Seismographen sind hochempfindliche Geräte, die an sorgsam ausgesuchten Orten stehen und dort Erdbeben registrieren. Doch nun könnte eine neue Technik alles verändern: Glasfaserkabel liefern viel bessere Ergebnisse.
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Eine zitternde Nadel fährt ganz langsam über eine Papierrolle. Fährt ein Lastkraftwagen in der Nähe vorbei, werden die Ausschlägen stärker. Tritt ein Erdbeben auf oder zündet jemand eine unterirdische Atombombe, schlägt der Zeiger deutlich stärker aus und registriert die Stärke und Dauer des Ereignisses. So funktionieren seit Jahrhunderten Seismographen.
Mittlerweile werden die Daten von Seismometern erfasst, die keine Papierrolle mehr haben. Per Computer werden sie weltweit in Sekundenschnelle zusammengeführt und von Erdbebenforschern ausgewertet.
Doch eine Schwäche haben diese Geräte: Sie stehen üblicherweise in großem Abstand zueinander über unseren Globus verteilt – oft hunderte Kilometer auseinander. Ort und Stärke eines Bebens müssen aus den Aufzeichnungen der nächstgelegenen Seismometers rekonstruiert werden. Dabei kann es zu Ungenauigkeiten kommen. Nicht selten schätzen verschiedene geologische Dienste die Stärke eines gemessenen Bebens unterschiedlich ein.
Alle vier Meter ein Seismometer
Nun hat ein internationales Team um Philippe Jousset und Thomas Reinsch vom Deutschen Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ) einen neuen Ansatz entwickelt, um Erschütterungen zu messen - und zwar mit herkömmlichen Glasfaser-Datenleitungen.
Auf der isländischen Halbinsel Reykjanes schickten sie Laser-Lichtimpulse durch einen Strang eines 15 Kilometer langen Datenübertragungskabels, das dort seit langem der Telekommunikation dient.
Dieses Kabel führt über eine Bruchzone zwischen der Amerikanischen und der Eurasischen Kontinentalplatte. Um Vergleichsdaten zu gewinnen, hatten die Forscher in der Umgebung zudem ein dichtes Netz von Seismometern installiert.
Das Ergebnis überraschte die Forscher: "Unsere Messungen per Glasfaserkabel bildeten den Untergrund weitaus genauer als je zuvor ab". So genau als sei alle vier Meter ein Seismometer installiert, berichtete Jousset.
Und wie funktioniert das?
"Beim Herstellen der Glasfasern verbleiben Inhomogenitäten im Kabel", erklärt die an der Arbeit beteiligte Geophysikerin Charlotte Krawczyk gegenüber der Deutschen Welle. "Diese Störungen machen wir uns zu Nutze. Denn an diesen Punkten wird Licht zurückgeworfen, wenn wir einen Laserimpuls hineinschicken", so Krawczyk. Solche Streupunkte sind in der Glasfaser überall verteilt. Ändert sich die Länge der Glasfaser während eines Bebens, verändert sich auch die Lage der Streuzentren zueinander. Und diese winzigen Unterschiede können die Seismologen messen.
Die Daten aus der Glasfasermethode enthüllten sogar weitere Bruchzonen sowie langsame Bodenverformungen, die mehrere Minuten andauerten - mit herkömmlichen Seismometern ist so etwas nicht möglich.
Ganz neu ist die Methode nicht. In Bohrlöchern setzen Physiker bereits seit Jahren Glasfaserkabel zur Überwachung der Ölförderung ein, sagt Krawczyk. Dennoch könnte sie die Geoforschung völlig umkrempeln.
Denn weltweit gibt es Netze unterirdisch und unterseeisch verlegter Glasfaserkabel von Telekommunikationsunternehmen. Die Geophysikerin schätzt, dass es mit der neuen Methode möglich sein könnte, bis zu 50 Kilometer weit in ein Kabel hineinzuschauen.
Gerade in Ballungsräumen, die von Erdbeben stark bedroht sind, wie San Francisco, Istanbul, Mexico City oder Tokio könnte so eine Fülle hochpräziser Daten gewonnen werden. Aber auch in entlegenen Regionen gibt es zahlreiche Kommunikationskabel, auch hier könnte die Glasfaser-Methode angewendet werden.
Kostengünstig ist die Technik zudem. Um die Messungen durchzuführen benötigen die Geophysiker lediglich einen Faserstrang in einem riesigen Kabel. Neben den Erdbebendaten könnten auch Veränderungen des Wasserdrucks - etwa durch Wellenbewegungen bei Stürmen - durch Glasfaserkabel detektiert werden.
Ein flächendeckender Einsatz dieser Methode wird sicher nicht über Nacht kommen. Die Technik könnte sich aber mittelfristig bei Erdbebenwarten weltweit durchsetzen, hofft Krawczyk, "das wäre für uns ein Traum!"
Zehn Jahre nach dem verheerenden Erdbeben in China
Am 12. Mai 2008, um 14:25 Uhr, bebte die Erde in der zentralchinesischen Provinz Sichuan mit einer Stärke von 8,0 auf der Richterskala. Etwa 70.000 Menschen starben. Die Schäden sind heute noch allgegenwärtig.
Bild: Reuters/J. Lee
Stilles Gedenken an Todesopfer
22 Stunden war Deng Haiyang, heute 27 Jahre alt, in den Trümmern eines zerstörten Schulgebäudes verschüttet, bevor er geborgen werden konnte. Seine Beine mussten später amputiert werden. Aber Deng erwies sich als willensstark. Er bestand das Abitur, schloss sein Studium ab und machte sich selbstständig. Viele seiner Mitschüler überlebten das Erdbeben aber nicht.
Bild: Reuters/J. Lee
"Okara-Gebäude"
6898 Schulgebäude wurden nach offiziellen Angaben zerstört, viele brachen zusammen wie dieses. Die Eltern der getöteten Kinder vermuten, dass wegen Korruption und Pfusch am Bau schlechte Materialien verwendet worden waren. Die Regierung leitete daraufhin eine Untersuchung ein. In China werden mangelhafte Gebäude als "Okara" bezeichnet, eine weiche Masse, die bei der Tofu-Produktion übrig bleibt.
Bild: Reuters/J. Lee
Zweifel an offiziellen Angaben
Mitte 2008 gab China die Anzahl der Todesopfer mit 69.227 an, davon waren 5194 Kinder. Im letzten Jahrzehnt blieb es bei diesen offiziellen Zahlen. Die Zivilgesellschaft in China hat erhebliche Zweifel an den offiziellen Angaben. Viele engagieren sich, um die Katastrophe unabhängig aufzuarbeiten.
Bild: Reuters/J. Lee
Mafia-Methoden gegen Aktivisten
Der international bekannte Künstler Ai Weiwei reiste mit Helfern in das Katastrophengebiet und sammelte die Namen der getöteten Kinder. Im August 2008 wurde er bei einer Recherche von Polizisten brutal geschlagen. Ein Jahr später musste er wegen einer Gehirnblutung in Deutschland operiert werden. "Ich wäre beinahe gestorben", sagte Ai. Wegen der Gewaltanwendung der Polizei wurde nie ermittelt.
Bild: picture-alliance/dpa
Kein erkennbarer Fortschritt
In einigen Gebieten in der Nähe des Epizentrums sieht es jetzt immer noch so aus (rechts) wie vor zehn Jahren nach dem Erdbeben (links), wie die Fotos der Nachrichtenagentur Reuters zeigen. Der rot-weiße Leichensack (rechts unten auf dem Foto) wurde allerdings mittlerweile entfernt. Der Wiederaufbau scheint nicht überall mit dem Tempo voranzukommen, für das China weltweit bekannt ist.
Bild: Reuters/J. Lee
Rekordsumme an Spendengeldern
Nach dem Erdbeben wurden international mehr als 76 Milliarden Yuan Spenden gesammelt. Umgerechnet sind es 10 Milliarden Euro, ein neuer Spendenrekord in China. Die Menschen in den Krisengebieten zweifeln, dass die Gelder wirklich komplett in den Wiederaufbau geflossen sind. Einsturzgefährdete Gebäude wie dieses auf dem Foto warten noch auf den Abriss.
Bild: Reuters/J. Lee
Der Vergessene
Der Bauer Ma Qingan geht seit zehn Jahren immer durch dieselbe Tür, wenn er auf den Markt muss. Sein Haus im Hintergrund ist noch in dem Zustand wie vor zehn Jahren. Am Türrahmen stehen Glück bringende Sprüche, die mit den Jahren vergilbt sind. Zu erkennen auf der linken Seite: "Gute Regierungsführung, harmonisches Miteinander" und rechts "Langlebigkeit".
Bild: Reuters/J. Lee
Die Trauer
Der alte Mann trauert an den Gräbern seiner Verwandten - fernab der Öffentlichkeit. Die Regierung hat eine große Trauerfeier am Samstag angekündigt. Der Kreis Wenzhuan, der am schlimmsten vom Erdbeben betroffen war, erklärte den Jahrestag zum "Tag der Dankbarkeit". Viele Familien der Opfer empfinden etwas anders.
Bild: Reuters/J. Lee
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Iran: Hochrisikogebiet für Erdbeben
Im Iran treffen gleich mehrere tektonische Platten aufeinander. Das macht das Land höchst anfällig für Erdbeben. In den vergangenen 30 Jahren kam es immer wieder zu schweren Katastrophen.
Bild: Reuters/Tasnim News Agency
2012 - Das Beben von Täbris
Am 11. August bebte die Erde im iranisch-aserbaidschanischen Grenzgebiet. Das Epizentrum lag in Aserbaidschan, doch die meisten Opfer gab es im Iran, insbesondere auf dem Land nördlich der Stadt Täbris. Mindestens 300 Menschen starben und 3000 wurden verletzt.
Bild: Getty Images/AFP/M. Jamali
2005 - Das Beben von Zarand
Das Epizentrum lag in der südöstlichen Provinz Kerman. Die Kleinstadt Zarand wurde fast völlig zerstört. 600 Menschen verloren ihr Leben, was unter anderem an schweren Regenfällen lag, die die Rettungseinsätze zusätzlich erschwerten.
Bild: picture-alliance/AP Photo/V. Salemi
2003 - Das Beben von Bam
2003 bebte die Erde in derselben Provinz erneut. Besonders betroffen war diesmal die Stadt Bam. Weite Teile wurden völlig zerstört. Mehr als 26.000 Menschen starben, über 30.000 wurden verletzt.
Bild: Emdadgar.ir
Zerstörtes Weltkulturerbe
Die Stadt Bam wurde so hart getroffen, da die meisten Häuser mit Lehmziegeln gebaut wurden, die den Erdstößen nichts entgegenzusetzen hatten. Bei dem verheerenden Beben wurde auch die im 10. Jahrhundert erbaute Zitadelle zerstört, die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört.
Bild: picture-alliance/dpa
Wiederaufbau von Bam
Anfang 2004 schätzte die UNO die Kosten für den Wiederaufbau von Bam auf bis zu eine Milliarde US-Dollar. Trotz zahlreicher Projekte und internationaler Hilfe verlief der Wiederaufbau schleppend. Große Teile der Zitadelle sind zwar wiederhergestellt, aber bis heute sind die Arbeiten nicht abgeschlossen.
Bild: picture-alliance/dpa/A. Taherkenareh
1990 - Das Beben von Manjil-Rudbar
Am 21. Juni 1990 erlebte der Nordiran eines der verheerendsten Erdbeben überhaupt. Das Manjil-Rudbar-Beben forderte über 40.000 Tote. Etwa 60.000 Menschen wurden verletzt. Mehrere Städte und 700 Dörfer wurden zerstört. Eine halbe Million Menschen wurden obdachlos.
Bild: picture-alliance/dpa/AFP
Gedenken an die Opfer
Die am stärksten betroffenen Städten Rudbar und Manjil sind nach fast 30 Jahren wieder aufgebaut. Doch die seelischen Wunden sind geblieben. Jedes Jahr erinnert eine Gedenkfeier an die Katastrophe.