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Film

Goebbels Sekretärin: "Ein deutsches Leben"

Jochen Kürten
30. Januar 2017

Brunhilde Pomsel, Joseph Goebbels ehemalige Sekretärin, ist im Alter von 106 Jahren gestorben. Für einen Dokumentarfilm stand die Zeitzeugin Rede und Antwort. Zur Premiere trafen wir die Regisseure zum Interview.

Filmstill aus 'Ein deutsches Leben' (foto: Filmfest München 2016)
Bild: Filmfest München 2016

Beim Filmfest München war "Ein deutsches Leben", ein Interviewfilm von gleich vier Regisseuren, erstmals in Deutschland zu sehen. Befragt wird darin eine denkwürdige Zeitzeugin. Brunhilde Pomsel war in den letzten drei Kriegsjahren Joseph Goebbels' persönliche Stenographin und Sekretärin im Reichspropagandaministerium. Die vier Filmemacher Christian Krönes, Olaf Müller, Roland Schrotthofer und Florian Weigensamer haben aus dem vielstündigen Material einen aufschlussreichen Interviewfilm montiert.

Minimalistisches ästhetisches Konzept - eindrucksvoller Film

Das Konzept des Films ist fast minimalistisch, gedreht wurde in Schwarzweiß. Die langen Gesprächssequenzen werden nur von kurzen Dokumentarfilmen unterbrochen: Propagandastreifen der Nazis sowie Filmaufnahmen der Alliierten, die bei der Befreiung der Konzentrationslager entstanden.

"Ein deutsches Leben" ist ein Film über eine Zeitzeugin, die an untergeordneter Stelle Dienst tat. Das Werk überzeugt mehr als so mancher pompös inszenierter Spielfilm über den Nationalsozialismus und ist aufschlussreicher als viele TV-Sendungen über Krieg und Holocaust. Wir sprachen mit zwei der Regisseuren, Christian Krönes und Florian Weigensamer:

Deutsche Welle: War Brunhilde Pomsel eigentlich direkt bereit, den Film mit Ihnen zu machen?

Christian Krönes: Wir haben Frau Pomsel im Zuge einer anderen Recherche zufällig getroffen. Dieses nicht mehr erwartete Treffen mit einer lebenden Legende war dann für uns Veranlassung, mal den Versuch zu wagen. Als wir den Film begonnen haben, war sie gerade 101 Jahre alt. Wir wussten, wir würden nicht mehr sehr viel Zeit haben. Wir wollten diesen Film aber unbedingt machen.

Roland Schrotthofer, Christian Krönes und Florian Weigensamer beim Filmfest in München (v.l.n.r.)Bild: DW/J. Kürten

Wie hat sich das denn während der Vorbereitungen und Dreharbeiten entwickelt?

Krönes: Es hat einige Zeit gedauert, sie aufzutauen, da sie mit Medien, die ihre Geschichte und ihre Interviews sehr verkürzt dargestellt haben, schlechte Erfahrungen gemacht hatte. Es hat einige Zeit gedauert, sie zu überzeugen. Als sie dann bereit war, hat sie mit großer Konzentration und großer Disziplin die für sie sicher sehr anstrengenden Dreharbeiten durchgehalten. Sie hat sich wirklich erstmals in umfassender Form geöffnet.

Man hat beim Zuschauen das Gefühl, das Frau Pomsel sich ehrlich äußert und auch reflektiert. Hatten sie dieses Gefühl auch bei den Dreharbeiten?

Krönes: Ich glaube nicht, dass sie verdrängt hat. Sie hat sicher reflektiert. Sie nimmt auch sehr am gegenwärtigen Geschehen teil. Sie reflektiert die Gegenwart, hat ihr Leben reflektiert. Es gibt in ihren Erzählungen sicher wiederkehrende Sprachmuster. Da gibt es sicher auch noch das ein oder andere Detail, die ein oder andere Geschichte, die sie uns nicht erzählt hat und die sie noch nie erzählt hat. Auf der anderen Seite hat sie doch in gewisser Weise ein Bekenntnis über ihr Leben abgelegt. Als wir ihr den Film gezeigt haben, der ihr sehr gut gefallen hat, hat sie den durchaus denkwürdigen Satz ausgesprochen, wie wichtig es doch sei, am Ende des Lebens nochmal einen Spiegel vorgehalten zu bekommen um zu erkennen, was man alles falsch gemacht hat.

Zeitzeugin eines Jahrhunderts: Brunhilde PomselBild: Filmfest München 2016

Es gibt bei ihr ja einen Wechsel zwischen "Schuld abweisen" und "bekennen". Ist das nicht auch ein Spiegel für das Verhalten von ganz vielen Menschen nach dem Krieg?

Krönes: Ich denke, Frau Pomsel steht für Millionen andere, Millionen Mitläufer, die dieses System ermöglicht haben. Das ist wahrscheinlich der Aspekt, der diesen historischen Film, dieses historische Zeitdokument, so interessant macht für die Gegenwart. Der Film erzählt von einer funktionierenden Gesellschaft, die aus den Fugen gerät: Weltwirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, Aufstieg der Nationalsozialisten. Eine knappe Dekade später mündet das in der größten Katastrophe der Menschheitsgeschichte.

Wir stehen eigentlich gegenwärtig in einer sehr ähnlichen Situation. Das macht den Film modern und zeitlos. Wir haben eine Wirtschaftskrise überwunden, und wir werden von einer Flüchtlingswelle überrollt. Überall in Europa erstarken die rechten Parteien. Die problematische Situation: Diesmal ist es nicht nur ein Land, wie damals Deutschland, sondern es ist diesmal der gesamte europäische Kontinent, der irgendwo nach rechts driftet.

Brunhilde Pomsel kam zur Premiere beim Filmfest, ihre Regisseure begleiteten sieBild: Filmfest München



In einer Szene kommt zum Ausdruck, wie Frau Pomsel emotional reagiert, nämlich als sie über den Tod der Kinder von Goebbels spricht. Bei den anderen Opfern, also Juden, zivilen Opfern etc., reagiert sie weniger emotional. Was steckt dahinter?

Florian Weigensamer: Es gibt noch eine zweite Szene. Das ist die Stelle, wo es um Sophie Scholl geht und um den Widerstand. Pomsel meint: "Diese armen jungen Menschen damals, wegen eines Flugblatts hingerichtet…". Beide Szenen erzählen, wie ich finde, sehr gut, dass es Frau Pomsel immer nur um die persönlichen Emotionen ging und nie um das "Darüberstehen", um das politische Gesamtbild. Das hat sie nie gesehen. Ihr tun die beiden armen Menschen leid, die wegen einem Flugblatt hingerichtet werden: "Hätten sie doch nur den Mund gehalten, dann würden sie heute noch leben." Das ist an sich eine absurde Feststellung, die in ihrer Welt aber wieder logisch ist. Denn ihr geht es nur um diese zwei Personen. Und ähnlich wie bei den Kindern von Goebbels, geht es ihr nur um die persönlichen Emotionen: "Die armen kleinen Kinder…" Es geht ihr nicht um den ganzen Wahnsinn Drumherum.

Sprechen wir über die filmische Ästhetik: Sie arbeiten in Schwarzweiß und ohne Kommentare und montieren nur kurze Dokumentarfilme zwischen die Interviewblöcke, kurze Nazi-Propagandafilme sowie Aufnahmen der Allierten, die das Grauen unmittelbar nach der Befreiung der Konzentrationslager zeigen.

Krönes: Das Thema, um das es geht, ist ein zeitloses. Wir wollten den Versuch setzen, diesem zeitlosen Thema auch eine zeitlose Ästhetik zu geben. Wir haben uns für die Schwarzweiß-Variante entschieden, wir haben Brunhilde Pomsel durch die Studio-Situation Raum und Zeit enthoben. Die Schwarzweiß-Ästhetik verleiht dem Film einen zeitlosen Charakter.

Pomsel legt in "Ein deutsches Leben" auch ein ganz persönliches Bekenntnis abBild: Filmfest München 2016

Weigensamer: Das Archivmaterial kann man nicht kommentieren. Das ist selbst schon Propagandamaterial. Da nochmal einzugreifen, das wäre wieder Propagandamaterial, verkleidet als historisches Material. Wir wollten das unbedingt so stehen lassen, ohne Musik, ohne Schnitt, ohne, dass wir eingreifen. Wir wollten das nur als das auszuweisen, für dessen Zweck es hergestellt wurde. Dann erzählt es auch eine andere Geschichte, als man es oft in Fernsehgeschichten sieht.

Wobei es sich nicht nur um Propagandamaterial, sondern auch um Sequenzen handelt, die Amerikaner und Russen nach der Befreiung aufgenommen haben. Auch das wird unkommentiert stehengelassen. Warum?

Weigensamer: Es soll natürlich in mancher Hinsicht auch ein Kontrapunkt sein zu Frau Pomsels Sicht über diese Zeit: "Ja mein Gott, die Juden… Ich habe das gar nicht mitbekommen…, die Konzentrationslager…." Dann muss man halt zeigen, was war und dass man sehr wohl wissen konnte, wenn man wollte und das hätte sehen können. Das ist ja der Vorwurf oder die einzige Schuld, die sie hat. Das Wegsehen ist ja Schuld, und das Unpolitischsein, das ist ja schon Schuld genug. Es geht gar nicht darum, sie als einen Nazi zu dekuvrieren. Das war sie wohl gar nicht. Sie war einfach uninteressiert - und das ist eben eine Schuld.

Das Gespräch führte Jochen Kürten im Juni 2016 zur Deutschland-Premiere des Interviewfilms "Ein deutsches Leben" auf dem Filmfest München.

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