Giftschlamm-Spuren im Flusswasser messbar
7. Oktober 2010Fast drei Tage nach dem Unfall in einer ungarischen Aluminiumfabrik hat ein Teil des ausgelaufenen Giftschlamms wohl am Donnerstag (07.10.2010) den Donau-Zufluss Raab und andere Nebenläufe der Donau erreicht. Das berichten verschiedene Nachrichtenagenturen. Der Laugengehalt im Wasser des Stromes sei leicht erhöht, wird ein Vertreter der Wasserbehörde zitiert. Ob auch eine Gefährdung der rund 70 Kilometer vom Unfallort entfernten Donau selbst besteht, ist noch unklar. Mit der Verseuchung des Donauwassers mit dem giftigen Bauxit-Schlamm würden sich die schlimmsten Befürchtungen über die Auswirkungen der Katastrophe von Montag bestätigen.
Etwa 1,1 Millionen Kubikmeter Giftschlamm hatten sich in den umliegenden Dörfern ausgebreitet, nachdem ein Auffangbecken einer Aluminiumfabrik in Ajka - etwa 165 Kilometer westlich von Budapest - geborsten war. Der bis zu zwei Meter rote Schlammteppich begrub Autos unter sich, überschwemmte Häuser und machte Straßen unpassierbar.
Lange Aufräumphase
Die ungarische Regierung hat die von der betroffenen Bewohner auf eine lange Aufräumphase eingestellt. "Die Reinigung und der Wiederaufbau könnten Monate, vielleicht sogar ein Jahr dauern", sagte Ungarns Umweltstaatssekretär Zoltan Illes den Medien. Wegen des Ausmaßes der Katastrophe gilt für die betroffenen Gebiete der Notstand. Einige Bewohner bezweifeln, ob sie überhaupt in ihre Häuser zurückkehren können.
Greenpeace sieht die größte potenzielle Bedrohung in einer Verseuchung des Grundwassers. Und auch die landwirtschaftlichen Flächen seien voraussichtlich für Jahre nicht mehr brauchbar, sagte Umweltexperte Steffen Niechtenberger. Wenn der Schlamm trockne, entstünden durch den Staub, der sich in alle Himmelsrichtungen verteile, zusätzliche Probleme.
Auch die Regierung in Budapest ist sich dieser Gefahren bewusst. Vorsichtshalber dürften die Bewohner der betroffenen Regionen im Westen des Landes ihre Brunnen nicht benutzen. Auch das Ernten von Lebensmitteln sowie das Jagen und Fischen seien verboten, sagte eine Sprecherin der Katastrophenschutzbehörde. Die giftige Brühe hat sich bei dem Chemie-Unglück am Montag über ein Gebiet von geschätzten 40 Quadratkilometern ergossen.
Mit Hochdruckreinigern gegen den Giftschlamm
Die Einsatzkräfte haben in den verwüsteten Dörfern inzwischen mit den Aufräum- und Säuberungsarbeiten begonnen, ausgerüstet mit Hochdruckreinigern und anderem Spezialgerät. Damit die betroffenen Bewohner wenigstens für kurze Zeit in ihre Häuser zurückkehren und persönliche Dinge holen können, bauten Soldaten in der Ortschaft Kolontár eine provisorische Brücke über den Schlamm. Unter Hochdruck versuchen die Einsatzkräfte außerdem, die Flüsse zu reinigen. Sie schütteten Gips in die Gewässer, um den Schlamm zu binden.
Illes sprach von "vielen Millionen Euro" an Folgekosten der Katastrophe. Wenn das verantwortliche Unternehmen die finanziellen Mittel nicht aufbringen könne, werde die ungarische Regierung einspringen, versprach er. "Oder wir müssen die Europäische Union um Hilfe bitten." Die EU bot dem Mitgliedsland bereits Unterstützung an. EU-Sprecher Joe Hennon sagte am Mittwoch in Brüssel, man sorge sich nicht nur um die Umwelt in Ungarn, sondern auch in den anderen Donau-Anrainerstaaten. EU-Umweltkommissar Janez Potocnik forderte Ungarn auf, "alles nur irgend Mögliche" zu tun, um ein Übergreifen der Umweltkatastrophe auf andere Länder zu verhindern. Die Donau fließt von Ungarn durch Rumänien, Bulgarien und die Ukrainie, bevor sie das Schwarze Meer erreicht.
"Nun ist alles verloren"
Bei den Bewohnern in den betroffenen Ortschaften sitzt der Schock immer noch tief. Die 61-jährige Erzebet Veingartner aus Kolontár berichtet, sie sei gerade in ihrer Küche gewesen, als die Flutwelle ihr Haus traf. "Ich habe aus dem Fenster geschaut, und alles was ich sah, war ein zu einer Welle anschwellender Strom", sagt die Witwe, die mit umgerechnet rund 250 Euro im Monat auskommen muss. "Ich habe meine Hühner verloren, meine Enten, meinen Rottweiler und meinen Kartoffelacker. Die Werkzeuge und die Maschinen meines verstorbenen Mannes waren im Schuppen, und nun ist alles verloren." Doch sie hat überlebt. Andere konnten sich nicht mehr vor der plötzlich anrollenden Schlammlawine retten.
Mindestens vier Menschen wurden bei dem Unglück getötet, unter ihnen ein 14 Monate altes Mädchen. Drei Personen werden noch vermisst. Mehr als 120 Menschen wurden nach Angaben der Behörden verletzt. Die meisten von ihnen hätten Verbrennungen erlitten. Acht Verletzte schwebten noch in Lebensgefahr.
Analyse des Giftschlamms steht noch aus
Noch ist nicht klar, welche Giftstoffe genau in dem Rotschlamm sind. Die Analyse werde erst am Freitag vorliegen, sagte Greenpeace-Experte Nichtenberger. "Wir befürchten, dass Schwermetalle wie Arsen, Blei und Quecksilber sich darin befinden", so der Umweltexperte. Die unmittelbare Gefährdung für die Menschen vor Ort bestehe in Verätzungen sowie Haut- und Augenreizungen. "Giftige Dämpfe reizen die Schleimhaut", erläuterte Nichtenberger.
Die Einsatzkräfte wurden deshalb mit vollständiger Schutzkleidung und Atemmasken ausgerüstet. Die haben die Bewohner jedoch nicht, die etwa mit Schneeschaufeln versuchten, den dicken, roten Schlamm aus ihren Häusern und von ihren Grundstücken zu entfernen. Sie trugen als Schutz zum Teil nur Gummihandschuhe.
Verdacht der Fahrlässigkeit
Die Regierung in Budapest geht davon aus, dass die Katastrophe durch menschliches Versagen ausgelöst wurde. Es gehe um den Verdacht der Fahrlässigkeit, sagte eine Sprecherin. Der nationale Polizeichef Jozsef Hatala habe die Ermittlungen übernommen. Die Produktion in dem Werk wurde vorerst gestoppt, sie soll nach Angaben des Unternehmens aber bereits am Wochenende wieder aufgenommen werden.
Autorin: Ursula Kissel (dapd, afp, rtr)
Redaktion: Marion Linnenbrink