Bangladesch: Gewaltenteilung vor dem Aus?
18. September 2014Die Entscheidung hätte nicht deutlicher ausfallen können: Mit 327 zu 0 sprach sich das Parlament in Dhaka mit den Stimmen der regierenden Awami League (AL) für die sogenannte Verfassungsänderung Nr. 16 aus. Danach hat das Parlament künftig das Recht, eine Vorentscheidung über Amtsenthebungen von Richtern am Obersten Gericht des südasiatischen Landes zu treffen. Das Votum fiel auch deshalb so eindeutig aus, weil die größte Oppositionspartei – die Bangladesh Nationalist Party (BNP) - derzeit in Folge eines Wahlboykotts keine Abgeordneten stellt.
Kritiker befürchten nun, dass die Regierung die Änderung ausnutzen könnte, um künftig bei umstrittenen Themen Einfluss auf die Richter des Supreme Court auszuüben, sie unter Druck zu setzen und sie zu kontrollieren. "Die Gesetzesänderung stellt eine große Bedrohung für die Unabhängigkeit der Justiz dar", sagt Sara Hossain, Richterin am Obersten Gericht. Viele Berufskollegen teilten diese Auffassung, so Hossain vor der Entscheidung gegenüber der Deutschen Welle. Ihre Zweifel hätten sie auch gegenüber einflussreichen Politikern thematisiert. Doch die Kritikpunkte seien nicht berücksichtigt worden.
Kritik von verschiedenen Seiten
Auch die politische Opposition kritisiert die Verfassungsänderung Nr. 16. Sie vermutet dahinter einen Plan der Regierung, eine Ein-Parteien-Herrschaft zu etablieren und die geltende Gewaltenteilung abzuschaffen. "So will die Awami League sicherstellen, dass sie an der Macht bleibt", meint Mirza Fakhrul Islam Alamgir, der Generalsekretär der oppositionellen BNP. Sara Hossein warnt: "Wir haben eine Staatsordnung, in der die Verfassung über allem steht, auch über dem Parlament. Wenn das Parlament jetzt mit diesen Machtbefugnissen ausgestattet wird, ist das ein Schlag ins Gesicht für das ganze System."
Ähnlich sieht es auch Christian Wagner von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. "Bislang ist das Justizwesen in Bangladesch formal unabhängig. Auch die Ernennung der Obersten Richter geschah durch die Judikative selbst", so Wagner gegenüber der Deutschen Welle. Zwar habe man im Gerichtswesen grundsätzlich auch mit Korruptionsproblemen zu kämpfen. Mit dieser Entscheidung aber würde einer Politisierung der Justiz Vorschub geleistet. "Bislang konnten die Richter nur durch ein Richtergremium abgewählt oder sanktioniert werden", so Wagner weiter. Das neue Gesetz sei ein gravierender Einschnitt in die richterliche Unabhängigkeit.
"Richter, die in den Augen des Parlaments missliebige Urteile sprechen, müssen künftig befürchten, von der parlamentarischen Mehrheit abgesetzt zu werden." Das ist in Anbetracht der Mehrheitsverhältnisse im Parlament von Dhaka ein leichtes Spiel für die Regierungspartei – denn sie hat dort eine komfortable Dreiviertel-Mehrheit. Eine schlagkräftige Opposition gibt es nicht, weil die größte Oppositionspartei BNP dort momentan nicht vertreten ist. Die Bangladesh Nationalist Party hatte die Parlamentswahl im Januar 2014 im Vorfeld als "undemokratisch" bezeichnet und deshalb boykottiert.
Ausnahmefall Amtsenthebung?
Suranjit Sengupta will die Kritik an der Verfassungsänderung nicht gelten lassen. Der Politiker der regierenden Awami League ist Vorsitzender des ständigen Parlamentsausschusses beim Justizministerium, das für die Gesetzesänderung zuständig ist. Schon allein die Bezeichnung "Amtsenthebung" sei irreführend und würde von den Gegnern gezielt eingesetzt, um die Bevölkerung zu verunsichern. Grundsätzlich seien Amtsenthebungen keine gängige Praxis, sondern nur im Ausnahmefall vorgesehen. "Ein Richter kann nur aufgrund psychischer Erkrankungen, wegen Fehlverhalten oder Unfähigkeit aus dem Amt entfernt werden."
Und das letzte Wort in Sachen Amtsenthebung habe nach wie vor einzig und allein der Staatspräsident. Lediglich die Zwischeninstanz ändere sich – anstelle des Richterrates müsse dann das Parlament mit Zwei-Drittel-Mehrheit der möglichen Entfernung eines Richters aus dem Amt zustimmen, bevor die Entscheidung dem Präsidenten vorgelegt wird.
Tiefe Gräben zwischen den Lagern
Welche Folgen die jetzige Gesetzesänderung für die Gesamtsituation in Bangladesch haben wird, ist noch nicht absehbar. Allerdings: Die Lage ist seit langem angespannt, seit Monaten kommt das Land kaum zur Ruhe. Die Parlamentswahlen Anfang Januar waren von massiven Unruhen und Zusammenstößen zwischen Anhängern der beiden großen rivalisierenden Parteien AL und BNP überschattet. Diese beiden Lager bestimmen die Politik des Landes schon seit Anfang der 1990er Jahre, und an ihrer Spitze tobt ein erbitterter Machtkampf zwischen den beiden Parteivorsitzenden: Regierungschefin Sheik Hasina (AL) und Khaleda Zia (BNP).
Allen Beschwichtigungen der Gegenseite zum Trotz blick Khandokar Mahhub Hossain pessimistisch in die Zukunft. Der Präsident der Anwaltskammer am Supreme Court ist überzeugt, dass die jüngsten Entwicklungen drastische Auswirkungen auf die alltägliche Arbeit der Obersten Richter in Bangladesch haben werden. "Es wird Chaos geben", so Hossain im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Die Richter werden in ständiger Angst vor ihrer Amtsenthebung leben müssen, sobald Urteile fällen, die dem Parlament nicht zusagen."
Diese Meinung teilt auch SWP-Experte Christian Wagner. " Es ist zu befürchten, dass die Regierung die Gesetzesänderung nutzt, um missliebige Richter abzusetzen und an ihrer Stelle politisch genehmere einzusetzen." Wenn dieses Szenario erstmals eintritt und tatsächlich ein Richter ausgetauscht wird, könnte das die Stimmung im Land wieder anheizen, warnt Wagner. "In diesem Fall könnte eine erneute politische Eskalation drohen."