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Glienicker Brücke - Schlupfloch im Kalten Krieg

11. Februar 2011

Vor 25 Jahren wurden auf der Glienicker Brücke bei Berlin ein letztes Mal Agenten ausgetauscht. Drei Mal war sie Kulisse solch spektakulärer Tausche. Zeitzeugen erinnern sich.

1962 - Blick über den Schlagbaum auf Westberliner Seite auf die Glienicker Brücke (Foto: dpa)
1962 - Blick über den Schlagbaum auf Westberliner Seite auf die Glienicker BrückeBild: picture alliance/dpa

An Jahrestagen wie diesen tummeln sich auf der Glienicker Brücke bei Berlin bei gutem Wetter ein paar Spaziergänger mehr. Darunter auch mancher Akteur von damals. Einer von ihnen, die immer wieder gerne an diesen Ort zurückkehren, ist Marian Zacharski, ein ehemaliger polnischer Geheimdienstoffizier. Er war ein Schwergewicht auf dem Basar der Spione, mit der Brücke verbindet er sein persönliches Happy End.

Der ehemalige Agent Marian Zacharski auf der "Brücke der Freiheit"Bild: Katja-Julia Fischer

Zacharski galt als Top-Agent des Ostens - auch deshalb war sein Austausch besonders schwer auszuhandeln. In den 70er-Jahren lebte er als polnischer Geschäftsmann in Kalifornien und verschaffte sich besten Zugang zur Militärindustrie der USA. Fünf Jahre lang spionierte er mit erstaunlichem Erfolg. "Ich habe alle wichtige Radarpläne von damals bekommen, darunter auch die für die Raketenabwehrsysteme Patriot, Hawk und Cruise Missile", zählt er stolz seine Beute auf. Zacharski bekam tausende Seiten geheimer Dokumente in die Hände, schickte sie nach Warschau, von wo aus sie nach Moskau weiterverkauft wurden. Doch er wurde erwischt und bekam lebenslängliche Haft. Nach vier Jahren gelang es seinen Unterhändlern, ihn auf der Glienicker Brücke auszutauschen.

"Ich habe gute Erinnerungen an diese Brücke, aber die Situation damals war gar nicht lustig", erzählt Zacharski. An das Wechselbad der Gefühle zwischen Verzweiflung und Hoffnung erinnert er sich noch gut. Er und drei weitere Agenten aus dem Ostblock wurden gegen 25 im Osten inhaftierte Westspione auf der Glienicker Brücke ausgetauscht.

"4 zu 25 - das war das Ergebnis langer Verhandlungen, denn nicht jeder Spion hatte den gleichen Wert", sagt der Publizist und Agentenaustausch-Experte Norbert Pötzl.

11. Februar 1986

1986: Der freigelassene sowjetische Dissident Anatoli Scharanski mit US-Botschafter Richard Burt (re.) und Staatssekretär Ludwig Relinger (li.) (Foto: Ullstein-Bild)Bild: ullstein bild - Sven Simon

Einige Monate nach dem Coup wurde die Glienicker Brücke erneut zur Kulisse eines Agentenaustauschs im Kalten Krieg. Am 11. Februar 1986 gingen Bilder um die Welt, die einen kleinen Mann mit großer Pelzmütze mitten auf der verschneiten Brücke zeigten - er wurde von Diplomaten in die Freiheit geführt. Anatoli Scharanski war ein sowjetischer Dissident und Menschenrechtler. Neun Jahren saß er in sowjetischen Arbeitslagern, bevor er in den Westen laufen durfte - im Beisein hunderter Fernsehkameras. Um seine Freilassung hatten sich die USA seit Jahren bemüht, denn Scharanski galt im Westen als Freiheitssymbol.

Dass die Glienicker Brücke zum Ort der spektakulären Tausch-Aktionen wurde, war kein Zufall. Sie liegt am Rande von Berlin, wo früher ein Grenzübergang für Militärmissionen beider Blöcke war. Dort standen sich vier Jahrzehnte lang alliierte Soldaten gegenüber. "Wir bestanden darauf, dass die Tausche dort stattfinden, wo keine DDR-Grenzbeamte, sondern Sowjets standen", erzählt John Kornblum, der damalige Austausch-Koordinator der USA. "Vielleicht klingt es heute wie Rhetorik aus dem Kalter Krieg, aber damals war es für uns sehr wichtig." Agentenaustausche waren eben auch ein Deal der Politik.

Die idyllisch gelegene Brücke bot dafür viel Platz und die passende Kulisse. Eigentlich sollten die Tausch-Aktionen immer geheim bleiben. Doch 1985 und 1986 sickerte die Nachricht vom bevorstehenden Austausch durch. Aber weder die USA noch die Sowjetunion wollten auf die Öffentlichkeit verzichten und entschieden sich deshalb, trotz des Scheinwerferlichts ihre Agenten auszutauschen.

"Das war für alle Beteiligten in Ost und West eine gute Chance, die Öffentlichkeit für sich zu nutzen", meint Norbert Pötzl. Die Tauschaktionen fanden wenige Monate nach dem Machtwechsel in Moskau statt. Damals zog Michail Gorbatschow in den Kreml ein. "Die Freilassung wurde schon lange zuvor vorbereitet, ihre Durchführung war ein klares Signal an den Westen", meint Pötzl. "Gorbatschow hat sich kompromissbereit und nachgiebig gezeigt, während der Westen seinen Erfolg feierte. Alle waren glücklich und sogar auf die DDR fiel etwas Ruhm ab".

DDR-Anwalt als internationaler Vermittler

Die DDR hat bei den Tauschaktionen eine wichtige Rolle gespielt, denn als Sondervermittler zwischen Ost und West agierte ihr Star-Anwalt Wolfgang Vogel. Der inzwischen verstorbene Jurist war in beiden deutschen Staaten als Anwalt zugelassen und arrangierte viele Freikäufe von DDR-Dissidenten. Dadurch fiel ihm die Mittlerrolle zwischen Washington und Moskau leichter. 1962 nutzte er dabei zum ersten Mal die Glienicker Brücke.

Der ehemalige DDR-Anwalt Wolfgang Vogel (Archivfoto von 1996)Bild: picture-alliance/dpa

Damals vermittelte Vogel im Auftrag des Kreml den ersten großen Austausch. Um den in den USA gefangenen sowjetischen Top-Agenten Rudolf Iwanowitsch Abel freizubekommen, bot er den Amerikanern ihren Flugzeugpiloten, Gary Powers, der im Osten einsaß, an. Der Coup gelang - seither versuchte Vogel immer wieder, neue Deals zu arrangieren. Doch auf den nächsten Tausch musste er 23 Jahre warten. Während der Zeit der nuklearen Aufrüstung mitten im Kalten Krieg waren Verhandlungen über solche Agentenaustausche so gut wie unmöglich.

Vogel ließ jedoch nicht locker und versuchte es weiter. Sein Erfolg gefiel auch dem DDR-Staatschef, Erich Honecker, der sich davon Vorteile erhoffte. "Für Honecker war es ein prestigeträchtiges Unternehmen, denn so konnten er und seine sozialistische Republik mehr ins Zentrum der Weltöffentlichkeit rücken", erklärt Norbert Pötzl.

Deutsche Sonderrolle

Deutsche Politiker und Mittler - in Bonn und Berlin - spielten bei den Agentenaustauschen verglichen mit den Weltmachzentren in Washington und Moskau keine vordergründige Rolle, sondern leisteten durch sanfte Beharrlichkeit eher stillen Antrieb im Hintergrund. Die Bundesrepublik war daran interessiert, weil im Osten einige Deutsche einsaßen, die eigentlich für die USA spioniert hatten und aufgeflogen waren. "Sie taten meist völlig lächerliche Dinge, indem sie zum Beispiel in der DDR für die USA Autonummernschilder aufgeschrieben hatten und dafür dann lange Haftstrafen bekamen", erzählt der damalige Unterhändler und Staatssekretär der BRD, Ludwig Rehlinger.

John Kornblum kann sich daran erinnern: "Wir hatten damals durch schlechte Vorbereitung eigener Dienste die Leute in der DDR verloren und fühlten uns verpflichtet, sie rauszuholen." Bis das gelang, fühlten sich deutsche Partner über längere Zeit allein gelassen. "Wir waren sehr darüber betrübt, dass sich die USA so wenig um ihre Agenten gekümmert haben", sagt der ehemalige Unterhändler Rehlinger. "In Washington kannte man das Problem und trotzdem ist keiner zu mir gekommen und sagte: Rehlinger, da gibt es eine Liste, was können wir machen?" 1985 gelang es dann, die Inhaftierten aus der DDR zu holen.

Brücke der Freiheit

Die Glienicker Brücke heuteBild: Katja-Julia Fischer

Bei den Agententauschen auf der Glienicker Brücke waren gut drei Dutzend Spione aus aller Welt dabei: Russen, Amerikaner, Tschechen, Bulgaren und insgesamt sieben Polen. Bei manchen grenzte die Freilassung fast an ein Wunder - so auch bei Marian Zacharski, der schon seit 1444 Tage in Haft saß.

Wenn er heute über die Brücke spaziere, begreife er, dass er viel Glück hatte. "Mir war klar, dass ich da niemals rauskomme, außer ich werde ausgetauscht", sagt er. Den deutschen Mittler und Unterhändlern spricht er heute gerne seinen Dank aus - und betont, dass er den Osten und Westen gleichermaßen meint. Der Osten wollte den erfolgreichen Geheimdienstler zurückholen. Der Westen wollte möglichst viele Deutsche für ihn aushandeln.

Auf der Glienicker Brücke prallten zu Zeiten des Kalten Krieges harte Politik und unglaubliche Schicksale aufeinander. Kein Wunder, dass sie bei den Akteuren von damals immer noch Erinnerungen weckt. "Früher war es die Brücke der Einheit", erzählt sich Zacharski an der gleichen Stelle, wo er vor einem Vierteljahrhundert in die Freiheit lief. "Seither ist sie für mich die Brücke der Freiheit."

Autor: Rosalia Romaniec

Redaktion: Kay-Alexander Scholz

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