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Politik

GMF sucht Grenze zwischen Aktivismus und Journalismus

20. Juni 2022

Wie neutral kann Journalismus sein - und wie nah darf er Aktivismus kommen? In einer Zeit wachsender Polarisierung in einer Welt voller Konflikte zog sich diese Frage durch den ersten Tag des DW Global Media Forums.

GMF 2022 | Maria Ressa mit Mikrofon vor einem Aufstellbanner des Global Media Forums der DW
Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa: "In der Schlacht um Wahrheit sind Journalisten Aktivisten"

"Shaping tomorrow, now" ist das Global Media Forum, GMF,der Deutschen Welle in diesem Jahr überschrieben, "Die Welt von morgen gestalten, heute". Ein großer Anspruch angesichts von Kriegen, Krisen, Katastrophen, von Herausforderungen durch wachsenden Nationalismus, durch mächtiger werdende Autokratien. Mehrfach wurde auf dem internationalen Medienkongress vor der Gefahr des Faschismus gewarnt. Journalisten und Medien spielen bei dieser Gestaltung der Zukunft eine zentrale Rolle, war der übereinstimmende Tenor am Eröffnungstag des GMF. Weil Informationen eine zentrale Rolle spielen - im Guten wie im Schlechten: mit wahrheitsgemäßer Aufklärung oder mit Desinformationen und Propaganda.

"Lügen, aufgeladen mit Hass und Wut verbreiten sich schneller als Fakten und Tatsachen", sagte Maria Ressa auf dem GMF. Die philippinische Friedensnobelpreisträgerin von 2021 hielt eine leidenschaftliche Eröffnungsrede.Sie spannte einen weiten Bogen von ihrer persönlichen Verfolgungserfahrung als Journalistin über die Diktatur schier allmächtiger Algorithmen der sozialen Netzwerke hin zu den konkreten Auswirkungen, die eine fehlgeleitete Entwicklung des Informationsraums haben können - etwa auf die über 30 Wahlen, die in diesem Jahr weltweit die politische Zukunft beeinflussen.

Schlacht um Wahrheit

Wo sie selbst in der Abgrenzung zwischen Journalismus und Aktivismus steht, hatte Ressa schon bei der Verleihung des Friedensnobelpreises im letzten Dezember deutlich gemacht: "In der Schlacht um Wahrheit, in der Schlacht um Fakten, sind Journalisten Aktivisten."

Die sozialen Medien der Silicon-Valley Konzerne verglich Ressa in Bonn mit einer "Atombombe, die in unserem Informationssystem explodiert ist". Facebook habe Journalisten durch Influencer ersetzt; Technologiefirmen würden darüber entscheiden, welche Medienunternehmen überleben, diagnostizierte Ressa. Sie fürchte um die Zukunft der Demokratien, bekannte die Gründerin des Online-Nachrichtenprotals "Rappler". "Wenn du dafür sorgen kannst, dass dein Publikum alles in Zweifel zieht, gewinnen die Autokraten. Putin hat das sehr gut verstanden."

Schutz- und Finanzierungsprogramm für verfolgte Journalisten

Russlands Präsident, der russische Angriff auf die Ukraine und auf die freien Medien im eigenen Land zogen sich durch viele Konferenzbeiträge. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock hatte in einer Grußbotschaft an die rund 2000 GMF-Teilnehmer aus 120 Ländern erklärt, Russland führe diesen Krieg "nicht nur mit brutaler militärischer Gewalt, sondern auch mit Desinformation". Die Grünen-Politikerin kündigte die Gründung eines weltweiten Schutz- und Finanzierungsprogramms für verfolgte Journalisten an.

Außenministerin Baerbock kündigte per Videobotschaft ein Hilfsprogramm für verfolgte Journalisten anBild: Ayse Tasci/DW

Auch Claudia Roth, Staatsministerin für Kultur und Medien, will sich für unabhängige russische, ukrainische und belarussische Journalistinnen und Journalisten einsetzen. Sie plant den Aufbau einer Infrastruktur für Exil-Journalisten, die von Deutschland aus arbeiten. Roth forderte aber auch Hilfe für die innerhalb der Ukraine arbeitenden unabhängigen Medien. Die Ukraine solle nicht nur durch Waffenlieferungen unterstützt werden, sagte Roth. "Eine wichtige Waffe ist auch unabhängiger Journalismus." 

Professionalität trotz Kriegs

Wie angespannt die Lage in der Ukraine für Journalisten ist, beschrieb die Fernsehjournalistin Anhelina Karjakina. Ukrainische Journalisten stünden täglich vor der Frage, wie sie ihren Job machen und gleichzeitig überleben könnten. Auf die Frage, ob sich Aktivistentum und Journalismus unter solchen Bedingungen trennen lasse, betonte die Nachrichtenchefin des Senders UA:PBC die Professionalität der Journalisten - trotz aller Kriegsumstände. Das Wichtigste in der jetzigen Situation sei, die Wahrheit zu berichten.

Kulturstaatsministerin Roth (2. von rechts) und Angelina Kariakina (2. von links) sprechen über Journalismus in KriegszeitenBild: Ronka Oberhammer/DW

Die Grenze zwischen Journalismus und Aktivismus tastete das GMF bei einer eignen Podiumsdiskussion ab. Die brasilianische Investigativjournalistin Patricia Toledo de Campos Mello forderte dabei die Trennung beider Sphären. DW-Intendant Peter Limbourg bekannte sich dagegen zu Aktivismus - allerdings nur, wenn es um Fragen der Menschenrechte ginge, um universell gültige Normen und Werte. Wesentlich sei es, so Limbourg, bei den Fakten zu bleiben. Er sprach sich zugleich für konstruktiven Journalismus mit konkreten Lösungsansätzen aus. Damit allerdings wüchse wieder die Nähe zum Aktivismus. Die Trennlinie zwischen beiden Sphären, soviel wurde klar, ist dünn.

Zusammenarbeit zwischen Aktivisten und Journalisten

Noch weiter verschwimmen die Grenzen zwischen "neuem Journalismus" und digitalem Journalismus. Die Auswertung großer Datenmengen wird zu einem immer wichtigeren Teil von investigativen Recherchen und großen Nachrichtengeschichten. Die Enthüllungen von Wikileaks oder die Panamapapers sind da nur zwei Beispiele.

Anna Biselli, die Chefredakteurin von Netzpolitik.org, einer Nachrichtenwebseite zu digitalen Freiheitsrechten, stellt den Sinn einer Grenzziehung zwischen Aktivismus und Journalismus insgesamt in Frage. Auch Aktivisten würden schließlich mit Fakten und Tatsachen arbeiten, argumentiert die gelernte Informatikerin. "Wir halten uns an journalistische Prinzipien, aber mit klarem Standpunkt", so Biselli bei einem Panel, das überschrieben war mit: "Neuer Journalismus" und "digitaler Aktivismus" - Pfeiler, Partner und Konkurrenten in einer digitalisierten Öffentlichkeit?"