Kot zu Kompost
9. Juni 2015 Schon lange bevor Haiti 2010 von einem verheerenden Erdbeben getroffen wurde, litt das Land unter einer beachtlichen Anzahl an Umweltproblemen. Die Abholzung der Wälder der Insel hatte dramatische Ausmaße angenommen. Satellitenbilder zeigten das Ausmaß, große Landstriche waren weitgehend frei von Vegetation. Größere Regengüsse schwemmten Teile der Küste Haitis ins Karibische Meer, weil keine Pflanzen mehr das Abtragen des Bodens verhindern konnten.
Als das Unglück die Insel vor fünf Jahren heimsuchte, wurde die Situation ungleich dramatischer. Rund 1,5 Millionen Menschen verloren bei dem Erdbeben ihre Häuser. Sie mussten in Behelfsunterkünfte ausweichen, ohne Zugang zu sauberem Wasser oder sanitären Anlagen. Das führte - fast zwangsläufig - in eine gesundheitliche Katastrophe.
Anders als die Menschen in wohlhabenden Industrienationen können Haitianer nicht einfach "spülen und vergessen". Denn ein Großteil der Bevölkerung hat keinen Zugang zu einer funktionieren Toilette. Hier setzt #link:https://www.oursoil.org:SOIL# (Sustainable Organic Integrated Livelihoods) an. Die 2006 gegründete, gemeinnützige Organisation versucht, mit sanitären Einrichtungen Gesundheitsprobleme zu verhindern oder einzudämmen.
Gemeinnützig gegen die Krise
"Brauchbare sanitäre Einrichtungen sind ein Grundrecht", sagt Sasha Kramer, Geschäftsführerin von SOIL. "Wenn man eine funktionierende Toilette hat, nimmt man das als gegeben hin. Erst, wenn man keine hat, aber dringend eine braucht, stellt man fest, welchen Beitrag zur Menschenwürde Toiletten leisten", so Kramer.
Ohne funktionierende Toiletten sammeln sich die Ausscheidungen der Menschen in der Nähe ihrer Häuser, dringen in den Boden ein und verunreinigen das Trinkwasser. Seit dem Erdbeben leben Haitianer in ständiger Gefahr, sich mit einer lebensbedrohlichen Krankheit anzustecken, weil ihr Wasser Erreger enthält. In den Jahren seit dem Beben haben sich etwa 700.000 Menschen mit Cholera angesteckt, weil sie verunreinigtes Wasser getrunken haben, #link:http://www.un.org/News/dh/infocus/haiti/Cholera_UN_Factsheet_24%20Feb_2014.pdf:schätzen die Vereinten Nationen.# 9000 starben an den Folgen der Ansteckung.
SOIL versteht die Fäkalien als wertvollen Rohstoff, der, wenn er richtig behandelt wird, das Leiden der Menschen auf der Insel zumindest lindern kann. Das Ziel der Organisation ist es, eine Verbindung zwischen Kanalisation und Landwirtschaft zu schaffen. "EkoLakay" nennt SOIL seinen Lösungsansatz, der inzwischen in Teilen von Port-au-Prince und Cap-Haitien umgesetzt wird. Insgesamt sind 370 Haushalte angeschlossen.
Trockentoiletten, die Urin und Kot voneinander trennen, bilden den Kern der Idee. Gegen eine kleine Gebühr liefert SOIL die Toiletten an und holt sie auch wieder ab. In den Toiletten landen Urin und Kot in unterschiedlichen Behältern. So wird verhindert, dass eine faulige, stinkende Masse entsteht. Der trockene Kot kann dagegen unkompliziert kompostiert werden und, weil er weniger wiegt, auch ohne großen Aufwand transportiert werden.
Wie funktioniert das?
Kramer hat an der Standford Universität Ökologie studiert. Dieses Studium, sagt sie, habe ihr bei der Entwicklung der Idee sehr geholfen. So wusste sie etwa, dass der Stickstoffkreislauf ein wichtiger Antrieb für lebende Organismen sei, so Kramer. Pflanzen können sich ohne Nährstoffe im Boden, und dazu gehört auch Stickstoff, nicht entwickeln. Und den gibt es reichlich in den 5000 Gallonen (etwa 19.000 Liter) Ausscheidungen, die SOIL-Mitarbeiter jede Woche zu zwei Abfallaufbereitungsanlagen transportieren.
Um diesen Abfall in nützlichen Kompost zu verwandeln, muss Kohlenstoff, in diesem Fall aus Zuckerrohr, zugesetzt werden. Nur so entsteht eine Umgebung, in der Mikroorganismen aktiv werden können. Sie verwerten den Rohstoff und scheiden am Ende des Prozesses Stickstoff, Phosphor und Magnesium aus, die Nährstoffe also, die Pflanzen zum Wachsen brauchen. Außerdem erzeugen die Bakterien genug Wärme, um lebensbedrohliche Krankheitserreger abzutöten. Nach einigen Monaten im Komposter haben die kleinen Helfer einen nährstoffreichen Boden produziert, der gefahrlos auf Feldern ausgebracht werden kann.
Diesen Kompost unterzieht SOIL intensiven Prüfungen, um sicherzustellen, dass keine Verunreinigung mehr vorhanden sind. Auch eine Studie der US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention bestätigt den Erfolg. Das Institut hat den Kompost auf E.coli-Bakterien untersucht. Die kommen im Darm und in den Ausscheidungen von Mensch und Tier vor. Nach nur vier Monaten waren sie nicht mehr nachweisbar.
Ob das SOIL-Projekt auch in großem Umfang in Haiti angewendet werden kann, ist trotzdem noch nicht sicher. "Haiti hat zwar das Potenzial, grüner zu werden und Sanitäranlagen für alle bereit zu stellen. Aber nur, wenn die Projekte gut strukturiert werden", sagt Karsten Gjefle, Direktor der norwegischen Öko-Sanitärfirma SuSan Design. "Haiti muss bereit sein, das SOIL-Experiment mitzugehen."
Schwarzes Gold
Der aus Fäkalien gewonnene Kompost ist, laut Kramer, eine preiswerte Alternative zu importierten, chemischen Düngemitteln, die sich Bauern kaum leisten können. Ihr Service solle überall funktionieren und verbrauchte Böden wieder kultivieren, auch außerhalb Haitis.
Bisher hat SOIL 75.000 Gallonen (330.000 Liter) Kompost verkauft, zu 2 US-Dollar (1,80 Euro) je 25-Pfund-Sack. Nichtregierungsorganisationen und Gemeinden, die sich mit Aufforstung und Ernährungssicherheit beschäftigen, sind die Kunden.
Nach Angaben der Vereinten Nationen haben derzeit 2,5 Milliarden Menschen auf der Welt keinen Zugang zu sanitären Einrichtungen, #link:http://www.who.int/water_sanitation_health/publications/2014/jmp-report/en/:rund eine Milliarde verrichten ihr Geschäft im Freien#. Drei bis fünf Millionen Menschen erkranken im Jahr an Cholera. An Durchfallerkrankungen sterben mehr Kinder unter fünf Jahren, als an HIV, Masern und Malaria zusammen.
Angesichts dieser Zahlen gehe es jetzt darum, die letzten Probleme des Konzepts zu lösen, sagt Kramer. "Wir testen das Geschäftsmodell, und wir hoffen, in den kommenden Jahren in einem weit größeren Rahmen arbeiten zu können."