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Gewalt gegen Schiris - ein Fußball-Phänomen

10. Dezember 2019

Immer wieder gibt es Berichte über Angriffe gegen Fußball-Amateurschiedsrichter. Läge die Ursache alleine in einer Verrohung der Gesellschaft, müssten auch andere Mannschaftssportarten betroffen sein. Eine DW-Umfrage.

DKB Handball-Bundesliga | HSV Handball - Frisch Auf! Goeppingen
Bild: picture-alliance/INSIDE-PICTURE/S. Sudheimer

"Das kann ich verneinen", antwortet Mark Schober, der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Handball-Bundes (DHB) auf die Frage der DW, ob auch in seiner Sportart die Gewalt gegen Amateurschiedsrichter zugenommen habe. Mit knapp 750.000 Mitgliedern ist der DHB nach dem Deutschen Fußball-Bund (7,1 Millionen Mitglieder) der zweitgrößte Mannschaftssportverband in Deutschland, 20.000 Schiedsrichter sind im Einsatz. "Natürlich gab es auch im Handball einzelne Fälle, in denen Referees beleidigt worden sind", sagt Schober. "Wir müssen schon auf unsere Schiedsrichter aufpassen. Wir machen das mit unserem Regelwerk. Die Übeltäter werden hart bestraft."

Der DHB-Vorstandschef sieht eine Vorbildfunktion der Akteure in der Bundesliga: "Die Amateure schauen zum Beispiel auf die Bundesliga-Trainer: Wie verhalten sie sich gegenüber den Schiedsrichtern?" Seit langem schon gebe es im Handball Zeitstrafen für Trainer, die meckern, so Schober: "Ein Spieler muss dann für ihn vom Platz. Das zeigt Wirkung."

Tritt gegen den Koffer

Eine DW-Umfrage unter den Mannschaftssportarten in Deutschland bringt ein überraschend einheitliches Ergebnis hervor: Physische Gewalt gegen Amateurschiedsrichter kommt nach Angaben der Verbände außerhalb des Fußballs gar nicht vor oder sie ist die absolute Ausnahme. Eine Zunahme der Übergriffe in jüngster Zeit gebe es nicht, heißt es. Allenfalls verbale Anfeindungen würden gelegentlich registriert.

Der Deutsche Volleyball-Verband (DVV, rund 410.000 Mitglieder, 56.000 Hallenschiedsrichter) berichtet über den "schlimmsten" Fall bisher: Dabei sei ein Schiedsrichter im Kabinengang bedrängt worden, und es habe einen Tritt gegen seinen Koffer gegeben. "Zu einer körperlichen Auseinandersetzung ist es aber auch da nicht gekommen", so der DVV. Im Volleyball werde Fair Play groß geschrieben. Es sei auch keine Seltenheit, dass selbst Nationalspieler die Schiedsrichter auf Fehlentscheidungen zum eigenen Nachteil aufmerksam machten. 

Auch die "räumliche Trennung durch das Netz" verhindert nach Ansicht des DVV Aggressionen beim VolleyballBild: picture-alliance/nordphoto/Kurth

Beim Basketball, nach Mitgliedern (rund 210.000) die Nummer vier unter den Mannschaftssportarten in Deutschland, seien "aktuell keine Fälle physischer Gewalt gegen Schiedsrichter/innen bekannt", sagt Professor Lothar Bösing von der Universität Tübingen. Im Deutschen Basketball Bund (DBB) ist Bösing als Vizepräsident für die rund 10.500 Schiedsrichter und Schiedsrichterinnen zuständig. Fälle verbaler Entgleisungen gegen Referees, die ab und zu vorkämen, würden mit Nachdruck verfolgt, sagt der DBB-Vize. Mit der prekären Situation der Amateurschiedsrichter im Fußball lasse sich das aber nicht vergleichen: "Grundsätzlich werden aus meiner Sicht im Basketball Schiedsrichter mehr geachtet und respektiert, als dies zum Beispiel im Fußball der Fall ist."

Platzverweis bei Anfassen des Schiedsrichters

Selbst bei Mannschaftssportarten, bei denen körperliche Härte quasi zum Portfolio gehört, müssen Amateurschiedsrichter offenkundig nicht um ihre Sicherheit fürchten. "Diese Problematik ist im Football-Sport vollkommen unbekannt", sagt Robert Huber, Präsident des American Football Verbands Deutschland (AFVD, 67.000 Mitglieder, 1200 Schiedsrichter). Werte wie Fairness und Respekt würden im Football gelehrt und gelernt: "Bereits das Anfassen eines Schiedsrichters führt zum sofortigen Feldverweis." Zudem, so Huber, bestehe eine Schiedsrichter-Crew im American Football aus mindestens fünf und maximal sieben Schiedsrichtern: "Das heißt, ein Schiedsrichter ist nie allein, sondern Bestandteil eine Gruppe. Das schützt sicherlich vor Anfeindungen."

Sieben auf einen Streich - Schiedsrichter beim American FootballBild: picture-alliance/imageBROKER/H. Kratky

Auch im Eishockey sind mehrere Schiedsrichter pro Spiel im Einsatz - selbst bei Amateurspielen, zum Beispiel drei Unparteiische bei den Junioren unter 20 Jahren, zwei bei U17-Spielen. "Körperliche Gewalt gegen Amateurschiedsrichter ist im deutschen Eishockey nicht bekannt. In den letzten Jahren gab es jedenfalls keine Vorfälle", lässt der Deutsche Eishockey-Bund (DEB, 20.600 Mitglieder, rund 1200 Schiedsrichter) wissen. In den Hallen nicht nur der Deutschen Eishockey Liga, sondern auch der Oberliga und der Nachwuchsligen würden die Kabinengänge durch Security-Mitarbeiter gesichert. Die Schiedsrichter-Räume dürften rund um das Spiel nur von den Referees selbst betreten werden. Verbale Attacken gegen Amateurschiedsrichter kämen zwar vor, aber auf gleichbleibendem, nicht steigendem Niveau, teilt der DEB mit. Die Referees seien aufgefordert, solche Fälle schriftlich dem Verband zu melden. Der DEB-Kontrollausschuss befasse sich dann zentral damit und spreche die Strafen aus.

Im Hockey gibt es nach Angaben des Deutschen Hockey-Bunds (DHB, knapp 86.000 Mitglieder, 90 Bundesliga- und rund 70 Nachwuchsschiedsrichter, keine Angaben für die unteren Ligen) "ab und an mal verbale Auseinandersetzungen mit Spieler/innen, aber keine physischen Bedrohungen oder Gewalt gegen Schiedsrichter/innen". Auch der Deutsche Baseball und Softball Verband (DBV, 22.300 Mitglieder, 500 Schiedsrichter) verzeichnet "keinen Anstieg der physischen Angriffe gegen Amateurschiedsrichter".

Emotionen nicht im Griff

Marion Sulprizio: "Fair Play besser leben"Bild: Deutsche Sporthochschule Köln

Warum, so fragt man sich, nimmt die Gewalt gegen die Unparteiischen ausgerechnet im Fußball zu? Läge es an einer allgemeinen Verrohung der Sitten in Deutschland, müssten doch auch die anderen Mannschaftssportarten betroffen sein. "Aus meiner Sicht hat es etwas mit Affektkontrolle zu tun, das heißt sich selbst im Griff zu haben. Diese Emotionsregulation beherrschen nicht alle Fußballer so optimal", sagt Marion Sulprizio, Psychologin an der Deutschen Sporthochschule in Köln, der DW.

"Vielleicht finden sich im Fußball auch häufiger Menschen, die ihre Emotionen sehr ausleben wollen, die sehr viel Wert auf Körperlichkeit legen, auf Hart-sein, auf Kämpfen. Das könnte dann in gewissen Situationen zu solchen Kurzschlussreaktionen führen, die der einzelne nicht mehr im Griff hat."

Der Fußball, so die Wissenschaftlerin, könne von anderen Sportarten lernen, "respektvoller miteinander umzugehen und das Fair Play nicht nur auf dem Platz, sondern auch im ganzen Umfeld besser zu leben. Alle stehen da in der Verantwortung: Trainer, Spieler, Offizielle und Zuschauer. Emotionsregulation muss man üben. In manchen Sportarten scheint das einfacher zu gehen als im Fußball."

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