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"Glaubwürdigkeit der Partei in Gefahr"

Gabriel Domínguez/re9. Juli 2015

Die Talfahrt an Chinas Börsen hat erhebliche Folgen für die regierende Kommunistische Partei. Im DW-Interview erläutert die Finanzexpertin Sandra Heep, dass der kreditfinanzierte Handel für sie zur Gefahr werden kann.

Turbulenzen an Chinas Börsen - Staatliche Intervention geht ins Leere
Bild: Reuters/K. Kyung-Hoon

Deutsche Welle: Inwiefern übt der extreme Kurseinbruch der chinesischen Börsen in den letzten Wochen Druck auf die Kommunistische Partei Chinas aus?

Sandra Heep: Wenn es nicht bald einen nachhaltigen Aufschwung an den Aktienmärkten gibt, könnte es zu politischen Protesten kommen. Unzählige Kleininvestoren fühlen sich von der Partei im Stich gelassen und machen sie für ihre Verluste verantwortlich. Diese aufgebrachten Anleger könnten eine Herausforderung für das politische System darstellen. Die Glaubwürdigkeit der Partei ist in Gefahr. Insbesondere, da sie seit Langem ihre Legitimität auf die wirtschaftliche Leistung gegründet hat.

Wenn der Einparteienstaat nicht in der Lage ist, die Märkte zu beruhigen und das Vertrauen wieder herzustellen, wird das zu weiteren Wachstumseinbrüchen führen. Private Unternehmen im Technologiesektor, die bisher von den steigenden Kursen stark profitiert haben, könnten mit folgenschweren Finanzierungsengpässen konfrontiert werden.

"Das chinesische Wirtschaftssystem braucht dringend Reformen"Bild: Reuters/K. Kyung-Hoon

Nicht zuletzt könnten die Verluste von Kleininvestoren die Binnennachfrage schwächen. Das wiederum könnte die geplanten Liberalisierungsmaßnahmen des Finanzsystems verhindern oder verzögern. Das chinesische Wirtschaftssystem braucht dringend Reformen, die durch die dramatischen Ereignisse an den Börsen ins Stocken geraten könnten.

Warum ist es den Autoritäten bisher nicht gelungen, eine dauerhafte Wende einzuleiten?

Obwohl die Regierung eine Vielzahl drastischer Maßnahmen ergriffen hat, um den Markt zu stabilisieren, hatten diese bisher nicht den gewünschten Effekt. Der wahrscheinlichste Grund dafür ist, dass die Investoren in großem Umfang kreditfinanziert mit Aktien gehandelt haben. Aktienkäufe auf Pump waren eine treibende Kraft hinter den gigantischen Kursanstiegen des vergangenen Jahres. In der Hoffnung auf schnelle Gewinne machten insbesondere zahlreiche Kleinanleger von der Möglichkeit des kreditfinanzierten Aktienhandels Gebrauch. Da diese Geschäfte extrem riskant sind, haben Aufsichtsbehörden und Wertpapierhäuser sie im Laufe der letzten Wochen erschwert. Viele Investoren sahen sich daher dazu gezwungen, Aktien zu verkaufen. Das löste eine Negativspirale aus. Denn sobald die Kurse sinken, müssen auf Pump handelnde Anleger entweder mehr Geld in ihre Aktien-Konten einzahlen oder weitere Aktien verkaufen.

Wenn man die zögerlichen Reaktionen des Marktes auf die umfangreichen Maßnahmen der Regierung berücksichtigt, haben wohl auch weniger stark kreditfinanzierte Anleger das Vertrauen verloren, was die Situation zusätzlich verschärft hat.

Chinas Börse ist anders. Rot bei steigendem Kurs, grün bei sinkendem KursBild: STR/AFP/Getty Images

Warum hat Peking überhaupt interveniert? Glauben Sie, dass Peking die Mittel hat, um den Fall aufzuhalten?

Die Partei ist sich vollkommen klar über die politischen, sozialen und ökonomischen Folgen, die ein Börsencrash auslösen könnte, und ist insofern bereit, die Märkte über einen sehr langen Zeitraum zu stützen. Berücksichtigt man den bisherigen Misserfolg, könnten theoretisch noch drastischere Interventionen die Folge sein, etwa eine Anweisung an die Chinesische Volksbank (PBOC), staatliche Akteure mit so viel Liquidität zu versorgen, dass sie die komplette Kontrolle über die Märkte übernehmen können.

Allerdings würde ein solches Vorgehen die Vorstellung, dass Chinas Aktienmärkte zumindest teilweise nach marktwirtschaftlichen Prinzipien funktionieren, vollständig zerstören. Das würde die Reformen der letzten zehn Jahre auf einen Schlag zurücknehmen. Eine Maßnahme, die der Regierung wahrscheinlich zu radikal ist, um ernsthaft in Erwägung gezogen zu werden.

Börsen gelten weltweit als Indikatoren für wirtschaftliche Entwicklung und Vertrauen. Warum verlieren die Investoren das Vertrauen in Chinas Wirtschaft?

Die chinesischen Märkte waren immer politikgetrieben. Ihre Entwicklung wurde stärker von politischen Signalen als von nationalen Wirtschaftsgrundlagen oder der Leistung einzelner Unternehmen beeinflusst. Deswegen sollte der jetzige Einbruch an den Aktienmärkten nicht als Hinweis auf die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung Chinas gesehen werden, sondern vielmehr als Folge der strengeren Regelungen für den kreditfinanzierten Aktienhandel.

Vor dem Hintergrund, dass Chinas Wirtschaft in letzter Zeit immer häufiger Zeichen von Schwäche zeigte, war es eigentlich kontraintuitiv, dass die Aktienmärkte zu immer neuen Rekordhochs eilten. Wenn die Regierung den kreditfinanzierten Aktienhandel nicht selbst befeuert hätte, befände sie sich nicht in einer derartig verfahrenen Lage.

Die chinesische Zentralbank PBOC in PekingBild: Reuters/Jason Lee

Wie hat die Kommunistische Partei denn bisher politisch von den steigenden Aktienmärkten profitiert?

Hohe Börsenkurse können die schwierige Lage der staatseigenen Unternehmen abmildern. Diese haben während der globalen Finanzkrise erhebliche Defizite angehäuft. Mit hohen Kursen können sie nicht nur ihre Bilanz aufpolieren, sondern sie kommen auch leichter an Finanzmittel durch Kapitalerhöhungen.

Des Weiteren hat der Börsenhype es kleinen Unternehmen aus dem Technologiesektor leichter gemacht, an Kapital zu kommen. Sie bekommen oft keine Kredite, weil die staatseigenen Banken staatseigene Unternehmen bevorzugen. Aber es sind gerade diese kleinen Firmen, die entscheidend für die Restrukturierung des chinesischen Wirtschaftsmodells sind, denn nur sie können innovationsgetriebenes Wachstum generieren.

Ganz grundsätzlich kann der staatlich organisierte Hype auch als Reaktion auf die immer offener zutage tretenden Grenzen der Geldpolitik gesehen werden: Über die letzten Monate hat die Zentralbank den Leitzins und den Mindestreservesatz gesenkt. Doch haben diese Maßnahmen nicht die gewünschte Wirkung erzielt. Die Finanzierungskosten für Unternehmen bleiben hoch, und die Banken vergeben nur zögerlich Kredite. Der Versuch einer Stimulierung der Wirtschaft über den Umweg der Börsenkurse schien daher einen willkommenen Ausweg aus der geldpolitischen Klemme zu bieten.

Dr. Sandra Heep, Leiterin des Programmbereichs "Wirtschaftspolitik und Finanzsystem" am Mercator Institute for China Studies (MERICS) in Berlin.

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