Gipfeltreffen auf Trinidad
18. April 2009Die Gipfel-Agenda ist breit gefächert und reicht von neuen energiepolitischen Konzepten und ihren ökonomischen und ökologischen Auswirkungen bis zum Kampf gegen das organisierte Verbrechen und den Drogenschmuggel, vom Problem der innerregionalen Migration und dem Rückgang der Rücküberweisungen aus den USA nach Lateinamerika und in die Karibik.
Berechnungen der Interamerikanischen Entwicklungsbank BID belegen, dass die Rücküberweisungen im Jahr 2008 einen Rekordwert von über 69 Milliarden Dollar erreicht haben. Seit dem Ausbruch der Finanzkrise verzeichnen die Empfängerländer jedoch einen empfindlichen Rückgang der Devisen.
Doch im Mittelpunkt des internationalen Interesses stehen eigentlich ganz andere Aspekte: Es geht um die Frage nach der neuen Lateinamerikapolitik der USA, nach einer möglichen vollständigen Aufhebung des Kuba-Embargos sowie nach Auswegen aus der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise.
Unumgängliche Themen
"Lateinamerika wird mit großer Aufmerksamkeit verfolgen, was Obama sagt, und vor allem wie er es sagt", meint Klaus Bodemer vom GIGA-Institut für Lateinamerika-Studien in Hamburg. "Auch für Europa ist es wichtig, ob die USA eine neue Lateinamerikapolitik formulieren oder zumindest die Absicht haben, dies zu tun, denn unter der Bush-Administration gab es nichts dergleichen."
Mit Spannung wird erwartet, wie sich die neue US-Regierung zu Kuba positioniert. Auf die Frage nach einem Ende des Embargos gegen die Insel antwortet Klaus Bodemer eher zurückhaltend. "Ich glaube kaum, dass Obama diesbezüglich spektakuläre Ankündigungen machen wird, alles, was er zu diesem Thema sagt, wird eher von symbolischer Bedeutung sein", so der Hamburger Politikwissenschaftler. An dem Gipfeltreffen, das von der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) organisiert wird, nehmen alle amerikanischen Staaten teil, außer Kuba, das 1962 aus der OAS ausgeschlossen wurde.
Schachern um finanzielle Hilfen
Zur Überwindung der drohenden Rezession ist es unumgänglich, neue Abkommen zu schließen. Viele Staaten der Region setzen auf Darlehen und Kredite durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) und die Weltbank, um die Auswirkungen der Krise in Lateinamerika unter Kontrolle zu halten. Immerhin hat der G20-Gipfel Anfang April in London beschlossen, die finanzielle Ausstattung des Internationalen Währungsfonds kurzfristig zu verdoppeln, um Entwicklungsländer vor dem Staatsbankrott zu bewahren und die Weltwirtschaft anzukurbeln.Aber diese Hoffnung wird durch Sorgen getrübt, dass die europäischen Länder – deren Vertreter die Mehrheit der stimmberechtigten Sitze in den Entscheidungsgremien beider Institutionen besetzen – den größten Teil der Finanzhilfen für sich beanspruchen. Daher streben viele Regierungen Lateinamerikas jetzt kurzfristig eine Kapitalaufstockung der Interamerikanischen Entwicklungsbank an – kein einfaches Unterfangen.
"Das ist eine berechtigte Sorge. In der Vergangenheit hat der IWF Lateinamerika nicht immer mit der notwendigen Aufmerksamkeit bedacht. Und für die EU ist es zur Zeit wichtiger, die taumelnden Regierungen in Osteuropa zu retten", so der Heidelberger Wirtschaftswissenschaftler und Lateinamerika-Kenner Hartmut Sangmeister. "In der Interamerikanischen Entwicklungsbank haben die Vertreter Lateinamerikas die Stimmenmehrheit, und das Kreditvolumen übersteigt das der Weltbank."
Handel und Finanzen sind nur zwei der Felder, auf denen Lateinamerika seine Interessen eigentlich mit einer Stimme vertreten müsste. Aber, so Sangmeister, der Traum aus dem 19. Jahrhundert von einer echten panhispanischen Einheit erscheint heute - vor dem Hintergrund zunehmend divergierender nationaler Interessen und Bündnisbestrebungen - utopischer denn je. "Ich kann keinen Ansatz zur Ausarbeitung gemeinsamer Ziele in Lateinamerika erkennen. Am wenigsten jetzt, da der venezolanische Präsident Hugo Chávez und seine Verbündeten die ideologische Teilung des Subkontinents vorantreiben", so Sangmeister unter Anspielung auf die chronischen Spannungen in den innerlateinamerikanischen Beziehungen.
Spannungen und Misstrauen
"Die weniger einflussreichen Staaten haben kaum Vertrauen in Brasilien und Chile; das schlägt sich zum Beispiel in den ewigen Diskussionen um die Südamerikanische Staatengemeinschaft UNASUR nieder. Lula schwingt sich zum Sprecher Lateinamerikas auf, aber de facto steht Brasilien alleine da und verteidigt seine nationalen Interessen bis in den Mercosur hinein. Auf der einen Seite gibt es den Block der bolivarianischen Staaten (Venezuela, Bolivien, Nicaragua, Ecuador, Anm. d. Red.), auf der anderen Seite schließen sich die Pazifikanrainer zusammen…. In Lateinamerika gibt es keinen Konsens", so das ernüchternde Fazit Sangmeisters.Diese Ansicht teilt Klaus Bodemer vom Institut für Lateinamerika-Studien nur bedingt. "Zwischen den Ländern Lateinamerikas gibt es mehrere ungelöste Konflikte, die auf die eine oder andere Art beim Gipfeltreffen in Trinidad und Tobago aufbrechen werden. Dies ist das erste amerikanische Gipfeltreffen, das in der Karibik stattfindet. Und die anglophonen Karibikstaaten, die sich in den letzten 15 Jahren immer übergangen gefühlt haben und die auf den zurückliegenden Gipfeln keine Rolle gespielt haben, werden jetzt sicherstellten, dass sie von der Solidarität profitieren, die die USA und Lateinamerika predigen", prophezeit Bodemer mit Blick auf die sogenannten "Drittligisten".
Wille zur Integration
Anders als der Wirtschaftswissenschaftler Sangmeister, geht Klaus Bodemer davon aus dass, ungeachtet aller Differenzen und Spannungen, Lateinamerika auf den Gipfeltreffen einen neuen Willen zur Integration an den Tag legen wird. "Die Idee einer gesamtamerikanischen Freihandelszone (FTAA) ist auf dem letzten Gipfel 2005 beerdigt worden. Aber in diesem Jahr wird es mehrere regionale Treffen geben, deren Bedeutung weit über bilaterale Freihandelsabkommen hinaus geht und die sich mit der regionalen Zusammenarbeit befassen. Das ist nach wie vor das zentrale Thema und die Länder der Region werden alles daran setzen, mit einer Stimme zu sprechen."Bodemers Optimismus überrascht eingedenk des Scheiterns des Gipfels von 2005, auf dem von Konsensfähigkeit nichts zu spüren war. Doch heute, vier Jahre später, haben sich die Machtverhältnisse auf dem Kontinent leicht verschoben. "Die Gruppe der Länder, die sich für eine "alternative Integration" aussprechen, also für eine Integration der Völker, wird sicher wieder das Wort an sich reißen. Aber auf der anderen Seite steht die mächtige von Brasilien angeführte Fraktion, mit einem moderaten Lula da Silva an der Spitze, die sich für ein geeintes Lateinamerika ausspricht, aber sich gegenüber den USA, Europa und Asien weiter öffnen will."
Und der Chávez-Faktor? "Der große Ölboom, der den venezolanischen Präsidenten stark gemacht hat, ist vorbei. Hugo Chávez muss sich jetzt angesichts des fallenden Ölpreises Sorgen um seine Popularität in Venezuela machen. Der Politiker, der in Lateinamerika die Zügel in der Hand hält, und sie auch weiterhin halten wird, ist Lula", so die Prognose von Klaus Bodemer.
Autor: Evan Romero-Castillo
Redaktion: Mirjam Gehrke/kis/di