Gewalt in Syrien: Präsident Ahmed al-Scharaa unter Druck
22. Juli 2025
Die Waffenruhe in Suwaida hält, doch der Konflikt zwischen den Akteuren ist noch lange nicht beigelegt. Vorsorglich begannen die syrischen Behörden der staatlichen syrischen Nachrichtenagentur SANA zufolge am Sonntag mit der Evakuierung zahlreicher Beduinenfamilien. Insgesamt handelt es sich demnach um 1500 Menschen, die mit Bussen und anderen Fahrzeugen aus der im Süden Syriens gelegenen Stadt hinausgebracht wurden.
Seit der blutige Konflikt zwischen Drusen und Beduinen in der Region vor knapp zehn Tagen ausgebrochen war, sind laut Syrischer Beobachtungsstelle für Menschenrechte (Syrian Observatory for Human Rights, SOHR) bereits über 1.250 Menschen getötet worden. Die Angaben lassen sich zwar nicht verifizieren, doch gelten die Zahlen des zu Beginn des syrischen Bürgerkriegs in London gegründeten SOHR allgemein als verlässlich.
Unter den Todesopfern befinden sich demnach mehr als 600 Bewohner der Provinz Al-Suwaida. 194 Menschen seien von Kräften des Verteidigungs- und Innenministeriums in Schnellverfahren hingerichtet worden, so das SOHR.
Zudem seien mehr als 400 Mitglieder der Regierungskräfte und 23 Beduinen getötet worden. Drei beduinische Zivilisten sollen von drusischen Kämpfern hingerichtet worden sein, berichtet das SOHR weiter.
Die tödliche Gewalt setzt den politischen Führer des Landes, Ahmed al-Scharaa, unter Druck. Seine dringlichste Aufgabe: die Gewalt in Suwaida dauerhaft zu beenden - und darüber hinaus das Land insgesamt zu einen.
Alawiten und Assad
Dazu gehört auch die Versöhnung unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen. Dies gilt umso mehr, als es im März dieses Jahres zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Alawiten und Dschihadisten gekommen war, in deren Reihen offenbar auch Mitglieder der Regierungstruppen standen. Dabei waren über 1300 Menschen getötet worden.
Aus den Reihen der Alawiten stammt auch die Assad-Familie. Vielen Syrern gelten die Alawiten als Anhänger und Unterstützer des gestürzten Regimes. Ein von der Regierung angekündigter Untersuchungsbericht zu den Vorfällen vom März steht bis heute aus.
Al-Scharaa stehe vor erheblichen Herausforderungen, sagt der Nahost-Experte und Politik-Berater Carsten Wieland im DW-Gespräch. Die Ereignisse der vergangenen Wochen und Monate hätten seinen Anspruch untergraben, Präsident ausnahmslos aller Syrer zu sein und ein einheitliches, alle Bevölkerungsgruppen umfassendes Syrien zu schaffen.
Sicherheitskräfte nicht unter Kontrolle?
"Bei vielen Syrern wächst die Skepsis gegenüber einem Staat, der seine eigenen Sicherheitskräfte offenbar nicht unter Kontrolle hat. Umso mehr komme es darauf an, dass der Untersuchungsbericht zu der gegen die Alawiten gerichteten Gewalt zeitnah erscheine.
"Es ist von enormer Bedeutung, dass öffentlich erklärt wird, wer wofür verantwortlich ist und auch entsprechend zur Rechenschaft gezogen wird."
Dies müsse rasch geschehen, sagt auch Ronja Herrschner, Politologin an der Universität Tübingen. Zwar habe Syrien noch einen weiten Weg vor sich, so Herrschner zur DW.
"Dennoch höre ich, dass Al-Scharaa trotz aller Mängel zumindest unter den Sunniten weiterhin ein recht hohes Ansehen genießt. Denn er wird immer noch als Befreier Syriens vom Assad-Regime wahrgenommen. Darum hat er unter den Sunniten weiterhin einen gewissen Vertrauensvorschuss. Für die Angehörigen der Minderheiten gilt dies allerdings nicht unbedingt."
Druck aus zweierlei Richtung
Allerdings übten zwei Seiten gleichzeitig Druck auf die Regierung aus, heißt es in einem Kommentar der arabischsprachigen Zeitung Sharq al-Awsat. Die erste Gruppe bestehe aus ehemaligen Anhängern des gestürzten Assad-Regimes, dem Iran verbundenen Kräften sowie kriminellen Vereinigungen, vor allem aus dem Gebiet des Drogenhandels.
Die zweite Gruppe entstamme aus dem Inneren des Regimes und heize die Krisen aktiv an. Dies seien vor allem dschihadistisch motivierte Kräfte, die die Regierung in eine Konfrontation mit lokalen Gruppen ziehen könnten, so die Zeitung. Das wiederum könnten ausländische Akteure dazu einladen, in Syrien einen neuen Bürgerkrieg zu entfachen.
Tatsächlich sei die Machtbasis al-Scharaas dünn, sagt Carsten Wieland. Es gebe nur wenige ihm unterstehende professionelle Kräfte. Stattdessen gebe es einen enorm hohen Anteil radikalisierter junger Kämpfer, die sektiererisch oder salafistisch dächten und durch den Bürgerkrieg hochgradig radikalisiert seien.
"Dabei handelt es sich um den gefährlichen Teil dieser jungen Generation. Er bildet eine politische Realität. Und die Frage ist, wie al-Scharaa sich dieser Leute entledigt, ohne ihnen selbst zum Opfer zu fallen."
Hinzu kämen ausländische Dschihadisten, so Wieland weiter. Auch sie habe al-Scharaa nicht unter Kontrolle. "Zuletzt kommen auch Teile der sunnitischen Beduinen hinzu, also Kämpfer, die sich jetzt an Minderheiten rächen wollen. Auch ihrer muss al-Scharaa zügig Herr werden."
Unterstützung aus dem Ausland
Dennoch unterstützen die USA wie auch einige Golfstaaten - allen voran Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate - al-Scharaa weiter, sagt Ronja Herrschner.
"Die USA wollen ihr Militär aus Syrien mittelfristig möglichst abziehen. Voraussetzung ist natürlich, dass das Land politisch stabil bleibt.". Dies zu garantieren, trauten die USA derzeit am ehesten noch al-Scharaa zu. Deswegen unterstützten sie ihn weiterhin.
"Das gleiche gilt auch mit Blick auf die Golfstaaten", so Herrschner weiter. "Auch sie sind natürlich an Stabilität in Syrien interessiert. Und auch sie setzen darum auf al-Scharaa."
Ähnlich sieht es Carsten Wieland. Den Golfstaaten gehe es genauso wie den USA darum, Syrien als stabilen, einheitlichen Staat zu erhalten und Proxy-Kriege möglichst zu verhindern.
"Israel verfolgt derzeit ganz offenbar aber das entgegengesetzte Ziel, nämlich Teile der Bevölkerung aus der Gesellschaft herauszubrechen, um das Land zu schwächen", sagt Carsten Wieland.
"Das muss Alarmglocken schrillen lassen in einer Region, in der Staatszerfall und Bürgerkriege ein weit verbreitetes Phänomen sind." Eben darum hätten sich die USA auch gegen das Vorgehen Israels in Syrien gewendet.
Zuletzt hatte Israel auf Seiten der Drusen in die Gewalt rund um Suwaida eingegriffen, sich dann aber mit der syrischen Regierung auf eine Waffenruhe verständigt. Ein Zerfall des Landes sei nicht im Interesse der USA - ebenso wenig auch in dem Europas, sagt Wieland. "Denn keines dieser Länder sieht derzeit eine Alternative zu al-Scharaa."