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Politik

"Ghettoisierte Muslime sind ein Riesenproblem"

24. Mai 2017

"Geschlossene Gemeinschaften von Muslimen haben die höchste Radikalisierungsrate", warnt die Politikwissenschaftlerin Elham Manea im DW-Gespräch. Die Muslima hat jahrelang islamische Gemeinschaften in England studiert.

Muslimische Frauen in London
Bild: picture-alliance/dpa/A. Rain

DW: Der Attentäter von Manchester ist in England geboren. So wie die vier Terroristen, die im Juli 2005 in London 52 Menschen getötet haben. Auch der Attentäter, der im März mit Auto und Messer fünf Menschen tötete, war ein einheimischer Terrorist. Sie haben für Ihr Buch über die Scharia-Räte muslimische Gemeinden in England erforscht. In welchem Ausmaß sind Ihnen dort Parallelgesellschaften mit eigenen Regeln und Verhaltensmaßstäben begegnet?

Elham Manea: Ich spreche lieber von "geschlossenen Gemeinschaften" in Bezug auf ghettoisierte Gruppen, die sich selbst entlang ethnischer und/oder religiöser Linien organisieren. Und die in einigen europäischen Ländern – speziell in Großbritannien – separate kulturelle und soziale Einheiten bilden. Und die speziell in England parallele Rechtsstrukturen haben. Und ja, solche geschlossenen Gemeinschaften habe ich beobachtet. Und sie sind ein Riesenproblem.

Hat jahrelang muslimische Gemeinden in England erforscht: Elham ManeaBild: Privat

Was genau sind die Probleme?

Grundsätzlich ist es nicht falsch, wenn es Gruppen mit unterschiedlichem Migrationshintergrund oder verschiedenen Glaubensrichtungen gibt. Aber die Zusammenballung von bestimmten ethnischen Gruppen mit bestimmten religiösen Vorstellungen in bestimmten Vierteln führt zu sozialen Problemen – vor allem mit der Verbreitung von fundamentalistischen Interpretationen des Islams in diesen Gemeinden.

Terrorismus kommt von innen, nicht von außen

Wenn wir von diesen geschlossenen Gemeinschaften sprechen: Wie wichtig ist es besonders für die Radikalisierteren unter ihnen sich abzukapseln und von der Mehrheitsgesellschaft fernzuhalten, weil sie mit den "Ungläubigen" nichts zu tun haben wollen?

Ja, dieses Verhalten gibt es. Ich muss aber darauf hinweisen, dass es geschlossene Gemeinschaften auch bei anderen Glaubensrichtungen gibt, etwa bei den Hindus in England – mit sozialen Problemen wie etwa bei der Gleichstellung der Geschlechter oder Zwangsehen. Aber wenn wir uns die geschlossenen Gemeinschaften islamischen Glaubens anschauen, dann kommt als zusätzlicher Faktor die Radikalisierung hinzu. Hier gibt es Strukturen, die Jugendliche von ihrer Umgebung isolieren und ideologisieren. Besonders bei den extrem orthodoxen Deobandi-Moscheen wird den Kindern in den Koran-Schulen erzählt, dass sie sich nicht wie die Ungläubigen benehmen sollen, dass sie sich von ihnen fernhalten sollen, dass sie sie nicht lieben sollen.

Wir können noch so viel Geld in die Bekämpfung des gewaltsamen Extremismus stecken - es wird nichts bringen, solange wir die nicht-gewalttätigen Formen des Islamismus ignorieren. Diejenigen, die sich als Selbstmordattentäter in die Luft sprengen sind lediglich am Endpunkt eines Radikalisierungsprozesses angelangt. Aber wir müssen uns auch ansehen, was vorher passiert ist! Aber dazu scheinen wir nicht bereit zu sein. Denn das würde ernste Fragen aufwerfen nach der Art von Integration, beziehungsweise dem Mangel davon. Fragen, nach den Strukturen, die wir haben, nach unserer Politik. Wir müssen die Wurzeln des Problems angehen, wenn wir den Terrorismus bekämpfen wollen. Denn er kommt nicht von außen, er kommt von innen.

Die Ghettos müssen enden

Wie sollte man den die Probleme an der Wurzel angehen?

Ich habe gerade die Koran-Schulen erwähnt. In meiner Sicht sollte jede Politikerin, jeder Politiker darauf bestehen, dass Koran-Schulen genauso wie Kindergärten einer staatlichen Aufsicht unterliegen. Jeder würde zustimmen, dass man in Kindergärten keine Hassbotschaften verbreiten darf. Aber sobald wir von einer Koran-Schule reden, sagt jeder uns, das sei eine No-Go-Zone. Es wird Zeit, dass wir wissen, was in den Koran-Schulen gelehrt wird. Wir müssen diese Ghettoisierung beenden. Und wir müssen die Strukturen auch der nicht-gewalttätigen Islamisten unter die Lupe nehmen. Da gibt es viele Fragen. Aber diese geschlossenen Gemeinschaften, diese Ghettos – das muss enden!

Dr. Manea, Sie haben gerade beschrieben, wie Selbstmordattentäter am Ende eines Radikalisierungsprozesses stehen. Bereiten diese geschlossenen Gemeinschaften denn einen fruchtbaren Boden für diese Art von Radikalisierung?

Ja! Wobei geschlossene Gesellschaften nicht per se zu Radikalisierung führen - wie man beim Blick auf andere Glaubensgemeinschaften sieht. Aber in geschlossenen Gemeinschaften islamischen Glaubens kommt es eher zu hohen Radikalisierungsraten. Eine in diesem Jahr in England veröffentlichte Studie belegt: Die meisten Kämpfer, die zum IS-ausgereist sind, kamen aus den ghettoisierten Gemeinschaften. Dort üben religiöse Führer eine starke Kontrolle aus, die nicht gerade Beispiele für Toleranz sind. In ihren Reden geht es um Abgrenzung und oft auch um Hass. Die kontrollieren diese geschlossenen Gesellschaften. Und das macht es möglich, dass sie ihre Ideologie an desillusionierte Jugendliche weiter geben.

 

Elham Manea jüngstes Buch wurde 2016 unter dem Titel "Women and Sharia Law" veröffentlicht. Das Buch basiert auf vierjähriger Untersuchung der britischen Scharia-Räte und ihrer Auswirkungen in den muslimischen Gemeinden Englands. Die jemenitisch-stämmige Muslima ist Privatdozentin am Institut für Politikwissenschaften der Universität Zürich.

Die Fragen stellte Matthias von Hein.

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