "Neben dem Drogenhandel aus Lateinamerika und dem Cannabis aus Marokko haben wir hier dann noch den Tabakschmuggel mit Gibraltar", sagt Mena. Seiner Meinung nach fehlen bis zu 400 Polizisten, um dem wachsenden Druck auf die Sicherheit der Region standzuhalten.

Bisher fand das Geschäft weitgehend im Verborgenen statt. Im März dieses Jahres spitzte sich die Situation in La Línea jedoch zu, als Haschisch-Dealer plötzlich mit Steinen auf Polizisten warfen, die sie daran hindern wollten, die Ware in die auf den Strand vorgefahrenen Landrover zu packen. Als bei einem anderen Eingriff der Polizei der marokkanische Boss ins lokale Krankenhaus gebracht wurde, schafften ihn 30 vermummte und bewaffnete Bandenmitglieder dort wieder weg. "Das erinnert schon an Zustände wie bei Drogenkartellen in Kolumbien", sagt Mena. Er ist nervös, raucht, steht immer wieder auf, setzt sich hin.

5,8 Tonnen Kokain: In Algeciras wurde im Dezember 2017 der größte Drogenfund der letzten 18 Jahre in Spanien gemacht Bild: picture-alliance/Europa Press

Im Juni 2017 hatte es den ersten Toten gegeben im Zusammenhang mit der Grenzkriminalität gegeben: Ein 46-jähriger Polizist wurde bei der Verfolgung eines Tabak-Schmugglers im benachbarten Gibraltar überfahren. In dem britischen Überseegebiet kostet eine Schachtel Zigaretten drei Euro statt der in Spanien üblichen fünf. Seit dem Vorfall hat sich die Aufmerksamkeit für die von der Regierung in Madrid lange vergessene Region erhöht.

Sonne, Rausch und Armut

In Algeciras und La Línea sind 35 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung arbeitslos. In der 64.000-Einwohner-Stadt La Línea leben rund 3000 Menschen vom Dealen und Schmuggeln. Es gibt 100 verschiedene Chefs, organisiert in 30 Banden, die sich das Terrain an der Meeresenge zu Gibraltar teilen. Die Straßen sind holprig, der Putz bröckelt von den Fassaden ab, die Autos sind alt und dreckig.

Nicht nur die einheimische Bevölkerung, auch viele afrikanische Migranten suchen vergeblich nach einem Job. "Viele werden zu Handlangern der Dealer, weil sie keine Alternative haben", sagt Mena. Im Mai wurde er eingeladen, die vielfältigen Sicherheitsprobleme seiner Region in der parlamentarischen Kommission für Innere Sicherheit vorzutragen.

Seit der Jahrtausendwende hat sich die Lage kontinuierlich verschlechtert. Mittlerweile werden die Traumstrände von La Línea fast ausschließlich von Einheimischen genutzt. Es gibt weder Hotels noch Ferienwohnungen mit Meeresblick. Niemand der Strandbesucher verirrt sich in die einschlägigen Bars, in denen lokale Besucher sich schon am helllichten Tag im Vollrausch befinden.

Bürgermeister will mehr Geld

Wie ernst die Lage ist, hat auch der spanische Innenminister Fernando Grande-Marlaska zu spüren bekommen. Als er am 9. Juli in La Línea eintraf, kam es am Strand zu einer Verfolgungsjagd, bei der sogar Helikopter eingesetzt wurden. "Die Dealer warten nicht einmal mehr, bis es dunkel wird", sagt Bürgermeister Juan Franco. Er hofft, dass der spanische Innenminister Wort hält und 400 dringend benötigte zusätzliche Polizeikräfte nach La Línea schickt. Applaudiert wurde bereits, als direkt nach seinem Besuch per Dekret die Hochgeschwindigkeitsboote verboten wurden, mit denen die Ware zumeist an die Strände geschafft wird, wie es in Gibraltar seit 1995 der Fall ist.

Beim Rundgang durch die Stadt fallen die verlassenen und zugemüllten Grundstücke am Strand auf. Einige dienen als Pferdeweiden. Bürgermeister Franco ist verzweifelt: "Woanders wären diese Grundstücke Bauland und Millionen Euro wert. Aber private Firmen wollen unter diesen Umständen hier nicht investieren", sagt er.

Die illegale Einwanderung über die Meeresenge von Gibraltar sieht Franco als weiteren Unsicherheitsfaktor für seine Stadt: "Marokko ist derzeit ein Wartesaal für Tausende von Afrikanern, die nach Europa wollen. Wir haben hier an der Südgrenze des Kontinenten das Gefühl, dass wir auf einem enormen Pulverfass sitzen und keiner uns hilft".

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