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Politik

Vorhang auf für die Telenovela

22. Februar 2019

Kann man einen knallharten Machtkampf wirklich wie eine Seifenoper inszenieren, wie es viele TV-Sender in Lateinamerika machen? Natürlich! Oliver Pieper beschreibt in seiner Glosse schon einmal das Drehbuch.

Karikatur von Eduardo “Edo” Sanabria
Bild: Eduardo Sanabria

Der Bösewicht ist groß, hat eine Figur wie ein Bär und ein maliziöses Lächeln. Ein Typ, dem man nicht gerne nachts auf der Straße begegnen möchte. Und der so verschlagen ist, dass man einerseits angewidert ist, sich aber doch auch irgendwie mit ihm identifizieren kann.

Die Fernsehmacher von Mexiko bis Argentinien müssen nicht lange überlegen, wem sie die Rolle des Fieslings im venezolanischen Rührstück geben sollen. Sie nehmen natürlich Nicolás, einen Emporkömmling, der seinem Ziehvater (zu diesem Charakterkopf später mehr) bei weitem nicht das Wasser reichen kann. Immer wieder wird in Rückblenden auf Nicolás' Vergangenheit als - kann man sich eigentlich gar nicht ausdenken - Busfahrer eingegangen. Wie er schon damals missliebige Fahrgäste einfach aus seinem Bus wirft und so zum Schweigen bringt.

Nicolás ist jetzt Präsident, dem Amt natürlich bei weitem nicht gewachsen. Er muss weg, so schnell wie möglich. Wie bei jeder Telenovela wird auch hier häufig mit Cliffhangern gearbeitet: Am Ende jeder Folge passiert immer ein dramatisches Ereignis, welches die Zuschauer fragend und neugierig zurücklässt, sodass sie am nächsten Tag einfach weiterschauen müssen. So wie Pablo Escobar bei "Narcos" immer in letzter Sekunde wieder einmal entkommen kann, hat auch Nicolás immer noch einen Trick, mit dem er sich an der Macht hält. Dramatische Musik. Zoom auf sein Siegerlächeln. Und Cut.

Lateinamerika fiebert mit dem Helden mit

Die Rolle des Finsterlings ist also schon vergeben, und dann erscheint urplötzlich, wie aus dem Nichts, der Retter, der Held, Nicolás' mindestens ebenbürtiger Gegenspieler. Natürlich kann das nur Juan sein, gut aussehend, jung und eloquent (Fernsehmacher betonen genau diese Reihenfolge, man muss ja an die weibliche Zielgruppe denken). Juan verkörpert den Glauben daran, dass am Ende doch immer das Gute gewinnt. Zumindest in der Telenovela.

Der Gute in der täglichen TV-Telenovela: der junge JuanBild: picture-alliance/dpa/V. Sharifulin

Die Frau an Juans Seite ist Fabiana - gut aussehend, jung und eloquent (in genau der Reihenfolge, man muss ja an die männliche Zielgruppe denken). Ach ja, die Frau von Nicolás heißt übrigens Cilia - nicht ganz so attraktiv, älter und natürlich verschwendungssüchtig (ihr Hang zum Luxus wird in einer monothematischen Folge ausgebreitet und sorgt für wüste Zuschauerreaktionen angesichts dieser Dreistigkeit der Präsidentengattin).

Auch Juan hat allerdings ein dunkles Geheimnis, das zwar immer einmal angedeutet, aber noch nicht weiter ausgeschmückt und bebildert wird. Die Fernsehmacher wollen sich diesen Erzählstrang für die Zukunft nicht verbauen. Denn auch Juan hat nämlich einen geheimnisvollen politischen Ziehvater, einen gewissen Leopoldo. Bei ihm ist noch nicht ganz klar, ob er nun zu den Guten oder zu den Bösen gehört. In jeder klassischen Telenovela gibt so einen Protagonisten, der Raum gibt, die Story in die eine oder andere Richtung weiterzuentwickeln - ein wahres Geschenk also, dieser Leopoldo!

Ist der Oberbösewicht am Ende gar nicht tot?

Der eigentliche Star der Telenovela ist aber schon tot, die Fernsehmacher halten sich aber noch die Möglichkeit offen, ihn - wie einst Bobby Ewing bei Dallas - wieder auferstehen zu lassen. Hugo war in der Vorgängerstaffel einem Krebsleiden zum Opfer gefallen. Das hatte seinerzeit von Tijuana bis Ushuaia zu Quoten geführt, von denen die Fernsehmacher heute noch feuchte Augen bekommen. Sein Sterben hatte sich so lange hingezogen, dass es am Ende in ganz Lateinamerika keine melodramatische Musik mehr gab, um es zu untermalen.

Die Bösewichte der Telenovela, vereint: Nicolás und der bereits verstorbene HugoBild: picture-alliance/AP Photo/A. Cubillos

Um auch die jüngere Zielgruppe verstärkt anzusprechen, wagen die Verantwortlichen nun einen Ausflug ins Fantasy-Genre und bedienen sich eines Kniffs: Hugo erscheint seinem politischen Ziehsohn Nicolás immer wieder als Vogel und zwitschert ihm ins Ohr, wie er sein Volk knechten soll. Hugo ist also noch viel böser als Nicolás - diese Nachricht gilt es dem Publikum, das man offenbar für ziemlich blöd hält - täglich einzutrichtern.

Happy-End oder Stoff für eine neue Staffel?

"Die Personen und die Handlung der Telenovela sind noch nicht einmal frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten sowie lebenden oder verstorbenen Personen gibt es tatsächlich." Diese Erklärung wird immer am Ende jeder Folge eingeblendet, um die Tragweite der ganzen Ereignisse nochmals zu verdeutlichen. Am Samstag, den 23.Februar, soll es gleich drei Folgen hintereinander geben: Der Konflikt zwischen Juan und Nicolás spitzt sich dramatisch zu, seit Tagen wird mit Hilfe von Trailern der ultimative Showdown angekündigt.

Natürlich alles in Farbe, obwohl die Fernsehmacher gerne die Protagonisten dieser Telenovela allein in Schwarz und Weiß einteilen. Wird Juan also Venezuela befreien, wird das Gute siegen, gibt es das heiß ersehnte Happy-End? Oder gewinnt am Ende doch Nicolás, diese verdammte Bolivarische Revolution, also das Böse? Dramatische Musik. Zoom auf Nicolás' Siegerlächeln. Und Cut …

Abspann: Die Deutsche Welle hat mit mehreren Medienwissenschaftlern gesprochen. Sie sagen, die Berichterstattung einer Vielzahl von Fernsehsendern in Lateinamerika über die Situation in Venezuela ähnele sehr stark einer Telenovela.

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