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Schrott, Essen, Überleben

Klaus Esterluss11. September 2015

"Es ist ganz wichtig, dass man solchen Problemen auch ein menschliches Gesicht gibt", sagt Georg Hobmeier, einer der Köpfe hinter dem Handyspiel "Burn the Boards", das sich um die Gefahren von Elektroschrott dreht.

Causa Creations Spiel Burn The Boards
Bild: Causa Creations

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Georg Hobmeier und Tilmann Hars haben 2014 Causa Creations gegründet, eine Firma, die Handyspiele mit Anspruch produzieren will. Im Fokus ihrer letzten Veröffentlichung, die Burn the Boards heißt, steht das Leben der Menschen, die den Abfall verwerten und aufarbeiten, den Millionen andere Menschen tagtäglich achtlos verursachen: Elektroschrott oder e-waste. Egal, ob weggeworfene Fernseher oder Mobilgeräte, dieser Müll bildet die Lebensgrundlage der Ärmsten der Armen. In Burn the Boards übernimmt der Spieler die Rolle von Arun, einem indischen Dorfbewohner, der mit seiner Familie in die große Stadt gegangen ist, um ein besseres Leben zu finden. In einer Hinterhof-Werkstatt muss Arun darum so viel Schrott wie möglich aufarbeiten, um genug Geld zum Überleben zu verdienen. Doch der Job ist extrem gefährlich für die Gesundheit.

Global Ideas: Ihr habt mit Burn the Boards ein Spiel entwickelt, das die Spieler packen und so auf ein massives Problem, Elektroschrott, stoßen soll. Wie schafft man es, dass sich Menschen nicht abwenden, weil ihnen das Thema zu kompliziert ist?

Georg Hobmeier: Wir erzählen die Geschichte eines Menschen in seiner ganzen Dramatik, angefangen bei einer Flucht, über Arbeit, Familie und die immer schlechter werdende Gesundheit. Es ist ganz wichtig, solchen Problemen ein menschliches Gesicht zu geben. Zahlen, Tabellen und Kalkulationen berühren Menschen nicht. Sie brauchen einfach ein Gesicht, damit sie eine emotionale Bindung herstellen können.

"Es ist ganz wichtig, dass man solchen Problemen auch ein menschliches Gesicht gibt."

Woher kommt das Interesse am Thema Elektroschrott, gibt es einen Auslöser?

Unsere Firma entstand im Zuge der Arbeit an einem Spiel für Amnesty International Indien. Das beschäftigt sich mit dem anderen Ende der Wertschöpfungskette, mit dem Konflikt zwischen Stammesgemeinschaften und Minengesellschaften. Weil das ein sehr umfangreiches Projekt ist, haben wir viel Vorarbeit gehabt und in diesem Zusammenhang ist dann die Idee zu Burn the Boards entstanden. Wir haben im Zuge der Arbeit einen kleinen Prototypen eines e-waste-Simulators gebaut und sind immer mehr in das Thema hineingerutscht.
Im Zuge dessen ist beispielsweise auch ein interaktives Textadventure - Where the Phones go heißt es - entstanden, das sich mit der Recyclingkette nach Afrika beschäftigt.

Wer ist die Zielgruppe, wen soll Burn the Boards erreichen, nur Industrieländer?

Wir haben nicht nur Europa im Auge, sondern auch den indischen Markt. Gerade in den Schwellenländern haben die Leute inzwischen unglaubliche Mengen an Technik, Smartphones werden immer billiger. Die Menschen in diesen Ländern geraten mittlerweile in die gleiche Situation wie die Menschen in Europa, sie haben gar keinen Kontakt mehr zu der Realität, die wir im Spiel zeigen.
Es geht uns also darum, dass die Spieler die Konsequenz verstehen, die das Gerät hat, mit dem sie da spielen. Es ist immer wieder überraschend, dass selbst die gebildetsten Personen nicht wissen, wie giftig so ein Smartphone ist, wenn man es recycelt. Sobald man anfängt, solche Geräte auseinanderzubauen, zu fräsen, Teile in Säure aufzulösen oder zu verbrennen, entstehen die unglaublichsten Giftstoffe. Da ein Bewusstsein zu schaffen ist wichtig. Wir reden von 50 Millionen Tonnen Elektroschrott im Jahr und nicht nur von ein paar Tonnen.

Und mobile Spiele sind dann ein Ansatz, der funktionieren kann, um ein Bewusstsein zu schaffen?

Ja, weil es eine Art Selbstbezug hat. Man recycelt Elektroschrott auf einem Gerät, das genauso gut der Schritt sein kann, den man im Spiel recycelt. Computerspiele sind das Massenmedium des 21. Jahrhunderts. Bei jedem neuen Projekt, das wir anfangen, merken wir irgendwann, dass es eigentlich noch gar keinen Markt dafür gibt. Aber es gibt viele Nischen, in denen man operieren kann.

Euer Spiel schafft es, den Spieler einzufangen, also ihm erfahrbar zu machen, was er da spielt und wie dramatisch das ist.

Ich versuche immer, eine Parallele zum Dokumentarfilm zu ziehen. Der kann ja auch packend sein und künstlerisch wertvoll und muss nicht nur so ein reines Bildungsformat haben. Im Spielebereich gab es in den vergangenen Jahren auch schon einige Titel, die den Weg bereitet haben. Das ist unter anderem Cart Life von Richard Hofmeier, das ist ein Spiel über schlecht bezahlte Jobs, da muss man einen Zeitungsstand hüten oder Donuts verkaufen, und man erfährt darin die Geschichte von diesen Menschen. Und das andere Spiel ist Papers Please von Lucas Pope, darin wird ein Grenzübergang simuliert, man kontrolliert Pässe und muss schauen, ob die gefälscht sind oder die Menschen gefährlich sind. Diese Spiele haben Akzeptanz geschaffen für Spiele mit einem ernsteren Hintergrund, auch wenn unser Spiel schon anders aussieht.

Ich würde gern zu eurem Background zurückkommen. Du hast vorhin gesagt, ihr seid beruflich oft in Indien, ist das im Zuge des Spieleentwickelns, oder was macht ihr da?

Das liegt vor allem an unserer Zusammenarbeit mit Amnesty International. Wir haben den Großteil dieser Reisen dem Thema Minen und Stammesgesellschaften gewidmet, aber wir hatten natürlich auch einige Besuche in Gegenden, wo Elektroschrott recycelt wird. Da kann man sich jetzt keine riesigen Hallen vorstellen, das passiert in einfachen Wohnvierteln. Mich hat das echt überrascht. Man läuft da herum, und plötzlich schleift jemand Monitore ab, und daneben spielen die Kinder.

Wie viel technisches Wissen steckt von euch da drin, wie gut kennt ihr Elektronik von Innen?

Einige unserer Mitarbeiter kommen aus dem Hardwarebereich und wissen, was für Elemente auf den Platinen sind. Wir wollten das Spiel aber auch nicht zu kompliziert machen. Deshalb haben wir uns für eine klar strukturierte Mechanik entschieden, die so ungefähr stimmt. Es gibt keine Elemente, die falsch sind. Auf Platinen findet man tatsächlich Elemente, die explodieren, wenn man sie erhitzt oder falsch anfasst. Genauso steigen giftige Dämpfe auf. Es ist also nicht aus der Luft gegriffen, wenn das im Spiel passiert, das ist alles realistisch.

"Man muss im Spiel irgendwie die Balance finden aus Familie ernähren, arbeiten und überleben."

Kann man das Spiel gewinnen?

Ja, natürlich. Es gibt sogar mehrere Enden. Insgesamt haben wir 640 verschiedene Puzzle-Variationen im Spiel. Es wird außerdem mit der Zeit schwieriger, es kommen neue Elektroschrott-Teile hinzu, die man abarbeiten muss. Am Anfang hat man nur zwei Elemente, am Ende sind es 12. Miteinander kombiniert ergeben sich daraus sehr komplexe Puzzle. Man muss im Spiel irgendwie die Balance finden aus Familie ernähren, arbeiten und überleben. Nach einer gewissen Zeit kann man Tricks herausfinden, um einigermaßen sicher seinen Job zu schaffen, ohne vor die Hunde zu gehen.
Wenn man beginnt, Geld zu verdienen, kann man sich das Ende quasi erkaufen. Wenn man 1000 Münzen zusammen hat, kann man sich einen kleinen Laden an der Straße kaufen und dort Essen anbieten, oder man kann noch mehr Geld sparen, um eine Ausbildung in einem Community College zu machen. Das bestmögliche Ende bedeutet soviel Gewinn, damit man seinen eigenen Elektroladen eröffnen kann. Dazu muss man richtig hart arbeiten.

Was muss in der realen Welt passieren, um das Problem anzugehen?

Wir brauchen eine Debatte über unseren eigenen Konsum, und dann brauchen wir eine Debatte über die Herstellung der Elektronik. Ich vermute schon, dass viel mit geplanter Redundanz gearbeitet wird und dass Geräte einfach ausbrennen oder dass Menschen immer stärker animiert werden, sich ständig neue Dinge zu kaufen. Und wenn man sich in zehn Jahren fünf neue Flachbildschirme kauft, dann trägt man auch zum Problem bei. Telefone sind ja nur ein kleiner Bruchteil, jede Form von Elektronik ist problematisch. Auch die Platinen und das Metall sind nicht das einzige Problem, es geht auch um die unterschiedlichen Kunststoffe, die verwendet werden.
Was meiner Meinung nach wirklich hilft, ist den Blick auf die Gesundheitsrisiken zu lenken. Wenn man sich mal anschaut, was mit den Stoffen passiert, wie die im Körper angereichert werden, dann sollte kein Auge trocken bleiben.

Kannst du aber eine Veränderung in die positive Richtung heute schon sehen, oder ist es den meisten Leuten nach wie vor egal?

Ich habe natürlich einen bestimmten Blick auf die Gesellschaft. Die Leute in meiner Umgebung gehören nicht zu denen, die ihre Telefone wegschmeißen oder die allergrößten Fernseher kaufen. Ich denke aber, die Möglichkeit des Verständnisses ist vorhanden. Aber es braucht einen Auslöser, irgendeine Grenze muss überschritten werden, damit die breite Masse versteht, was eigentlich Sache ist. Ob das nun eine Verdichtung von medialer Berichterstattung ist oder, leider, eine globale Katastrophe. Das Problem ist, dass man sehr stark gegen die Tendenzen in der Unterhaltungsindustrie kämpft, die wollen natürlich ihre Waren an den Mann bringen und damit werden die meisten Hersteller wohl nicht aufhören wollen.

Bild: Causa Creations
Bild: Causa Creations
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