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Wir brauchen 100 Solarmodul-Fabriken - sofort

Nils Zimmermann
7. Januar 2021

Um die Welt bis 2035 auf null Emissionen zu bringen, müssten 100 riesige Fabriken für Solarmodule gebaut werden - bis 2025. Denn 70 Prozent des künftigen Energiebedarfs wird von preiswertem Solarstrom geliefert werden.

 China Schwimmende Solaranlage Chuzhou
Bild: Song Weixing/HPIC/dpa/picture alliance

"Wir wissen, dass die Welt ihre Energiesysteme dekarbonisieren muss", sagt Christian Breyer, Professor für Solarökonomie an der LUT-Universität in Lappeenranta in Finnland. Seine Forschungsgruppe modelliert Übergangswege zu zukünftigen emissionsfreien Energiesystemen. Fossile Systeme müssten durch emissionsfreie Systemen ersetzt werden - so schnell, sicher, und kostengünstig wie möglich. "Dazu brauchen wir technologisch machbare, kostenoptimierte Übergangspfade für jede Region der Welt. Unsere Berechnungen zeigen, wie wir das schaffen können."

Breyers kostenoptimiertes Systemmodell, 2019 veröffentlicht, rechnet vor, wie ein globales Energiesystem mit Netto-Null-Kohlenstoffemissionen erreicht werden kann. In dem Modell liefert am Ende der Übergangszeit die Photovoltaik (PV), also Solarmodule, 69 Prozent des gesamten globalen Primärenergiebedarfs für alle Zwecke. Der Rest kommt aus Wind- und Wasserkraft, Biomasse und Geothermie.

In seinem Szenario ist die Atomkraft nicht enthalten, weil sie "einfach zu teuer ist", so Breyer gegenüber der DW. "Die PV-Technik wird von Jahr zu Jahr billiger, die Baukosten für Atomkraftwerke hingegen steigen." Außerdem sei es viel einfacher, schneller und risikoärmer, Solarstrom zu installieren und betreiben als Atomkraftwerke. 

Bis wann muss die Welt aufhören, fossile Brennstoffe zu verbrennen?

Das solarstrombasierte Modell der LUT-Forscher wirft zwei Fragen auf. Erstens: Bis wann muss die Welt einen Netto-Null-Ausstoß an Treibhausgasen erreichen, um die globale Erwärmung unter 1,5 Grad Celsius zu halten - wie von der Weltpolitik angestrebt?

Zweitens: Wie viele Solarkraftwerke müssten bis wann gebaut werden, um den sehr hohen Anteil der Solarenergie an diesem Klimaziel zu erfüllen?

Wir fragten Piers Forster, Klimawissenschaftler an der University of Leeds in Großbritannien, wie viel CO2 kumulativ noch in die Luft gepumpt werden kann, wenn das 1,5-Grad-Ziel eingehalten werden soll - ohne später massive Anstrengungen unternehmen zu müssen, das klimaschädliche Gas durch teure Maßnahmen wieder aus der Luft zu entfernen und zu speichern.

Seine ernüchternde Antwort: Um eine Zwei-Drittel-Wahrscheinlichkeit zu haben, unter 1,5 Grad zu bleiben, können wir ab Anfang 2021 - maximal - zusätzliche 195 Milliarden Tonnen CO2 (GtCO2) in die Luft entlassen, über die 1700 GtCO2 hinaus, die seit Beginn der industriellen Revolution bereits freigesetzt wurden, davon mehr als die Hälfte seit 1990.  (siehe Seite 23 im Bericht von Constrain-EU.org)

Allein im Jahr 2019 beliefen sich die Emissionen auf etwa 40 GtCO2. Wenn das Niveau in den nächsten Jahren in etwa gleich bleibe - was sehr wahrscheinlich ist - wird das verbleibende CO2-Emissionsbudget bis Ende 2025 aufgebraucht sein. Danach wird sich die Welt im Carbon Overshoot befinden - und auf dem Weg zu sehr gefährlichen Klimaveränderungen sein. Daher "müssen wir so schnell wie möglich nach 2025 zu Nullemissionen kommen", sagt Christian Breyer. "Das derzeitige politische Zieljahr für Nullemissionen ist 2050. Das ist viel zu spät."

Die wahren Kosten des Kohlestroms

Es wird ein Großteil des Kohlenstoffs, der in diesen Jahren in die Atmosphäre freigesetzt wird, in Zukunft wieder aus der Atmosphäre herausgeholt werden müssen, um gefährliche Klimaveränderungen und einen langfristigen Anstieg des Meeresspiegels zu vermeiden. Das wird sehr viel Geld kosten. Viel billiger wäre es, erneuerbare Energien schneller auszubauen und Kohlekraftwerke früher abzuschalten, sagt Breyer.

Der Grund: Die Produktion einer Megawattstunde (MWh) Kohlestrom verursacht etwa eine Tonne CO2-Emissionen. Diese Tonne CO2 aktiv aus der Luft zu holen und dauerhaft zu speichern, dürfte mittelfristig etwa 100 Euro kosten. Zum Vergleich: Eine MWh Strom kostete an der Strombörse in Deutschland im Jahr 2020 durchschnittlich 33 Euro.

Damit ist Kohlestrom tatsächlich etwa viermal so teuer wie Strom aus Photovoltaik oder Windkraftanlagen - oder genauer: er wäre es, wenn die finanziellen Kosten für die aktive Rückgewinnung und Speicherung jeder Tonne Kohlenstoff, die bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe freigesetzt wird, in den Preis jeder Megawattstunde Kohlestrom eingerechnet würden, wie Ökonomen schon lange empfehlen.

"Dabei sind die Gesundheitskosten der Schwermetallemissionen aus Kohlekraftwerken noch gar nicht berücksichtigt. Allein in Deutschland verursacht diese Luftverschmutzung jedes Jahr rund 5000 vorzeitige Todesfälle, in Asien fast eine Million", sagt Breyer.

Die Lösung: sofort 100 riesige PV-Fabriken bauen

Eine wohlhabende zukünftige kohlenstoffneutrale globale Zivilisation mit Netto-Null-Emissionen wird zu 90 Prozent mit Elektrizität betrieben werden, schätzt das LUT-Modell - zum Teil direkt, zum Teil über synthetische Kraftstoffe (E-Fuels). Fast 70 Prozent des Stroms wird von PV-Anlagen kommen. Wie viele riesige PV-Modulfabriken werden also benötigt, um diese Zukunft rechtzeitig zu erreichen?

Die mit Abstand größte PV-Modulfabrik der Welt befindet sich derzeit in der chinesischen Provinz Anhui im Bau. Sie wird eine Produktionskapazität von 60 Gigawatt (GW) pro Jahr haben, so die Projektentwicklungsfirma GCL System Integration. Zum Vergleich: Die weltweite PV-Produktionskapazität im Jahr 2020 beträgt etwa 200 GW, davon 90 Prozent in China.

Das LUT-Modell sieht im Zieljahr, in dem fossile Brennstoffe keine Rolle mehr spielen, ein globales Elektrizitätssystem vor, das vollständig von erneuerbaren Energien gespeist wird, mit 78.000 GW installierter erneuerbare Stromerzeugungskapazität, einschließlich 63.400 GW aus Solaranlagen, von denen etwa 8800 GW in Europa erzeugt werden.

Nach den derzeitigen Plänen der Industrie soll die kumulierte Menge der weltweit installierten PV-Module bis 2024 nur 1500 GW erreichen, so die Schätzungen des Branchenverbandes SolarPower Europe. Um das LUT-Null-Emissionsszenario bis 2035 zu erreichen, müssen dann zwischen 2025 und 2035 weitere 62.000 GW an PV-Modulen (= 62 Terawatt, TW) produziert und installiert werden.

Hatte Elon Musk recht? 

Bestehende Planungen sehen vor, dass bis 2024 PV-Fabriken mit einer jährlichen Produktionskapazität von insgesamt ca. 400 GW im Betrieb sein werden. Das ist viel zu wenig: Wenn wir zwischen 2025 und 2035 zusätzliche 62 TW an Solarmodulen installieren wollen, dann müssen wir bis Ende 2024 zusätzlich 100 Solar-Gigafabriken mit je 60 GW Jahresleistung bauen, jede so groß wie die Fabrik in Anhui, für eine jährliche Produktionskapazität von insgesamt 6000 GW.

Wenn Europa seine eigenen PV-Module produzieren soll, anstatt sie zu importieren, müssen 15 dieser 100 Riesenfabriken in Europa stehen. Die Weltkarte zeigt eine erste Schätzung, wie viele Fabriken in jeder von neun Weltregionen stehen müssen, damit jede ihren jeweiligen Eigenbedarf decken kann.

Elon Musk behauptete schon 2016, dass mit ungefähr 100 Gigafabriken eine ausreichende Menge an erneuerbaren Stromerzeugungsanlagen produziert werden könnte, um den Energiebedarf er ganzen Welt zu decken. Er hatte wohl recht. 

Was uns diese Zahlen sagen, ist, dass ein schneller Ausbau der erneuerbaren Energien als Kernelement eines globalen Wettlaufs zu Netto-Null-Emissionen technologisch machbar ist, sagt Christian Breyer. Schließlich ist es für die Menschheit kaum unmöglich, 100 riesige Fabriken zu bauen und zu betreiben, 15 davon in Europa. Die entscheidende Frage, die sich stellt, ist: Werden wir die Warnungen der Klimawissenschaftler endlich ernst nehmen, unsere Werkzeuge in die Hand nehmen, und das Notwendige tatkräftig umsetzen?

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