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Wie Bierbecher das grüne Fußball-Gewissen testen

Klaus Esterluss
18. Juli 2017

Können Fußballvereine ein Vorbild für den Umweltschutz sein? Eine Studie der Deutschen Umwelthilfe zu Bierbechern stellt den deutschen Profi-Fußball auf den Kopf. Und sorgt doch für Einigkeit bei David und Goliath.

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Bild: Deutsche Umwelthilfe

Was wäre, wenn man den deutschen Profi-Fußball auf den Kopf stellen würde? Wenn ein Kleiner ganz groß und ein Großer ganz klein wäre? Dann hätte der Kampf um Geld und Ehre etwas überraschend Märchenhaftes und David wieder einmal Goliath geschlagen. Aber der Reihe nach: Am Anfang steht die "Deutsche Umwelthilfe", eine Organisation, die für eine ökologische, nachhaltige Welt wirbt. Die meldete kürzlich, dass "Union Berlin" Deutscher Meister geworden ist und Borussia Dortmund auf einem Abstiegsplatz steht.

Dazu muss man wissen, dass die Borussen in der vergangenen Bundesligasaison den 3. Platz belegt haben, Union spielte nicht mal in der selben Liga.

Wie geht das? Ausschlaggebend für das Ergebnis der "Deutschen Umwelthilfe" waren nicht die sportlichen Leistungen, sondern die ökologischen. Genauer, der Abfallberg, den beide Mannschaften (und alle anderen auch) an jedem Spieltag der Saison verursachen.

Viele Fans produzieren auch viel Müll - oder geht es auch anders?Bild: ballkuesstrasen.wordpress.com/S. Paulsen

"Die Abfallberge nach einem Fußballspiel sind gewaltig", sagt Thomas Fischer von der "Deutschen Umwelthilfe". Immerhin fielen pro Saison rund vier Millionen Becher als Abfall an, und die landeten eben oft nicht nur im Müll, sondern auch in der Landschaft, so Fischer. Die Studie basiert auf einer Umfrage, bei der die Vereine freiwillig Auskunft geben.

Freud und Leid

Will man mit David und Goliath sprechen, um zu erfahren, wie beide das Ergebnis der Studie finden, dann ist das bei David relativ einfach. Ein Anruf bei "Union Berlin" bringt Christian Arbeit ans Telefon. Er ist gewissermaßen das Sprachrohr des traditionsreichen Arbeiterclubs aus Berlin Köpenick, egal ob auf dem Platz oder wenn die Presse anruft.

Der Sieg, sagt Arbeit, sei eher eine Überraschung gewesen. Der Verein habe nicht darauf hingearbeitet. "Wir waren verblüfft, dass Dinge, die für uns ganz selbstverständlich sind, dazu führen, dass man einen Preis gewinnt."

Außerdem seien Becher auch nur ein Bestandteil der Geschichte. "Ich glaube, viel wichtiger ist es, dass wir Snacks ohne Besteck und Geschirr ausgeben, also auch keine Pappteller haben. Man bekommt die Bratwurst im Brötchen, das isst man mit auf, und dann bleibt einfach nichts mehr übrig."

Union Berlin spielt nur in der zweiten Liga. Bei der Müllvermeidung ist der Verein aber der Champion.Bild: Eisern Union

Bei Goliath ist die Reaktion etwas weniger enthusiastisch. Das Sprachrohr hier heißt Daniel Stolpe. Und wenn man mit ihm spricht, erfährt man sehr schnell, dass "Borussia Dortmund" der Untersuchung der "Deutschen Umwelthilfe" skeptisch gegenübersteht. Sie spiegle viele Ansätze der Schwarz-Gelben beim Klimaschutz nicht wieder, sagt Stolpe. Es gehe doch um mehr als Becher.

"Der BVB bezieht seinen ganzen Energiebedarf aus Ökostrom", so Stolpe. "Außerdem produzieren wir Energie über eine aus 8800 Solarmodulen bestehende Photovoltaikanlage auf dem Stadiondach und drucken alle Printprodukte auf FSC-zertifiziertem Papier." Soll heißen: Es gibt sehr wohl ein Umweltbewusstsein bei "Borussia Dortmund".

In der Tat dreht sich das grüne Ranking der "Deutschen Umwelthilfe" ausschließlich um den Müll, der bei Spielen anfällt. Es klammert andere Aspekte aus. Es gebe Vereine, die hätten von Mehrweg- auf Einwegbecher umgestellt, heißt es im Bericht. Auch dass diese Becher oft aus dem Bio-Kunststoff Polymilchsäure hergestellt werden, helfe dabei nicht.

Vor allem seien die Becher, die auch der BVB verwendet, nicht so schön abbaubar, wie behauptet wird. Und in der Tat braucht der Bio-Kunststoff konstante Temperaturen und Feuchtigkeit, um sich zu zersetzen. Auch sei dieser Prozess keine echte Kompostierung, wie gern behauptet wird, weil keine Nährstoffe freiwerden. Der größte Dorn im Auge der Umweltschützer ist aber der fragwürdige ökologische Fußabdruck des Materials. Dem verwendeten US-Mais würde mit Pestiziden und Herbiziden nachgeholfen, Rohstoffe und die Becher selbst müssten um die halbe Welt verschifft werden, um am Ende in Dortmund den Durst der Fans zu löschen.

Ein Desaster sei das, so die Umwelthilfe.

Die Menge macht den Unterschied

Aber wie misst man ein Desaster? Die Menge der Zuschauer ist der Knackpunkt, das sagen sowohl David als auch Goliath. In die "Alte Försterei", wo die Berliner zu ihren Heimspielen auflaufen, passen 22.000 Zuschauer.

Der "Signal Iduna Park" in Dortmund hingegen, früher hieß der Komplex noch "Westfalenstadion", ist das größte Fußballstadion Deutschlands und fasst etwas mehr als 81.000 Zuschauer. Und die trinken natürlich auch entsprechend mehr. Selbst wenn Union, wie kürzlich angekündigt, sein Stadion erheblich vergrößern will, auf 37.000 Plätze nämlich, sind das immer noch weniger als halb so viele wie in Dortmund.

Das Stadion von Borussia Dortmund ist so groß, dass es ein spezielles System aus 200 Röhren hat, über das benutzte Einwegbecher entsorgt werden.Bild: CC BY-SA 3.0/Dmitrij Rodionov

Pfandbecher, sagt Daniel Stolpe, das geht nicht so einfach bei der Größe. "Es gibt neben Sicherheits- und Hygienegründen auch einen Servicegedanken. Wenn Sie 80.000 Menschen im Stadion haben, dann muss sich jeder, der sich ein Getränk kauft, auch noch ein zweites Mal anstellen, um das Pfand erstattet zu bekommen oder seinen Becher zurückzugeben." Deshalb gibt es überall im Stadion spezielle Röhren, in die die Becher geworfen werden sollen, damit sie eben nicht auf dem Boden landen. Knapp 200 gibt es davon.

Bei Union sollen sich die Menschen wieder anstellen, was sie auch tun. Oder sie pfeifen auf das Pfandgeld und nehmen die Becher als Andenken mit nach Hause.

Umweltretter, weil es so sein muss?

Sicher ist, dass immer mehr getan werden könnte, egal bei welchem Verein. Und genau das will die "Deutsche Umwelthilfe" erreichen, indem sie mahnt. Die Vereine sollen Klimaretter-Vorbild für all jene werden, die Woche für Woche ins Stadion pilgern. Aber klappt das?

Jein.

"Ich weiß nicht, ob Fußballvereine heutzutage eine ausdrückliche Vorbildrolle einnehmen müssen, oder ob es nicht viel mehr unser aller Aufgabe ist, so grün wie möglich zu handeln und zu denken", sagt BVB-Mann Stolpe. "Aber natürlich sehen wir es schon als unsere Pflicht an, das Bewusstsein zu wecken, warum man den Becher nicht achtlos auf den Boden feuert, sondern in eine dieser Röhren steckt – und tun das auch gerne!"

"Aber", ergänzt Christian Arbeit von "Union Berlin", "ich würde ein bisschen davor warnen, Fußballvereine zu sehr zu überfrachten mit allen möglichen Themen. Sie sollen schon Vorbild für Fairness und Integration sein. Und nun auch noch für Müllvermeidung? Wenn man da ausgerechnet seinen Fußballverein als Vorbild braucht, das wäre schade."

Beide sagen, dass jeder selbst etwas tun muss. Und wenn die "Deutsche Umwelthilfe" das nächste Mal für ihre Studien vielleicht die erzeugte Solarenergie unter die Lupe nimmt, gewinnt möglicherweise Dortmund und damit Goliath auch mal gegen David.

Am Ende geht es beiden vor allem um Fußball. Und dass der auf einem grünen Rasen stattfindet, ist ja vielleicht auch schon so etwas wie ein Zeichen.

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