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Gipfel unterbrochen: Basar in Brüssel

Bernd Riegert7. März 2016

Die EU braucht Hilfe von der Türkei in der Flüchtlingskrise. Ankara will sich die möglichst teuer bezahlen lassen. Beim Sondergipfel wird jetzt gefeilscht. Die Beratungen werden lange dauern. Bernd Riegert aus Brüssel.

Brüssel Flaggen EU Türkei Symbolbild Belgien
Bild: picture-alliance/dpa/Landov

Die Verhandlungen mit der Türkei über die Rücknahme von Flüchtlingen und Migranten würden schwierig, hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Beginn des Sondergipfels in Brüssel am Vormittag orakelt. Und sie hat Recht behalten. Während eines gemeinsamen Mittagessens mit den 28 Regierungschefs der EU präsentierte der türkische Ministerpräsident Ahmed Davutoglu eine Liste mit neuen Gegenleistungen und Vorschlägen.

Angeblich will die Türkei mehr als die bislang vereinbarten drei Milliarden Euro für die Flüchtlingshilfe im eigenen Land herausschlagen. Der EU-Türkei-Gipfel wurde daraufhin unterbrochen. Premierminister Davutoglu besucht derweil das NATO-Hauptquartier in Brüssel. Zum Abendessen will er zurück an den Verhandlungstisch kommen. Die Pause nutzen die EU-Chefs, um die neue Wendung zu beraten. Pressekonferenzen wurden abgesagt. "Das kann jetzt bis weit nach Mitternacht dauern", schätzte ein erfahrener EU-Diplomat.

Davutoglu: Neue Liste für die VerhandlungspartnerBild: picture-alliance/dpa/S. Lecocq

"Europa braucht die Türkei"

Milde lächelnd und sehr selbstbewusst hatte sich der türkische Premierminister Ahmed Davutoglu schon beim Betreten des Gipfelgebäudes der Presse gezeigt. "Es ist klar, dass die Türkei für Europa unentbehrlich ist", sagte Davutoglu mit Blick auf die Flüchtlingskrise. Ob er dem Wunsch der EU entsprechen wird und Migranten in großer Zahl aus Griechenland in die Türkei zurückholt, ließ Davutoglu offen. Am Sonntag hatte er darüber in der türkischen EU-Vertretung in Brüssel fast sechs Stunden lang mit Bundeskanzlerin Angela Merkel bis tief in die Nacht verhandelt. "Nein, dabei wurde kein Döner serviert", meinte ein entnervter EU-Diplomat auf die Frage eines Journalisten nach der Verpflegung. Das war scherzhaft gemeint, denn beim letzen EU-Verhandlungsmarathon vor gerade einmal zweieinhalb Wochen hatte sich Angela Merkel eine herzhafte Pause an einer belgischen Frittenbude gegönnt.

Beim letzten Gipfel gab es noch Fritten: Merkel in der MitteBild: Reuters/R.-J. Bartunek

Schlüsselrolle für die Türken

In der Döner-Frage steckt ein wahrer Kern, denn die Bundeskanzlerin und mit ihr die EU sind große Schritte auf die Türkei zugegangen, um deren Kooperation in der Flüchtlingsfrage und einen besseren Schutz der EU-Grenze in der Ägäis zu erreichen. "Das ist einer der wichtigeren Gipfel", sagte Merkel vor Beginn des Treffens. Der Türkei komme eine "Schlüsselrolle" zu. Die Türkei solle dabei helfen, die "illegale Migration" in die EU zu stoppen und die Lebensverhältnisse der Flüchtlinge in der Nähe ihrer Heimat zu verbessern. Alle 28 EU-Staaten müssten Verbesserungen für alle Staaten anstreben, also auch für Griechenland. Dort sind derzeit rund 35000 Flüchtlinge gestrandet, weil die mazedonische Grenze geschlossen ist.

Merkel: Griechenland muss geholfen werdenBild: Reuters/F. Lenoir

Balkanroute bleibt zu

Die Fluchtroute über den Balkan nach Österreich und weiter nach Deutschland soll weiter geschlossen bleiben. "Die Route ist geschlossen", sagte der französische Präsident Francois Hollande. "Wir müssen jetzt Solidarität mit Griechenland und der Türkei zeigen. Diese Maßnahme Österreichs und der Balkanstaaten war von Deutschland noch als "einseitig" und "nicht nachhaltig" kritisiert worden, jetzt wird sie offizielle EU-Politik. Die fast vollständige Schließung der Einreisemöglichkeit von Griechenland nach Mazedonien stellt Griechenland vor das Problem, erstmals Tausende von Flüchtlingen dauerhaft unterbringen zu müssen. "Das Durchwinken ist vorbei", sagte der österreichische Außenminister Sebastian Kurz gestern im ARD-Fernsehen. Das war bereits vom letzten EU-Gipfel beschlossen worden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel widerspricht: "Für alle Länder inklusive Griechenland kann es nicht darum gehen, dass irgendetwas geschlossen wird, sondern darum, dass wir zusammen mit der Türkei eine nachhaltige Lösung finden."

Türkei bereit zur EU-Mitgliedschaft

Die Türkei fordert von der EU für ein Zurückhalten von Migranten einige Gegenleistungen. Neben Geld und politischer Anerkennung vor allem so genannte Kontingente. Die EU soll Kontingente von syrischen Flüchtlingen aus der Türkei ausfliegen und auf ihre Mitgliedsstaaten verteilen. Türkische Offizielle erklärten, dabei gehe es um rund 1000 Menschen pro Tag, also 365000 im Jahr. Bislang war die EU, weil die große Mehrheit der Mitgliedsstaaten eine Verteilung ablehnt, zu solchen Zusagen nicht bereit.

Schulz: Er war anderer MeinungBild: Getty Images/AFP/S. de Sakutin

Ahmed Davutoglu, der türkische Premier, ließ sich nicht in die Karten schauen, wie seine Verhandlungstaktik aussieht oder welche konkreten Wünsche er an die EU formuliert hat. "Wir sind alle Kollegen hier, die Schulter an Schulter stehen", sagte Davutoglu. "Die Türkei ist mehr als bereit, mit allen zusammen zu arbeiten. Die Türkei ist bereit, ein Mitglied der Europäischen Union zu sein." Es gehe ihm nicht nur um Migrationspoltik, sondern auch um bessere Beziehungen der Türkei zu Europa. Ein formaler Schritt ist nach Meinung des türkischen Regierungschefs schon gemacht, denn "dies ist ja immerhin schon der zweite EU-Türkei-Gipfel in drei Monaten."

Kritik an Ankara fällt milde aus

Zwar hat die EU der Türkei eine Beschleunigung der Beitrittsverhandlungen angeboten, aber eine echte Mitgliedschaft sehen viele Staats- und Regierungschefs kritisch. Denn das Vorgehen der türkischen Regierung gegen die Kurden und die Verletzungen der Presse- und Meinungsfreiheit passen nicht zu einem EU-Betrittskandidaten. Kritik an der zunehmend autoritärer agierenden Führung in der Türkei wird in Brüssel zurzeit nur zurückhaltend geübt. Nur der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, sagte, er habe die Situation nach der gewaltsamen Schließung einer regierungskritischen Zeitung in Istanbul angesprochen. "Ich habe für das Europäische Parlament gesagt, dass Medienfreiheit ein Kernelement der EU ist", beschrieb Schulz seinen Dialog mit dem türkischen Premierminister. Ahmed Davutoglu hat darauf hingewiesen, dass ein unabhängiges Gericht, die Zwangsverwaltung der Zeitung angeordnet habe. "Er war natürlich anderer Ansicht als wir", so Martin Schulz. Der für seine klaren und scharfen Worte bekannte Parlamentspräsident hielt sich auffällig zurück. Francois Hollande, der französische Präsident, will immerhin "wachsam" die Entwicklung der Pressefreiheit in der Türkei begleiten.

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