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Politik

Gewalt gegen Frauen: Das Schweigen brechen

Lone Grotheer
25. November 2020

Jede vierte Frau wird in Ihrem Leben mindestens einmal Opfer von häuslicher Gewalt. Die Corona-Pandemie hat die Situation für Betroffene verschlimmert - und die Hilfsangebote verändert.

Deutschland Frauenhaus in Nienburg, Niedersachsen
Corona hat die Situation für Betroffene von häuslicher Gewalt verschlimmert: Bewohnerin des Frauenhauses in NienburgBild: picture-alliance/dpa/P. Steffen

Gerade in diesem Jahr scheint der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen besonders notwendig. Denn die Corona-Pandemie hat die Situation für Betroffene von häuslicher Gewalt verschlimmert. Familien und Paare verbringen mehr Zeit miteinander, das bringt mehr Streit mit sich, oft auch mehr Wut und Gewalt.

Durch die Kontaktbeschränkungen gibt es zudem weniger Möglichkeiten, der Situation zu entkommen. Umso wichtiger sind gerade heute Beratungsmöglichkeiten, Frauenhäuser, Zufluchtswohnungen und andere Hilfsangebote.

Orte der Zuflucht für Opfer häuslicher Gewalt: Blick in ein Zimmer des Frauenhauses von Bonn Bild: DW/O. Pieper

Das bestätigt auch Johanna Donau. Sie ist Sozialarbeiterin beim eingetragenen Verein "Flotte Lotte" in Berlin und dort für die Zufluchtswohnungen zuständig. Sie sind, wie der Name verrät, Orte der Zuflucht, nachdem die Betroffenen es geschafft haben, sich aus ihrer Gewalt-Situation zu befreien.

Anders als im Frauenhaus leben die Betroffenen hier allein oder teilen sich die Wohnung mit zwei oder drei weiteren Frauen als Wohngemeinschaft. Die Sozialarbeiterinnen von Flotte Lotte sind in ihrer Arbeitszeit für die Bewohnerinnen erreichbar. Anders als in einem Frauenhaus werden die Bewohnerinnen hier jedoch nicht rund um die Uhr betreut und müssen für sich selbst sorgen. Für das Leben in einer Zufluchtswohnung müssen die Betroffenen also bereits eine gewisse Stabilität und Eigenständigkeit mitbringen, erläutert Johanna Donau.

Beratung nur telefonisch

Wie in fast jedem Bereich hat sich durch die Corona-Pandemie auch in der Arbeit mit Betroffenen von häuslicher Gewalt einiges verändert. Beispielsweise gibt es keine persönlichen Beratungsgespräche mehr - sie werden telefonisch geführt. Nicht immer leicht, sagt Johanna Donau, denn über das Telefon sei es schwieriger, eine Bindung aufzubauen und Vertrauen zu schaffen. "Da kann man nicht mal eben ein Taschentuch herüber reichen", so Donau.

Die Pandemie macht es Mitarbeitenden von Hilfsangeboten schwieriger, eine Bindung zu Gewaltopfern aufzubauenBild: picture-alliance/Photoshot

Alles in allem aber habe man sich schnell an die neue Situation gewöhnt, die Gespräche seien jetzt sogar intensiver, sagt die Sozialarbeiterin. Drei Wohnungen betreut der Verein Flotte Lotte. Johanna Donau ist sich sicher, dass diese Zahl längst nicht ausreicht. Allgemein gäbe es zu wenig Plätze in Hilfseinrichtungen, sagt sie. Im Zuge der gestiegenen Anfragen aufgrund der Pandemie wurde in Berlin sogar ein Hotel angemietet, um als Frauenhaus zu fungieren. Ein guter Schritt, findet Donau: "Für uns war das beruhigend, weil wir Betroffene, die sich bei uns gemeldet haben, zumindest weitervermitteln konnten."

Aufklärungsarbeit verbessern

Doch erst einmal müssen sich Betroffene überhaupt melden. "Hilfsangebote  sind oft nicht sichtbar genug", sagt Tanja*. Die 67-jährige Aschaffenburgerin war in ihrer Ehe selbst lange Opfer von Gewalt und hat Jahre gebraucht, bis sie sich aus ihrer Beziehung lösen konnte. Hätte es mehr Hinweise auf Angebote zur Unterstützung betroffener Frauen gegeben, wäre dieser Prozess schneller abgelaufen, sagt sie.

"Hilfsangebote  sind oft nicht sichtbar genug"Bild: Imago/Reporters

Bei Tanja war es ein Arzt, der ihr schließlich den Mut gab, einen Schlussstrich zu ziehen. "Die Aufklärungsarbeit muss unbedingt verbessert werden", findet sie. Nicht nur für Betroffene, sondern auch für Außenstehende, die vielleicht mitbekommen, dass in ihrem Umfeld etwas nicht stimmt. Denn noch immer ist häusliche Gewalt ein Tabuthema.

Das Schweigen brechen hilft

Das sieht auch Johanna Donau so. Sie findet, dass häusliche Gewalt nicht nur tabuisiert - sondern auch stigmatisiert wird. "Wenn ich Aussagen höre wie 'Du hättest doch gehen können' oder 'Warum lässt du das denn mit dir machen?', werde ich wirklich wütend", sagt sie. Noch immer erlebe sie in ihrer Arbeit viel zu häufig, dass die Schuld auch auf das eigentliche Opfer projiziert werde. Das beginne beim Partner, wenn er der Betroffenen das Gefühl gebe, selbst schuld an der Situation zu sein. Im familiären Umfeld setze sich das oft fort, sagt Johanna Donau.

Hierbei hatte Tanja mehr Glück. Ihr Umfeld habe ihr damals sehr geholfen, sich aus der Situation zu lösen und sie auf ihrem Weg sehr unterstützt, erzählt sie. "Ich verdanke ganz vielen Menschen, dass ich heute dort stehe, wo ich stehe." Betroffenen würde sie vor allem eines raten: "Wartet nicht zu lange und kommt raus! Denn je länger man leidet, desto mehr geht man daran auch kaputt."

Das Schweigen zu brechen - das ist auch die Idee einer Aktion des globalen Frauennetzwerkes "Zonta Union". Sie heißt: "Maske 19". Dabei geht es um eine Notrufhilfe, die durch gut sichtbare Plakate in Apotheken, Arztpraxen oder Kliniken angeboten wird. Wenn Betroffene in diesen Einrichtungen das Codewort "Maske 19" aussprechen, etwa, weil sie telefonisch oder im häuslichen Umfeld keine Möglichkeit haben, Gewaltvorfälle zu melden, verständigen Mitarbeiter umgehend die Polizei. Für Betroffene wäre das der erste Schritt auf dem Weg in eine gewaltfreie Zukunft.

*Name geändert

Lone Grotheer Redaktionspraktikantin
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