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Politik

WM-Baustelle Katar: Das Sterben geht weiter

Anchal Vohra Katar / AR
2. September 2018

Große Hitze, schlechte Arbeitsbedingungen: Immer wieder sterben Arbeiter auf den Baustellen für die FIFA-WM 2022 in Katar. Das arabische Land hat Besserung gelobt - die DW hat nachgehakt. Von Anchal Vohra, Katar.

Baustelle des Al-Reyan-Stadions in Katar
Bild: DW/A. Vohra

An einem Nachmittag im Hochsommer schnitzen Arbeiter mitten in der Wüste einen Diamanten - so soll zumindest einmal das Education City Stadium aussehen. 2019 soll das WM-Stadion fertig sein und dann 40.000 Fußballfans Platz bieten. Es ist heiß auf der Baustelle. Im Hochsommer können die Temperaturen in Katar schon mal auf bis zu 50 Grad steigen.

Weil diese Hitze gefährlich ist, hat das arabische Land zwischen Mitte Juli und Ende August die Tätigkeit auf den WM-Baustellen in der Mittagszeit verboten: Zwischen 11.30 Uhr und 15 Uhr soll die Arbeit ruhen. Doch bei einer DW-Stichprobe am 29. Juli rackerten dort in der Mittagszeit dennoch mehr als ein Dutzend Bauarbeiter - ein klarer Rechtsbruch.

Hunderte Menschen sind bereits auf Baustellen in Katar ums Leben gekommen, darunter auch WM-Baustellen. So starben im Jahr 2012 bei der Arbeit 520 Personen. Davon ist in 300 Fällen die Todesursache ungeklärt. Die Behörden in Katar sagen, dass die Bauarbeiter aus Gründen verschieden sind, die nichts mit den Arbeitsbedingungen zu tun hätten, zum Beispiel Herzinfarkte oder Atemstillstand. Aus Sicht von Menschenrechtsorganisationen sind das nur beschönigende Umschreibungen für den Hitzetod. Sie werfen Katar vor, keine Autopsieberichte zu liefern, um die wahren Gründe zu verschleiern.

Eklatante Verstöße

Nicholas McGeehan ist Experte für Gastarbeiterrechte am Golf. Er hat für Human Rights Watch den Tod von Arbeitern untersucht. Die  Rechercheergebnisse der Deutschen Welle findet er überraschend, da die für die WM-Baumaßnahmen zuständige Kommission sogar besonders hohe Standards versprochen hatte. "Dieser Vorfall legt nahe, dass die Bauunternehmen nicht einmal die grundlegenden Gesetze einhalten", sagt McGeehan.

World Cup workers in Qatar living dangerously

01:10

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Menschenrechtsaktivisten haben versucht, den WM-Organisatoren die Zustände zu verdeutlichen. Trotz dieser Bemühungen gehen die Verfehlungen weiter und Experten wie McGeehan fragen sich, ob Katar wirklich die Zustände ändern will. "Gebaut wird in aller Öffentlichkeit - sichtbar und laut. Es ist also schwer zu glauben, dass niemand etwas bemerkt hat." Wenn dies der Fall sei, stelle das nicht nur die Fähigkeit der zuständigen Kommission in Frage, die Arbeitnehmer zu schützen, meint McGeehan, sondern auch deren Engagement in dieser Sache.

Die DW hat der Kommission ein Video von den Bauarbeiten in der Mittagshitze vorgelegt. Die Mitglieder bestätigten, dass diese Tätigkeiten nicht erlaubt sind. Das Gremium will der Sache nun nachgehen: "Wir sind besorgt über die von Ihnen vorgelegten Beweise für eine Arbeit, die gegen die Sommerarbeitszeitrichtlinie von Katar im Education City Stadium zu verstoßen scheint. Unsere Sozialabteilung und die Arbeitsschutzteams, die mit den zuständigen Behörden zusammenarbeiten, führen jetzt eine gründliche Untersuchung durch. Wir werden im Falle eines Verstoßes gegen unsere Standards oder das Gesetz Korrektur- und Strafmaßnahmen ergreifen", heißt es in der Stellungnahme der für die WM-Baumaßnahmen zuständigen Kommission.

Katars Arbeits- und Sozialministerium verweist auf DW-Anfrage auf bisherige Maßnahmen: "Über 400 Arbeitsinspektoren sind ein wichtiger Teil unserer Strategie, um sicherzustellen, dass Katar seine Gastarbeiter schützt und weiterhin führend in der Region ist, was die Arbeitsreform betrifft." Eine Genehmigung, sich aus nächster Nähe ein Bild von den Baumaßnahmen zu verschaffen, bekam die DW aber nicht - wegen der kurzfristigen Anfrage, wie es offiziell heißt.

Kosmetische Korrekturen

Die Gastarbeiter leben in Wohnheimen wie dem Barawa Camp, 45 Minuten mit dem Bus vom Education City Stadium entfernt und weit weg von den Einheimischen. Jemand hat dort kleine Minarette an die weißen Wände gekritzelt. Die Graffitis sind das Einzige, was dem gleichförmigen Erscheinungsbild des Camps eine bunte Note gibt.

Asiatische Bauarbeiter in Katar: 175 Euro Lohn pro MonatBild: DW/A. Vohra

In der Wohnanlage mitten im Wüstenstaub gibt es eine Moschee, ein paar Restaurants, die südasiatische Gerichte anbieten, und Geschäfte, die zum Beispiel SIM-Karten verkaufen. Die Behörden stellen klimatisierte Busse bereit, um die Arbeiter zu den Baustellen zu bringen und haben ein elektronisches Bezahlsystem eingeführt - Verbesserungen, die die Gastarbeiter hier begrüßen. Auch die Gehälter kommen pünktlich, sagen sie. Doch die Bezahlung ist mager: 750 Riyal gibt es pro Monat - umgerechnet 175 Euro.

Der niedrige Lebensstandard erschwert es den Menschen, Hitze und Trockenheit in Katar gut zu überstehen. Mohammed Akram und Wasim Khan (Namen geändert) sitzen auf einem mit Zigarettenkippen und leeren Kaffeetassen vermüllten Grünstreifen. Sie kommen beide aus Indien und arbeiten als Elektriker am Bau einer Schnellbahnstation von Qatar Rail.

"Ein Hund lebt besser"

Von den vor zwei Jahren zugesagten Reformen hat Akram noch nichts bemerkt. Er arbeitet seit zehn Jahren im reichsten Land der Welt und sagt, dass sich für ihn nichts geändert hat, außer dass der Arbeitgeber ihn von einem Containerdorf in diese Wohnanlage hat umziehen lassen. "Wir sind zu siebt in einem Zimmer und selbst das Essen ist fade." Die Frage, wo sein Pass sei, scheint ihn zu verunsichern. "Der Arbeitgeber hat ihn einkassiert, als wir ankamen. Ich höre zum ersten Mal, dass ich meinen Pass behalten kann."

Katar verpflichtete sich, etwas gegen das sogenannte Kafala-System zu unternehmen, das die Arbeitnehmer überwacht. Kritiker sagen, dass es die Bewegungsfreiheit einschränkt und die Angestellten der Gnade ihrer Arbeitgeber aussetzt. Ein Hauptanliegen der Reform war, dass die Arbeiter ihre Pässe behalten dürfen. Doch im Barawa Camp sagen die meisten, dass sie ihre Ausweise immer noch nicht zurückbekommen haben.

Bauarbeiter Akram im Barawa-Camp: "Selbst das Essen ist fade"Bild: DW/A. Vohra

Akrams Mitbewohner Wasim Khan überlegt bereits, ob er seine Koffer packen und zurück nach Indien gehen soll. Er kam vor sechs Monaten in Katar an und sagt, das Leben im Lager sei unerträglich. "Ein Hund lebt in meinem Dorf besser. Der Schweiß läuft den ganzen Tag in Strömen und in meinem Kopf dreht sich alles." Oft muss er elektrische Anschlüsse legen, eingezwängt zwischen Dach und Deckenverkleidung. "Und nachts muss ich dann mein Zimmer mit sechs anderen teilen", klagt Khan. "Ich kann mir nichts Halbes und nichts Ganzes leisten, es reicht weder zum Leben noch zum Sterben."

Auch in Akrams und Khans Fällen hakt die Deutsche Welle nach bei ihrem Auftraggeber Qatar Rail. Warum wurden die Pässe immer noch nicht zurückgegeben, weshalb müssen sich sieben Arbeiter ein Zimmer teilen und wie oft haben Kontrolleure die Wohnanlage überprüft? "Wir haben eine interne Überprüfung gestartet, um festzustellen, ob es einen Gesetzesverstoß gegeben hat", so die Antwort der Bahngesellschaft. "Wenn dies der Fall ist, werden wir die notwendigen Korrekturmaßnahmen ergreifen."

Sturz in den Tod

Katars für die WM-Arbeiter zuständige Kommission will aufgrund der DW-Recherchen eine Untersuchung starten und Gegenmaßnahmen ergreifen. Auch das Arbeits- und Sozialministerium teilte mit, dass es eine Reihe von Änderungen auf den Weg gebracht hat, darunter bessere Wohnungen, höhere Löhne und die Verbesserung der Gesundheitsdienste. Und Houtan Homayounpour, Leiter des Büros der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) in Doha, sagte der DW, dass "der Wandel bevorsteht".

Doch trotz dieser Versprechen: Das Sterben auf den WM-Baustellen geht weiter. Wenige Tage nach Abschluss der DW-Recherche in Katar kam im Al-Wakrah-Stadion in Katar ein 23-jähriger Arbeiter aus Nepal ums Leben. Nach Angaben eines der großen Bauunternehmen stürzte der Mann bei Gerüstbauarbeiten in den Tod.

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