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Der gestohlene Ruhm einer Olympiasiegerin

Dana Sumlaji
31. Dezember 2021

Siebenkämpferin Ghada Shouaa gewann 1996 die bis heute einzige olympische Goldmedaille für Syrien. Doch nach dem Triumph bei den Spielen in Atlanta wurde ihre Leistung in der Heimat nicht gewürdigt.

Ghada Shouaa
Ghada Shouaa wünscht sich in den arabischen Ländern eine bessere Förderung aufstrebender SportlerinnenBild: privat

In Tokio sind mit Olympia und den Paralympics gerade die größten Sportereignisse der Welt zu Ende gegangen. Nun werden die Athleten und Athletinnen gewürdigt und gefeiert, die bei den Olympischen Spielen die insgesamt 1.080 und bei den Paralympics die insgesamt 1.661 Medaillen gewonnen haben. Aber was passiert nach dem Triumph?

Das Beispiel der ehemaligen syrische Siebenkämpferin und Ghada Shouaa zeigt aber, dass nicht jeder Olympia-Medaille eine märchenhafte Geschichte folgt. Die Goldmedaillengewinnerin der Spiele 1996 in Atlanta sprach mit der DW über ihre ganz persönliche olympische Geschichte und ihren großen Wunsch, dass Sportlerinnen in der arabischen Welt mehr Anerkennung erhalten.

Von der Nummer 1 zur Dauerverletzten

Ghada Shouaa (Mitte) schreibt Geschichte, als sie 1996 in Atlanta Gold gewinntBild: Lynne Sladky/AP/picture alliance

Die Olympia-Geschichte von Ghada Shouaa beginnt mit einem 25. Platz im Siebenkampf bei ihren ersten Spielen 1992 in Barcelona. 1996 dann die Krönung in Atlanta: Gold! Die erste und bis heute einzige olympische Goldmedaille des syrischen Sports. Schon bei den Weltmeisterschaften im schwedischen Göteborg ein Jahr zuvor hatte sie triumphiert und Gold gewonnen. Insgesamt war Shouaa zwei Jahre lang die Nummer 1 der Welt bei den Siebenkämpferinnen.

Doch die Freude darüber währte nicht lange. Verletzungen warfen sie im Kampf um weitere Erfolge immer wieder zurück. Shouaa zog nach Deutschland, um sich von einem Spezialisten wegen einer schweren Rückenverletzung behandeln zu lassen. Bei ihrer Rückkehr auf die WM-Bühne im Jahr 1999 in Sevilla gewinnt sie Bronze, ein Jahr später bei den Sommerspielen 2000 in Sydney wird sie jedoch erneut von Verletzungen geplagt. Doch der Kampf mit dem eigenen Körper war nicht ihr einziger: "Alles begann in Sydney. Als ich danach nicht nach Syrien zurückkehren konnte, musste ich meine Behandlung in Deutschland fortsetzen", erzählt Shouaa. "Die Mitarbeiter der Sportbehörden starteten eine Hetzkampagne und beschuldigten mich, alle meine Verletzungen vorgetäuscht zu haben, um meiner Regierung nicht zu dienen und nicht in mein Land zurückzukehren."

Druck aus Syrien

Die letzte Medaille ihrer Karriere erringt Shouaa bei den Weltmeisterschaften 1999Bild: Gerry Penny/dpa/picture-alliance

Zu ihrem Entsetzen entschieden sich das Syrische Olympische Komitee, der Allgemeine Sportverband und der Syrische Leichtathletikverband in der Folge dazu, die finanzielle Unterstützung Shouaas zu streichen. "Sie haben mich einfach nicht mehr bezahlt. Und mein Trainer und ich hatten nicht die finanziellen Möglichkeiten, auf eigene Kosten weiterzumachen. Ohne meinen Sponsor in Deutschland wäre ich nicht einmal in der Lage gewesen, weiter zu leben", sagt Shouaa.

Und so sah sie sich gezwungen eine Entscheidung zu treffen: Sie beschloss ihr Land Syrien in Zukunft nicht mehr als Athletin zu vertreten. Die syrischen Behörden unternahmen daraufhin Versuche, den Ruf der weltberühmten Athletin zu beschädigen. 2004 landete sie sogar vor Gericht und zahlte anschließend eine Kaution, um nicht ins Gefängnis zu müssen und das Land, das sie im Stich gelassen hatte, endgültig verlassen zu können.

"Ich bin keine Kriminelle. Sie hätten bestraft und ins Gefängnis gesteckt werden müssen, weil sie korrupt sind", sagte Shouaa über die Verantwortlichen von damals. "Ich war psychisch erschöpft. Der Druck aus Syrien war nicht leicht zu ertragen. Ich bekam immer wieder Drohungen per Telefon. Mein Leben war nicht einfach", erinnert sich die Athletin, die bis zum Ende ihrer Laufbahn im Jahr 2004 für verschiedene Leichtathletik-Vereine in Deutschland aktiv war.

Eine Region verkennt ihre Sporttalente

Shouaa glaubt, dass die Behandlung, die sie erfahren hat, andere Sportlerinnen von Wettkämpfen abhalten wirdBild: AFP/dpa/picture-alliance

In der arabischen Welt gibt es viele junge Sportlerinnen, die möglicherweise Goldmedaillen gewinnen könnten, wenn ihre Sportarten besser gefördert würden oder sie mehr Vorbilder wie Ghada Shouaa hätten. Bei den Olympischen Spielen in Tokio waren die arabischen Länder mit gerade einmal 14 Athletinnen vertreten. Vier Medaillen brachten die Frauen mit nach Hause: einmal Gold, einmal Silber und zweimal Bronze. 

"Das Fehlen der arabischen Frauen bei den Olympischen Spielen war eine Tragödie. Und der Grund dafür ist, dass die neue Generation sieht, was mit uns passiert ist", sagt Shouaa. "Sie haben Angst, die gleiche Ignoranz, Respektlosigkeit, Demütigung und Schikane zu erfahren." Und dann spricht sie einen weiteren Aspekt an: "Das Mobbing von Frauen muss aufhören, und diejenigen, die uns absichtlich verletzen wollen, insbesondere in den sozialen Medien, sollten bestraft werden. Sie sagen, dass wir keine Frauen sind und dass wir gewonnen haben, weil wir die Gene von Männern haben. Sie wollen, dass wir in der Küche stehen und wie Models aussehen. Ich bin Sportlerin und mir ist es egal wie ich aussehe."

Shouaa glaubt, dass die Medaillen-Gewinnerinnen von Tokio nur vorübergehende Phänomene sind, die wie viele andere zuvor aus dem kollektiven Gedächtnis verschwinden werden. Wenn arabische Frauen weiterhin an den Rand gedrängt würden und ihnen die gleichen Rechte wie Männern verweigert blieben, sieht sie keine vielversprechende Zukunft für den weiblichen Sport in der Region. 

"Nichts geht von heute auf morgen, man braucht einen Plan, der zwölf bis 14 Jahre dauern kann. Das Problem ist, dass die Verantwortlichen für den Sport in den arabischen Ländern einfach keine Geduld haben. Einige der Golfstaaten behandeln die Athleten wie einen Vertrag, der endet, wenn sie ihre Medaillenehrung bekommen. Und das kann ich nicht als Gewinn betrachten", sagt Shouaa. "In meinem Land weiß man nicht, wie wichtig es für Sportler ist, sich international zu messen und den Geist des Sports zu spüren. Seit meiner Zeit als Sportlerin höre ich immer wieder dieselben Geschichten über den Missbrauch und das Mobbing von Frauen. Daran hat sich leider nichts geändert."

Harter und tückischer Weg

Shouaa hofft, die Barrieren für Sportlerinnen in den arabischen Ländern einreißen zu könnenBild: R4032/Pressefoto Baumann/picture alliance

Die aufstrebenden Olympionikinnen, die keine moralische oder materielle Unterstützung erhalten, müssten einen Weg finden, ihren Lebensunterhalt zu verdienen und ganz von vorne anfangen, so wie sie selbst es in Deutschland getan hat, sagt Shouaa. Trotz des Besitzes mehrerer Trainerlizenzen hat sie beschlossen, alles zu vermeiden, was mit Sport zu tun hat. In der Vergangenheit hatte sie als Olympia-Expertin für arabische Fernsehsender gearbeitet, dort allerdings deutlich weniger Bezahlung erhalten als ihre männlichen Kollegen. Ein neuerliches Angebot für die Olympischen Spiele in Tokio lehnte sie in der Folge ab.

"Das ist Diskriminierung. Und ich akzeptiere das nicht. Wenn man sich Sport auf arabischen Fernsehkanälen ansieht, sieht man nur Männer die kommentieren oder analysieren. Aber ich bin auch eine Expertin. Ich habe in meiner Karriere als Sportlerin etwas Großes geleistet und hätte dem Publikum eine gute Perspektive auf den Frauensport geben können. Aber die Verantwortlichen mögen keine starken Persönlichkeiten", sagt Shouaa. "Und die Wahrheit wollen sie auch nicht hören."

Der Krieg in Syrien hat viele Sportlerinnen gezwungen, in der Hoffnung auf ein besseres Leben aus ihrem Land zu fliehen. Ghada Shouaa glaubt nicht, dass die Aussichten für Sportlerinnen in den arabischen Ländern trotz ihrer Bemühungen, Barrieren zu überwinden, sich in naher Zukunft bessern werden. "Ich will nicht, dass sie mich nach meinem Tod ehren. Das ist dort normalerweise der Fall. Die Geschichte wird sich am Ende für die richtige Seite entscheiden, aber wir werden dann nicht mehr hier sein." 

Adaption aus dem Englischen: Jörg Strohschein

Dieser Artikel wurde erstmals am 8.9.2021 veröffentlicht.

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