1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Gipfel der Schicksalsfragen

28. Juni 2018

Dramatische Worte werden für diesen Europäischen Rat bemüht, nicht zuletzt von Bundeskanzlerin Angela Merkel selbst. Vom Ausgang des Treffens dürfte auch ihre Zukunft abhängen. Christoph Hasselbach berichtet aus Brüssel.

Belgien, Brüssel: Merkel Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs
Bild: picture-alliance/dpa/O. Matthys

Jeder weiß, was bei diesem Gipfel auf dem Spiel steht, auch die Bundeskanzlerin. Bereits in ihrer Regierungserklärung am Morgen hatte sie gesagt: "Europa hat viele Herausforderungen, aber die der Migration könnte zu einer Schicksalsfrage für die Europäische Union werden." Sie weiß auch, dass es um ihr eigenes politisches Schicksal geht. Kehrt sie mit keinem befriedigenden Ergebnis einer "europäischen Lösung" der Flüchtlingsfrage zurück, könnte Innenminister Horst Seehofer von der bayerischen Schwesterpartei CSU eigenmächtig Migranten an der deutschen Grenze zurückweisen lassen, die schon in einem anderen EU-Land registriert sind. Macht er seine Drohung wahr, könnte das den Bruch der Koalition, das politische Ende Merkels und vielleicht Neuwahlen bedeuten – mit unabsehbaren Folgen nicht nur für Deutschland, sondern auch für die Stabilität der Europäischen Union.

Merkel hat zwar selbst vor zu hohen Erwartungen gewarnt, war aber in der Regierungserklärung auch ihren Kritikern entgegengetreten: "Jetzt sagen viele: Die europäische Lösung kommt nicht, da warten wir schon drei Jahre drauf." Das sei falsch, in ihren Augen hat Europa schon viel erreicht. Und: "Alle in Europa sind sich einig: Es geht darum, illegale Migration zu reduzieren, Schleppern und Schleusern das Handwerk zu legen."

Aufnahmezentren in Nordafrika

Das ist tatsächlich inzwischen der große Konsens in der EU: Migranten sollen möglichst gar nicht erst europäischen Boden betreten. Die EU müsse entscheiden, wer nach Europa komme, hatte Ratspräsident Tusk in seinem Einladungsschreiben gesagt. "Wenn wir dieses Ziel nicht erreichen, wäre das ein Zeichen unserer Schwäche." Das Wort "Abschottung" oder "Festung Europa", das jahrelang einen stark negativen Beigeschmack hatte, ist zum großen gemeinsamen Ziel aller EU-Regierungen geworden.

Händchenhalten mit Macron. Aber Merkel hat nicht mehr viele UnterstützerBild: Reuters/Y. Herman

Sogar Merkel sagte bei ihrer Ankunft in Brüssel, man könne "Seeanlandungen" in Nordafrika "versuchen", allerdings nur in Abstimmung mit den betroffenen Ländern. Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz jubelt über die Idee: "Das ändert alles." Dann könne man auch "das Ertrinken im Meer beenden". Schon jetzt haben aber so gut wie alle Länder, die dafür in Frage kommen, abgesagt, sowohl Länder auf dem westlichen Balkan wie Albanien als auch nordafrikanische Staaten wie zuletzt noch einmal Libyen und Tunesien. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker warnte auch vor einer "neokolonialen" Attitüde gegenüber diesen Ländern.

Und selbst Einigkeit über eine "Festung Europa" nützt Merkel wenig in ihrer Regierungskrise zuhause. Denn das Problem der Zurückweisungen ist damit noch nicht gelöst. Im Entwurf der Gipfelerklärung wird gewarnt, diese sogenannte Sekundärmigration könne wegen nationaler Grenzkontrollen auch die Reisefreiheit im Schengen-Raum gefährden. Die Mitgliedstaaten sollten "alle notwendigen internen gesetzlichen und verwaltungstechnischen Maßnahmen" ergreifen, um diese zu verhindern. Gedacht ist dabei an bi- oder trinationale Rückführungsabkommen.

Italien bleibt stur

Die Bereitschaft ist aber gering. Zwar zeigen einige Regierungschefs Verständnis für Merkels Not, so die Ministerpräsidenten Spaniens, Finnlands, Griechenlands und Luxemburgs. Der Luxemburger Xavier Bettel findet: "Ich verstehe, wenn Deutschland sagt: 'Warum müssen wir uns um alles kümmern?'" Der Grieche Alexis Tsipras sagte der "Financial Times": "Wenn es hilft, macht es uns nichts aus, dass wir vielleicht einige Rückführungen aus Deutschland haben werden." Er denkt aber offenbar an nicht sehr viele.

Auf der anderen Seite gibt es zum Teil kategorischen Widerstand gegen jede Form der EU-internen Flüchtlingsumverteilung, und zwar nicht nur im östlichen Europa, sondern seit dem Antritt der neuen rechtsgerichteten italienischen Regierung auch von diesem Schlüsselland, mit dem sich Merkel vor allem einigen müsste. Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte drohte sogar, sein Veto gegen eine Gipfelerklärung einzulegen, die Italien nicht entlaste. Innenminister Matteo Salvini hatte kürzlich zur Möglichkeit einer Rücknahme von Asylbewerbern aus Deutschland gesagt: "Wir können keinen einzigen aufnehmen."

Italiens Premier Conte droht mit seinem VetoBild: Reuters/Y. Herman

Viele meinen auch mit einer gewissen Häme - und der österreichische Bundeskanzler Kurz sagt es sogar ganz offen -, es gehe hier um ein Problem, dass Merkel mit ihrer liberalen Flüchtlingspolitik 2015 erst ausgelöst habe. So ist der Gipfel auch eine Abrechnung mit ihrer Politik. Andererseits wissen auch alle Regierungschefs, wie gefährlich ein instabiles Deutschland für ganz Europa werden könnte, zumal auch die Welt um Europa herum immer unruhiger wird. EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani sagte dem "Handelsblatt", das ungelöste Migrationsproblem bedrohe die Stabilität der EU inzwischen mehr als es die Eurokrise je getan habe: "Ich bin besorgt, die Situation ist sehr gefährlich." 

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen