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Gesellschaft

Zocken, bis die Sucht kommt

Gwendolin Hilse
12. Juli 2017

Viele junge Ghanaer packt die Sucht. In Wettbüros, an Spielautomaten und ihren Handys verzocken sie alles, was sie haben. Dabei ist Glückspiel für Minderjährige in Ghana verboten.

Afrika Facebook Nutzer Smartphone
Bild: Getty Images/AFP/I. Sanogo

Nima, einer der größten Slums in Ghanas Hauptstadt Accra, ist bekannt für seine Wettbüros. Besonders bei jungen Glückspielern sind sie beliebt. Viele schwänzen die Schule, in der Hoffnung, aus ein paar Cedi den großen Gewinn zu machen. Der 19-jährige Baba Seidu zum Beispiel. Seit zwei Jahren verwettet er alles, was er besitzt. "Eines Tages hat es mich gepackt. Ich wollte es nur mal ausprobieren und dann habe ich gleich gewonnen", sagt er. "Ich habe so viel Geld gewonnen, da wollte ich mehr."

Auch der 20-jährige Iddrisu Musa ist süchtig nach dem Spiel ums schnelle Geld. Beim gemeinsamen Fußballgucken mit Freunden fing es an: Englische Premier League. "Alle haben gesagt, ich soll doch mal wetten." Mittlerweile setzt er all sein Geld auf die Fußballclubs in Europa. "Manchmal helfe ich meinem Vater bei der Arbeit und verdiene so ein bisschen was." Damit gehe er sofort wieder ins Wettbüro. "Ich habe schon ein paar Mal gewonnen, aber bisher habe ich mehr Geld verloren", gibt er zu.

Büros für Sportwetten wie "Premiere Bet" sind besonders beliebt. Fünf Standorte hat das Unternehmen in Ghana, 27 in ganz Afrika. Aber Wetten lässt sich mittlerweile auch ganz bequem von zu Hause aus - online mit Smartphone oder Laptop. In Kenia gibt es dafür sogar eine eigene App. "Sportpesa" ist seit 2013 auf dem Markt und hat über eine Millionen Nutzer, die über ihr Smartphone auf Sportereignisse setzen. Über 40 Millionen Euro Umsatz machen die Betreiber laut Schätzungen im Jahr. Ähnlich lukrativ läuft das Geschäft für Ghanas große Wetthäuser. 

Viele Männer haben ihr gesamtes Vermögen bei Sportwetten verlorenBild: DW/Z. Nyambura

Aber nicht nur erschwingliche Preise für Smartphones und mobile Daten machen Onlinewetten bei afrikanischen Jugendlichen immer beliebter. Durch chinesische Billigimporte werden Spielautomaten billiger, manche kosten umgerechnet gerade mal 100 Euro - und stehen deshalb inzwischen auch in Slums. Mit Einsätzen von weniger als einem Euro ist man dabei. Das Zocken - längst nicht mehr nur ein Zeitvertreib für die Wohlhabenden.

Ein Wettbüro-Besitzer in Accra, der anonym bleiben möchte, bestätigt der DW, dass viele Jugendliche ihr Essensgeld, manchmal sogar das Schulgeld bei ihm verzocken. Das mache ihm schon Sorgen, räumt er ein, aber für ihn sei das Wettbüro "nun einmal ein Unternehmen, um Geld zu verdienen."

Casino-Betreiber haben leichtes Spiel

"Es gibt viele individuelle Faktoren und Einflüsse, die eine Spielsucht begünstigen", sagt Joseph Osafo, Dozent für Psychologie an der Universität Ghana in Accra im DW-Interview. "Der größte Einfluss bei ghanaischen Jugendlichen ist die Armutskultur, in der sie leben." Dabei gehe es nicht nur um Geld für Essen und Klamotten, sondern auch für Drogen. Außerdem hätten viele Jugendliche ein oberflächliches Verständnis von Erfolg, so Osafo. "Erfolg wird mit dem Zugang zu Vermögen gleichgesetzt. Unsere Jugendlichen denken: Wer Geld hat, ist auch erfolgreich."

Obwohl Ghana seit 2011 zu den Ländern mit mittlerem Einkommen zählt, sehen viele junge Menschen kaum Zukunftschancen. Laut Weltbank sind 11,5 Prozent der 15 bis 24-Jährigen arbeitslos. "Die Jugendlichen suchen in ihrer Verzweiflung nach dem einfachsten Weg, um Geld zu machen. Und die Betreiber von Spielstätten nutzen diese Not schamlos aus", sagt der muslimische Geistliche Sheik Aremeyaw. Er beobachtet diesen Trend mit Sorge. Gerade in sozialschwachen Kommunen wie Nima hätten Betreiber von Wettbüros und Casinos leichtes Spiel.

Die Arbeitslosigkeit in den Slums von Accra ist hochBild: picture-alliance/dpa/K. Ludbrook

Dabei gibt es in Ghana seit der Unabhängigkeit 1960 Gesetze, die das Glückspiel regulieren. Spielhallen, Wettbüros und Lotteriestände brauchen Lizenzen, um legal operieren zu können. Außerdem ist Glücksspiel für Minderjährige verboten. "Es ist wie so oft in unserem Land: Wir haben viele Gesetze auf dem Papier, die aber nicht durchgesetzt werden", klagt der Psychologe Osafo. Zwar hat das Innenministerium angekündigt, illegale Wettbüros zu schließen. Laut Osafo reicht das aber nicht, um das Problem in den Griff zu kriegen. "Wir brauchen dringend Aufklärung und die darf nicht bei den Jugendlichen enden." Auch die Eltern müssten besser über die Gefahren von Spielsucht informiert werden.

Hoffen auf den ganz großen Gewinn

"Ich will nicht, dass meine Eltern wissen, dass ich spiele. Sie würden sagen, ich soll damit aufhören." Iddrisu Musa senkt den Kopf. "Außerdem steht im Koran, dass Wetten eine Sünde ist." Auch der 19-jährige Baba Seidu hat schon oft versucht, gegen die Spielsucht anzukämpfen. Seine Mutter habe ihn gebeten, aufzuhören. "Aber ich kann nicht, ich bin doch immer noch arm. Wenn man einmal mit dem Wetten anfängt, ist es zu spät."

Joseph Osafo appelliert an die Politik, das Problem endlich ernster zu nehmen. "Spielsucht ist eine Sucht wie jede andere. Die Betroffenen brauchen psychologische Hilfe. Aber leider funktioniert unser Sozialsystem nicht so gut wie in westlichen Ländern." Es gebe kaum Hilfe für Jugendliche wie Seidu oder Musa. "Deshalb ist es wichtig, dass wir als Nation die soziale Ungerechtigkeit und Armut ansprechen", so Osafo. "Wenn wir das machen, dann werden viele Dinge, die als psychische Störung von Einzelpersonen gesehen werden, endlich als das behandelt, was sie tatsächlich sind: Soziale Krankheiten in einer Gesellschaft, die an der Moderne scheitert."

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