Kein deutscher Film aber vier Koproduktionen mit Deutschland im Wettbewerb von Cannes - eine davon ergatterte den "Großen Preis der Jury". Wenige Meisterwerke machten die Filmfestspiele dieses Jahr aus.
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Das Ende schien schon von Anfang an vorhersehbar. Das türkische Kino feierte seinen 100. Geburtstag und zum Jubiläum gab es die begehrte Goldene Palme für den Film "Winter Sleep". Nuri Bilge Ceylan ist der derzeit wohl renommierteste Regisseur aus der Türkei, trotzdem konnte er am Ende den erwarteten Triumph kaum fassen. Nach diversen kleinen und mittleren Preisen auf den Festivals dieser Welt und nach dem Drehbuchpreis in Cannes für "Es war einmal in Anatolien" vor drei Jahren bekam er nun als insgesamt erst zweiter Film aus der Türkei - nach Yilmaz Güney mit "Yol" (Der Weg) 1982 - die höchste Auszeichnung des wichtigsten Filmfestivals der Welt.
Goldene Palme von Cannes 2014: Türkischer Sieger
Mit der Vergabe der Goldenen und der Silbernen Palmen ist der Wettbewerb der Filmfestspiele in Cannes zu Ende gegangen. Offiziell wird die 67. Ausgabe des wichtigsten Filmfestivals am Sonntag ihren Abschluss finden.
Bild: Getty Images
Die Jury hat gesprochen
Der Hauptpreis des Festivals, die Goldene Palme, ging in diesem Jahr in die Türkei. Die Jury um Präsidentin Jane Campion entschied sich zum Abschluss der Konkurrenz für den Film "Winter Sleep" des Regisseurs Nuri Bilge Ceylan. Schon seit vielen Jahren gilt der türkische Filmemacher als herausragender Regisseur des europäischen Kontinents und als Chronist der Geschichte seines Landes.
Bild: Reuters
Dreistündiges Opus "Winter Sleep"
Der 1959 in Istanbul geborene Filmemacher blickt in "Winter Sleep" auf die Lethargie türkischer Intelektueller. Nuri Bilge Ceylan vermeidet direkte Anspielungen auf aktuelle Entwicklungen in der türkischen Politik, spart aber auch nicht mit Kritik an der Lage seines Landes. Ceylans Filme zeichnen sich durch lange Einstellungen, eine epische Erzählweise und viele Landschaftspanoramen aus.
Bild: Festival de Cannes 2014
Großer Jury-Preis
Überraschend ging der zweitwichtigste Preis des Festivals an den italienischen Beitrag "Le meraviglie". Die Filmemacherin Alice Rohrwacher beschäftigt sich in dem jetzt mit der Auszeichnung "Großer Preis der Jury" geehrten Werk mit einem 14-jährigen Mädchen in Umbrien, deren Leben aus den Fugen gerät. Gleichzeitig erhielt auch Altmeister Jean-Luc Godard einen "Preis der Jury".
Bild: Festival de Cannes
Wunderkind aus Kanada
Fast schon erwartet hatte man in Cannes, dass auch der 25-jährige Xavier Dolan eine Auszeichnung erhält. Dolan (Bildmitte) bekam den "Preis der Jury", was in etwa dem Bronze-Rang gleichkommt. Dolans jetzt prämierter Film "Mommy" ist bereits sein fünftes Werk und sein vierter in Cannes gezeigter Film. In "Mommy" geht es um eine schwierige Mutter-Sohn-Beziehung.
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Triumph für Julianne Moore
Als beste Darstellerin wurde die Hollywood-Schauspielerin Julianne Moore (zweite von links) ausgezeichnet. Sie bekam den Preis für ihren Auftritt im Film "Maps to the Stars". Darin spielt sie eine alternde Hollywood-Diva, die sich um die Fortsetzung ihrer Karriere sorgt. Der Film von Regisseur David Cronenberg (Kanada) ist eine ätzende Hollywood-Satire.
Bild: Getty Images/AFP
Palme für Timothy Spall
Verdient nach Ansicht vieler Beobachter in Cannes war auch die Palme für Timothy Spall als bester männlicher Darsteller. Der Brite verkörpert im Film "Mr. Turner" den berühmten Maler William Turner, der von 1775 bis 1851 gelebt hat. Spall überzeugte die Jury mit seinem furiosen Auftritt als grummeliges, bärbeißiges Kunstgenie, das allerdings fragwürdige Charaktereigenschaften hat.
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Preis für Russland
Eine Auszeichnung ging auch an das russische Kino. Regisseur Andrey Swjaginzew winkt hier freudig ins Publikum, weil er gerade aus der Hand der Schauspielerin Paz Vega die Silberne Palme für das "Beste Drehbuch" erhalten hat. Swjaginzew bekam die Auszeichnung für die Drehbuch-Vorlage seines Films "Leviathan", in dem er einen kritischen Blick auf die heutige russische Gesellschaft wirft.
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Auszeichnung für Hollywood
Immerhin einen Preis konnte auch ein amerikanischer Regisseur einheimsen. Der US-Amerikaner Bennett Miller erhielt von der Jury um die Neuseeländerin Jane Campion die Auszeichnung für die beste Regie. In "Foxcatcher" entwickelt der Regisseur anhand der Geschichte zweier Sport-Ringer ein Panorama der USA in der 1980er Jahren.
Bild: Festival de Cannes 2014
Freude bei Wim Wenders
Der deutsche Regisseur Wim Wenders bekam bei der 67. Ausgabe der Filmfestspiele in Cannes auch einen Preis. Wenders, hier an der Seite seiner Frau Donata, durfte sich über den Spezialpreis in der Sektion "Un Certain Regard" freuen. Sein neuer Film "The Salt of the Earth" ist eine dokumentarische Hommage auf den weltberühmten brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado.
Bild: Reuters
Preis nach Ungarn
Den starken Auftritt des europäischen Kinos in diesem Jahr rundete der ungarische Regisseur Kornél Mundruczó (Bildmitte) ab. Er bekam den Hauptpreis der Sektion "Un Certain Regard", der neben dem Wettbewerb wichtigsten Programmschiene in Cannes. Mundruczó erzählt in "Fehér isten" von einem jungen Mädchen und ihrem Hund.
Bild: Reuters
Starker Wettbewerb - bizarre Auftritte
Insgesamt hinterließ der Wettbewerb des Festivals in Cannes beim überwiegenden Teil der Kritik einen starken Eindruck. Ansonsten bot die Veranstaltung an der Croisette wieder den Auftritt von vielen Stars und Sternchen auf dem Roten Teppich. Manche nutzten das Festival auch nur als Gelegenheit, ihre neuen Filme zu promoten: wie hier Gérard Depardieu an der Seite von FIFA-Chef Sepp Blatter.
Bild: Getty Images
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Preis für italienisch-deutsche Koproduktion
Die übrigen Preise folgten dem erprobten Gießkannenprinzip wobei der Große Preis der Jury - die zweitwichtigste Auszeichnung des Festivals - in diesem Jahr an das Sozialdrama "Le meraviglie" (Das Wunder) der Italienerin Alice Rohrwacher ging. Bei der internationalen Kritik war der Film weitgehend untergegangen und wurde eher als kleines Werk angesehen. Er gehörte zu den sechs deutschen Koproduktionen, die es in den Wettbewerb geschafft hatten. Ein originärer deutscher Film war hingegen weit und breit in Cannes nicht zu erblicken. Selbst Wim Wenders gefeierter Dokumentarfilm über den Fotografen Juliano Ribeiro Salgado war nur in der Nebenreihe "Un certain regard" zu sehen.
Kritischer Blick auf US-amerikanische Unterhaltungsindustrie
Hollywood war ebenfalls nicht sonderlich anwesend auf der Croisette - sieht man einmal von ein paar Starauftritten auf dem roten Teppich und bei Gala-Diners ab. Umso mehr war Hollywood Thema der Autorenfilme, die das Festival zeigte - als Gegenstand ironischer Aufarbeitungen. In "Maps to the Stars" von David Cronenberg wird die Welt der Spitzenhonorare in Fernsehserien grandios aufgemischt. Die Hauptfigur Havana Segrand - reich, berühmt und schwer neurotisch - verzehrt sich nach einer ganz bestimmten Rolle im Film eines angesagten Regisseurs. Dann kommt der Anruf ihrer Agentin, dass sich der Regisseur für eine andere Schauspielerin entschieden hat. Havana erlebt dies als Demütigung, die selbst ihre Antidepressiva nicht kompensieren können. Cronenberg zieht alle Register, um den schönen Schein der Berühmtheit als arrogante, zynische Selbstbezogenheit zu entlarven.
Das alles nur als Attacke auf Hollywood zu sehen ist eine verkürzte Sichtweise auf den Film. Natürlich hat "Maps to the Stars" noch viele andere Ebenen. Es ist die Geschichte einer Geschwisterliebe, deren Schuld und Leidenschaft sich in einer anderen Geschwisterliebe spiegelt. In der Hollywood-Edelwelt mit Designerpools und ebensolchen Küchen erfüllt sich das Schicksal von Agatha und Benjiie zwischen Flammenwelten und Designerdrogen: ein Film über die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt. Schwer zu entschlüsseln und gerade deshalb große Kunst. Die Sterne am Himmel und die Stadtpläne auf denen die Wohnorte der Stars eingezeichnet sind - so der Doppelsinn des Filmtitels - führen nicht wirklich zu einem glücklichen Leben.
Assayas Meisterwerk geht leer aus
"(Clouds of) Sils Maria" von Olivier Assayas, der als allerletzter Film des Wettbewerbs zu sehen war, zeigt die europäische Seite der Medaille. Auch dieser Film macht sich über die Oberflächlichkeit der Filmmetropole lustig. Mit Juliette Binoche in der Hauptrolle erzählt er aber hauptsächlich vom klugen Älterwerden einer Schauspielerin in Würde: Maria Enders begann ihre Karriere als junge Frau mit einem Theaterstück, in dem es um die Geschichte einer jungen und einer älteren Frau geht. Damals spielte sie die junge, jetzt soll sie die 40-Jährige spielen. Juliette Binoche interpretiert diese Paraderolle mit viel Selbstironie und Klugheit. Die Seitenhiebe auf die Aufgeregtheit des amerikanischen Celebrity-Kults sitzen prächtig und die feine Balance zwischen der persönlichen Geschichte der zwei Frauen und ihren Versuchen, sich das Theaterstück anzueignen, macht den Film des ehemaligen Filmkritikers Assayas zu einem - bei der Preisvergabe leider ignorierten - späten Meisterstück im Wettbewerb des diesjährigen Festivals von Cannes.