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Gnarr: "Die Leute haben mich gesucht"

Mathis Vogel5. Februar 2014

Mit seiner Satire-Partei wurde Jón Gnarr nach der Finanzkrise Bürgermeister von Reykjavik. Im Interview mit der DW erklärt er, wieso ein "gewöhnlicher Idiot" wie er gewählt werden konnte - und warum er jetzt abtritt.

Jon Gnarr , Foto: Ernir Eyjólfsson
Bild: Ernir Eyjólfsson

DW: Was haben sich die Bürger von Reykjavik bloß dabei gedacht, als sie 2010 ausgerechnet Sie zum Bürgermeister wählten?

Gnarr: (lacht) Das hatte viel mit meinem Ruf hier in Island zu tun. Als Komödiant und Schauspieler bin ich aus dem Fernsehen bekannt und es war einfach sehr populär für mich zu stimmen. Natürlich gab es auch die Protestwähler nach der Krise, die genug von den etablierten Parteien hatten.

Rund zwei Jahre bevor sie Bürgermeister wurden gab es den großen internationalen Bankenkollaps. Der damalige Ministerpräsident Geir Haarde trat vor das Volk und flehte Gott in einer denkwürdige Rede an, Island beizustehen. Was dachten Sie damals?

Alle saßen damals vor den Fernsehern und warteten nur auf diese Rede. Als dann diese hilflose Geste kam, dachte ich: Jetzt wird es ernst. Ich meine, er rief nach Gott, das ist der letzte Ausweg. Es konnte nur bedeuten, dass wir am Arsch sind. (lacht)

Die Bürger von Reykjavik probierten der Krise mit irdischen Mitteln Herr zu werden und wählten Sie zum Bürgermeister. Einen Ex-Punk, Schulabbrecher und Fernseh-Kabarettisten mit Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom. Warum waren Sie der richtige Mann für den Job?

Darüber habe ich schon häufig nachgedacht. Damals lag einfach viel Konfusion und Angst in der Luft. Es war die Angst, wieder die gleichen korrupten Politiker ins Amt zu wählen, die Island an die Wand gefahren hatten. Deshalb suchten die Leute nach jemandem wie mir. Ich habe ein tadelloses Vorstrafenregister, habe nie jemandem etwas zu Leide getan und zudem versucht niemandem etwas schuldig zu bleiben. Ich war den Leuten dadurch näher als viele der etablierten Politiker.

Sie haben also keine Ahnung von dem, was Sie tun, doch Sie tun es mit Erfolg. Reykjavik macht keine Schulden mehr, der öffentliche Nahverkehr funktioniert besser als unter Ihren Vorgängern und die Arbeitslosenquote ist auch wieder auf Vorkrisenniveau gesunken. Wie haben Sie das geschafft?

Jeder hier im Rathaus wusste, was zu tun war. Die Vetternwirtschaft war das größte Problem für ein kleines Land wie unseres. Es war wie in einer kaputten Familie. Jeder beschwerte sich über die anderen, aber keiner machte einen Schritt auf sein Gegenüber zu. Da musste jemand von außen kommen und den Familienmitgliedern unter die Arme greifen, eine politische Nanny könnte man sagen. Ich glaube, dass wenn ich nicht eingegriffen hätte, Reykjavik heute ein zweites Detroit wäre.

Könnte es eine "Beste Partei" auch in anderen Ländern Europas geben?

Diese Partei hat so viel mit mir als Person zu tun. Es begann als eine Satire in meinem Bühnenprogramm. Eine gewöhnliche, fast idiotische Person - also ich - sollte in diese kaputte politische Situation geworfen werden. Diesen Gedanken des Anarcho-Surrealismus habe ich immer wieder vor Publikum durchdekliniert und schließlich die Partei gegründet. Als Künstler in einem Land mit nur 350.000 Einwohnern muss man sehr produktiv sein.

Die "Beste Partei" war also nur ein Kunstprojekt?

Auf eine bestimmte Weise schon. Und für mich persönlich hatte 2010 die politische Satire ihre Grenzen erreicht. Ich sah damals nur noch die Möglichkeit, meine Kunst einen Schritt weiter zu tragen, indem ich selbst Politik mache.

Laut der jüngsten Umfrage würden Sie bei der Wahl im Mai wiedergewählt werden. Sie wollen dennoch nicht antreten?

Ich will etwas anderes probieren, den nächsten Schritt gehen. Deshalb höre ich auch dieses Hörbuch, in dem die Hauptfigur sich neu erfindet. Es ist Zeit für eine Veränderung.

Wie wird die aussehen? Vor Ihrer Wahl zum Bürgermeister hatten Sie ein Angebot Theaterstücke zu schreiben.

Ich würde gerne mehr schreiben. Es ist aber sehr anstrengend für mich, weil ich Legastheniker bin. Dabei ist es meine Passion darüber nachzudenken, wie man Dinge ausdrückt, welche Worte man dafür nutzt. Ich bin so etwas wie ein Amateurlinguist und interessiere mich sehr für die Herkunft von Worten. Ich habe auch mal versucht andere Sprachen neben dem Englischen zu lernen, Französisch, Deutsch, aber ich bin elendig gescheitert.

Auf dem Höhepunkt der Krise im Jahr 2008 war das Vermögen der drei großen isländischen Banken zehnmal so hoch wie das Bruttoinlandsprodukt des Landes. Es gab eine regelrechte Zockerattitüde unter den Bankern. Ist es denn wirklich so langweilig in Island?

Die ganze Krise hat viel mit unserer Kultur zu tun. Es war schon immer ein Kampf hier draußen zu überleben, man muss anpassungsfähig sein. Es gibt hier Vulkane und Erdbeben und dazu ständig dieses miese Wetter. Weil man sich hier einfach auf nichts verlassen kann, lehrt die Natur die Menschen, spontan zu handeln – manchmal auch opportun. Der Stolz auf das eigene Land kann auch sehr leicht in Arroganz umschwenken. Vor der Krise gehörten wir zu den zehn reichsten Ländern der Welt. Wir hielten uns nicht nur für gut, sondern für besser als andere.

Wie sollten europäische Protestparteien in Zukunft aufgestellt sein?

Ich würde gerne mehr positive Bewegungen sehen und nicht nur diese negativen Formen von Protest. Wenn eine Überzeugung ganz natürlich in einem erwächst und es sich gut anfühlt, sollte man sich selbst vertrauen.


Jón Gnarr (47) ist Gründer der "Besten Partei" Islands ("Besti flokkurinn"). Seit 2010 ist er Bürgermeister der isländischen Hauptstadt Reykjavik.

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