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Gibt es eine Lösung für Europas Renten-Dilemma?

Nik Martin
15. August 2024

Europa altert immer schneller - das stellt die Rentensysteme vor große Probleme. Während Regierungen deshalb das Rentenalter heraufsetzen wollen, fordern Sparer Flexibilität bei Investment und Renteneintritt.

Ältere Frau überprüft Bankkonto
Bild: Pond5 Images/IMAGO

In Europa tickt bereits Jahrzehnten eine "demografische Bombe": Die Gesellschaften in der EU werden älter, die Menschen leben länger. Mehr als ein Fünftel der EU-Bürger sind 65 Jahre alt oder älter - 2050 soll es bereits ein Drittel sein. Die Weltgesundheitsorganisation WHO warnt, dass 2024 in Europa mehr Menschen leben, die 65 Jahre und älter sind, als solche, die jünger als 15 sind.

Trotz der seit 20 Jahren steigenden Zahl von Zuwanderern braucht Europa noch weitere Arbeitskräfte, um mit deren Steuerzahlungen die steigenden Kosten der Altersversorgungen finanzieren zu können. Ökonomen sagen vorher, dass 2050 rechnerisch weniger als zwei Arbeitskräfte für jeden Rentenbezieher aufkommen müssen, gegenwärtig sind es drei.

Inzwischen haben in 17 der 27 EU-Staaten die jährlichen Aufwendungen für Rentenzahlungen der öffentlichen Hand mehr als zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) erreicht - nur eines dieser 17 Länder liegt nicht im Westen der Union. In Italien und Griechenland kosten die Rentenzahlungen die Finanzminister schon jetzt mehr als 16 Prozent des BIP.

Streit ums Renteneintrittsalter

Um sich die steigenden Aufwendungen leisten zu können, versuchen einige EU-Staaten ihre Rentensysteme anzupassen, indem sie das Renteneintrittsalter erhöhen. In Frankreich gab es beispielsweise über Monate hinweg Demonstrationen gegen Pläne der Regierung, den Renteneintritt um zwei Jahre nach hinten zu verschieben - von 62 auf 64 Lebensjahre.

Andere Länder gehen weiter: Im Vereinigten Königreich gibt es Pläne, die Menschen bis zum 68. Lebensjahr arbeiten zu lassen - das soll dann auch für Frauen gelten, die bislang bis zu sieben Jahre eher in Rente gehen können als Männer. Doch der Versuch, die Rentenbezugsalter anzugleichen, hat den Ruf nach Entschädigungen für die betroffenen Frauen laut werden lassen.

"Die Niederländer haben kürzlich ihr Rentensystem reformiert, aber das reicht nicht, die angestrebten Ziele zu erreichen", sagt Hans van Meerten, ein auf Rentenrecht spezialisierter Juraprofessor der Utrechter Universität, zur DW. "Auch in Deutschland, Belgien und vielen anderen europäischen Ländern kann ich die nötigen Reformen nicht erkennen. Dort gräbt man sich das eigene Grab."

Auch so, nämlich selbst und von daheim, könnte man seine Rente verwaltenBild: Andrey Popov/Depositphotos/IMAGO

Trotz der schon stark belasteten öffentlichen Haushalte in Europa sparen Millionen Menschen noch immer nicht genug in privaten Versicherungen oder freiwilligen Betriebsrenten, die ihre staatlichen Alterseinkünfte ergänzen können. Eine Meinungsumfrage der EU-Kommission im vergangenen Jahr zeigte, dass nur 23 Prozent der EU-Bürger Beiträge in eine freiwillige Betriebsrente und gerade einmal 19 Prozent in eine private Rentenversicherung einzahlten.

Eine andere Untersuchung, durchgeführt von der Non-Profit-Organisation Insurance Europe, einer Vereinigung von 37 Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen, fand heraus, dass 39 Prozent der von ihnen befragten Arbeitnehmer für ihre Altersversorgung gar nichts ansparen. Bei Frauen und Menschen über 50 Jahren seien es besonders viele. Und viele, die selbständig ansparen, sind von den Renditen ihrer Investitionen frustriert.

Altersarmut - auch im reichen Deutschland nicht selten, wenn die Rente einfach nicht ausreichtBild: DW

Inflation bestraft Sparer

"In den vergangenen zehn Jahren hat sich die europäische Rentenkrise deutlich verschlimmert - durch die lang anhaltend niedrigen Zinsen, die die Inflationsverluste nicht hatten ausgleichen können", sagt Arnaud Houdmont von der Brüsseler NGO Better Finance, die die Interessen von EU-Bürgern gegenüber Finanzdienstleistern vertritt, zur DW. "Das hat zu einem Kaufkraftverlust der Sparer geführt."

Eine Analyse des Finnischen Zentrums für Renten kam zum Ergebnis, dass 2023 die Renditen von Pensionsfonds weltweit im Schnitt bei acht Prozent gelegen haben - nominal. Real - also nach Berücksichtung der hohen Inflation, blieben davon nur noch zwei Prozent Rendite übrig. Laut Houdmont sind außerdem hohe Gebühren, schlechte Anlagestrategien und ein Mangel an Transparenz für die schwachen Ergebnisse verantwortlich.

PEPP, die sehr geheime Alternative

Um dem entgegenzuwirken, hatte die EU im März 2022 PEPP (Pan-Europäisches privates Pensionsprojekt) ins Leben gerufen. Das erlaubt Arbeitnehmern, eine zusätzliche Altersversorgung aufzubauen, die sie auch beim Umzug in ein anders EU-Land mitnehmen können. Allerdings hat mit der Slowakei bislang nur ein Mitgliedsstaat dieses Programm aufgelegt.

"PEPP ist nun seit zweieinhalb Jahren in Kraft", so van Meerten. "Aber die großen Versicherungsfonds sagen, sie hätten gar nicht die Expertise, das Programm allein umzusetzen und sie suchten noch andere Partner."

Das Problem von PEPP sei nach Ansicht einiger Rentenexperten, dass es zu kompliziert sei und den Wettbewerb behindere. PEPP wird als unerwünschter Wettbewerber geschmäht, insbesondere von den großen Investmentfonds wie Black Rock oder Fidelity, zu deren Kunden niederländische, norwegische und deutsche Rentenversicherer zählen, die viele Millionen Sparer vertreten. 

Van Meerten tritt dafür ein, PEPP zu vereinfachen und flexibler zu gestalten, weil einige EU-Staaten dem neuen Projekt nicht die gleichen Steuervorteile einräumen wie anderen Rentensparprogrammen.

In einigen EU-Ländern gibt es große Unternehmen, etwa aus der deutschen Chemie- und Metallindustrie oder bei der französischen Eisenbahn, die eine eigene Betriebsrente anbieten. Fast 60 Prozent der deutschen Arbeiter, die privat eine solche Zusatzrente ansparen, nutzen ein solches Angebot. Das bietet beispielsweise körperlich schwer arbeitenden Menschen oft - neben anderen Vorzügen - die Möglichkeit, früher "in Rente zu gehen".

Neobroker wie Trade Republic aus Berlin vereinfachen FinanzdienstleistungsangeboteBild: Michael Bihlmayer/Chromorange/picture alliance

Ruf nach flexibleren Rentenmodellen

Verbraucher fordern immer stärker mehr Flexibilität bei ihrer Rente ein. Das zeigt auch der Erfolg neuer Finanzdienstleister wie Robinhood, eToro und der Berliner Bank Trade Republic, die ihren Kunden die Möglichkeit einräumen, ihr Investment auch per Smartphone-App zu verwalten.

Traditionelle Finanzdienstleister warnen, dass die mobilen Investment-Apps die Kunden dazu verleiten, uninformiert unnötige Risiken einzugehen, die ihre langfristigen Renditeziele gefährden. Die Befürworter halten dagegen, die neuen Anbieter machten Investments einfacher, billiger und transparenter.

In Zukunft könnten mehr Regierungen in der EU etwa dem Beispiel Schwedens folgen und es Arbeitnehmern erlauben, einen Teil ihrer staatlichen Renten direkt am Aktienmarkt zu investieren.

Van Meerten erwartet, dass Arbeitnehmer motivierter seien zu sparen, wenn sie mehr Mitspracherechte erhielten, wie ihr Geld angelegt wird und wann sie tatsächlich in Rente gehen. Mit Blick auf Rentenprogramme von Gewerkschaften fragt van Meerten: "Wollen Sie "grüne" Investitionen? Wollen Sie in Israel investieren oder nicht? Lassen Sie das das Individuum entscheiden! Warum sollten Sozialpartner oder Gewerkschaften das für Sie tun?"

Houdmont von Better Finance warnt vor dem nicht fernen Tag, wenn die Lasten von öffentlichen zu privaten Rentenversicherern geschoben werden - dazu seien die Sparer noch nicht bereit: "Es sieht ganz danach aus, dass die nächste Generation europäischer Rentner deutlich weniger Leistungen beziehen und später in Rente gehen werden, als dies heute der Fall ist."
 

Dieser Beitrag wurde aus dem Englischen adaptiert.

 

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