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PolitikEuropa

Genfer Gipfel: Guter Ton, wenig Konkretes

16. Juni 2021

Das Gipfeltreffen der Präsidenten der USA und Russlands verlief "konstruktiv" und in "gutem Ton". Viel Bewegung in der Sache gab es wie erwartet nicht. Ein "strategischer Dialog" soll starten. Aus Genf Bernd Riegert.

Schweiz l Biden und Putin treffen sich in Genf l Begrüßung
Geschäftsmäßig: Freunde werde Präsident Putin (li.) und Präsident Biden nicht so schnellBild: Patrick Semansky/AP/picture alliance

Die beiden größten Nuklearmächte der Welt wollen ihr Verhältnis offenbar weiterhin aufpolieren. Nach dem Treffen der beiden Staatsoberhäupter im neutralen Genf in der Schweiz sagte Russlands Präsident Vladimir Putin über sein Gegenüber: "In seinen Augen habe ich einen Funken von Hoffnung gesehen." Der neue amerikanische Präsident sei sehr erfahren, ausgeglichen und professional, teilte Putin den Journalisten nach dem Treffen mit: "Wir sprechen die gleiche Sprache. Das heißt nicht, dass wir uns in die Augen schauen und Seelen finden oder uns ewige Liebe schwören."

Der amerikanische Präsident Joe Biden beschrieb seinen Eindruck in einer getrennten Pressekonferenz etwas nüchterner: "Vertrauen? Es geht nicht um Vertrauen, sondern um Interessen und die Überprüfung von eigenen Interessen", sagte Biden. "Ich bin nicht zuversichtlich, dass Wladimir Putin sein Verhalten ändert." Es sei aber wichtig gewesen, sich persönlich zu treffen. "Der Ton des Treffens war positiv, es gab keine gegenseitigen Vorwürfe."

Strategischer Dialog soll starten

Ein erstes Zeichen für die Wiederannäherung ist, beide Präsidenten ihre Botschafter wieder nach Washington und Moskau entsenden wollen. Putin hatte seinen Vertreter zurückgerufen, nachdem US-Präsident Joe Biden ihn im März in einem TV-Interview einen "Killer" genannt hatte, der offensichtlich Oppositionelle beseitigen lasse. Die USA hatten ihren Botschafter ebenfalls zu Beratungen nach Hause geholt.

Putin in seiner Pressekonferenz: Es geht nicht um LiebesschwüreBild: Denis Balibouse/REUTERS/AP/picture alliance

Das wichtigste Ergebnis aus US-Sicht ist die Vereinbarung, einen strategischen Dialog zu starten, der in Verhandlungen über Rüstungskontrolle münden könne, sagte Joe Biden: "Es geht darum, eine direkte Kommunikation zu haben, um eine unbeabsichtigte Eskalation von Konflikten zu verhindern."

Putin betonte, die USA und Russland hätten eine Verantwortung für die Stabilität in der Welt, weil sie die größten strategischen Mächte seien. Er lobte, dass Präsident Biden gleich zu Beginn seiner Amtszeit im Januar das "New START"-Abkommen um fünf Jahre verlängert hatte. Das gibt beiden Seiten Zeit, über neue Rüstungskontroll-Verträge zu sprechen. In drei bis sechs Monaten könne es erste Ergebnisse geben, sagte US-Präsident Biden.

Streit um Menschenrechte und Oppositionelle

Völlig unterschiedliche Auffassungen gibt es über Menschenrechtsverletzungen, die Unterdrückung von Oppositionellen und die Inhaftierung des Oppositionellen Alexej Nawalny in Russland. Präsident Biden sagte, er habe Putin klargemacht, dass er sich immer wieder für Menschenrechte einsetzen werde und das immer wieder ansprechen werde. "Das geht gar nicht anders, weil es das ist, was uns ausmacht."

Der inhaftierte oppositionellen Russe Alexej Nawalny: Beim Thema Menschenrechte gab es keine AnnäherungBild: Moscow City Court Press Service/TASS/dpa/picture alliance

Auch zum Konflikt in der Ukraine, wo Russland Separatisten unterstützt und die Halbinsel Krim annektiert hat, gibt es offenbar keine Annäherung. In seiner Pressekonferenz drehte Wladimir Putin den Spieß um und warf den USA vor, sie würden indirekt den Konflikt in der Ukraine schüren und ihrerseits Menschenrechte in Irak, Afghanistan oder Guantanamo-Bay mit Füßen treten. Amerikanische Nichtregierungs-Organisationen würden versuchen, den russischen Staat zu schwächen. Für den Tiefpunkt in den gegenseitigen Beziehungen gab Putin den USA die Schuld. "Die USA haben diesen Tiefpunkt verursacht, nicht wir."

Joe Biden konterte auf entsprechende Fragen in seinem Auftritt vor der Weltpresse: "Das ist einfach lächerlich!" Das Ansehen Russlands in der Welt sinke, so Biden, und Präsident Putin wisse das sehr wohl.

Arbeitsgruppe zu Hacker-Attacken

Beide Präsidenten sprachen über mutmaßlich russische Hackerangriffe, die amerikanische Einrichtungen treffen, um Lösegeld zu erpressen. Der russische Machthaber Putin wies alle Vorwürfe zurück, dass die Angriffe aus Russland oder von der Regierung kämen, und behauptete, Russland habe immer auf entsprechende Anfragen amerikanischer Ermittlungsbehörden geantwortet.

Präsident Biden vor der Presse: Ich bin nicht zuversichtlich, dass Putin sich ändertBild: Kevin Lamarque/REUTERS

Die USA hingegen hätten bislang keine Anfragen über mögliche Hackerangriffe aus Amerika auf russische Ziele beantwortet. Präsident Biden reagierte mit einer kaum verhüllten Drohung: Er habe der russischen Seite eine Liste mit 16 lebenswichtigen Bereichen in den USA überreicht, die nicht von Erpressungs-Software attackiert werden dürften. Geschehe dies, würden die USA entsprechend zurückschlagen. Wie genau, ließ Joe Biden offen. "Er weiß, dass wir dazu in der Lage sind", sagte Biden vieldeutig. Beide Seiten stimmten jedoch der Einrichtung einer Arbeitsgruppe zu, die sich mit Cyber-Sicherheit beschäftigen soll.

Kein Vergleich zu Helsinki 2018

Die amerikanische Seite hatte auf getrennten Pressekonferenzen nach dem Gipfeltreffen bestanden. Russlands Präsident stimmte zu, als erster vor die Weltöffentlichkeit zu treten und beantwortete eine Stunde lang Fragen. Das gab Joe Biden Gelegenheit, auf die Darstellung seines Sparringspartners zu reagieren und quasi "das letzte Wort" zu haben. Auf jeden Fall sollte ein Auftritt wie vor drei Jahren verhindert werden, als Putin den damaligen Präsidenten Donald Trump in Helsinki in einer gemeinsamen Pressekonferenz vorführte und ziemlich schwach aussehen ließ. Putin sagte über den amerikanischen Präsidenten Joe Biden mit einem Lächeln: "Er ist ganz anders als Donald Trump."

Donald Trump und Wladimir Putin trafen sich 2018 in HelsinkiBild: Leonhard Foeger/REUTERS

In Helsinki sprachen Putin und Trump völlig alleine mit nur einem Dolmetscher. Niemand führte Protokoll. Bis heute ist nicht bestätigt, was tatsächlich besprochen wurde. Für Aufsehen sorgte Trumps Aussage, er traue Putin mehr als seinen eigenen Geheimdiensten. Trump konstatierte, Russland habe sich nicht in die Wahlkämpfe in den USA eingemischt, was Biden völlig anders sieht.

"Amerika ist wieder da"

Diesmal sprachen die beiden Präsidenten in der Villa La Grange am Genfer See nicht alleine miteinander. Minister, Berater und Experten waren über Stunden mit von der Partie. Beide Seiten vereinbarten, auf unteren Ebenen Arbeitsgruppen einzusetzen, um Gespräche über eine lange Liste von Problemen zu beginnen, bestätigte Präsident Putin.

Schwer bewachte Gipfel-Villa in Genf: Fünf Stunden wurde hier getagt, die Stadt stand still im VerkehrschaosBild: SEBASTIEN BOZON/AFP

Am Ende seiner Pressekonferenz zog Joe Biden eine Bilanz seiner einwöchigen Europareise mit vier Gipfeltreffen - mit demokratischen Verbündeten und dem russischen Präsidenten, der als autokratischer Gegner angesehen wird. Dabei sei ihm klar geworden, das Russland keinen neuen Kalten Krieg wolle. Man habe bei allen Konflikten auch gemeinsame Interessen. Biden erwähnte die Konkurrenz zu China, das schließlich eine lange Grenze mit Russland habe. "Amerika ist wieder da", resümierte Biden. "Wir stehen zusammen mit unseren Verbündeten und legen eine klare Basis für die Beziehungen zu Russland."

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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