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Kunst

Goethe als Influencer?

Sabine Peschel
23. Mai 2019

"Goethe. Verwandlung der Welt": Eine große Ausstellung in der Bundeskunsthalle stellt die Gretchenfrage: Wie hat sich jede Epoche einen eigenen Blick auf Johann Wolfgang von Goethe geschaffen?

Bundeskunsthalle Bonn - Ausstellung: Goethe. Verwandlung der Welt
Bild: DW/S. Peschel

Der Titel der neuen Ausstellung der Bundeskunsthalle in Bonn klingt ein bisschen gehetzt. Kein Johann Wolfgang von, kein Artikel. Und er ist mehrdeutig: Goethe hat die Welt verändert. Aber die sich wandelnde Welt auch Goethe.

Die beiden Kuratoren der hauptsächlich beteiligten Institutionen, Johanna Adams für die Kunst- und Ausstellungshalle in Bonn und Thorsten Valk für die Klassik Stiftung Weimar, haben das Thema dieser ersten großen Goethe-Ausstellung seit 25 Jahren so knapp wie klug formuliert. Als der weltweit bekannteste Dichter deutscher Sprache 1749 in Frankfurt am Main geboren wurde, bestand noch das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Als er 1832 starb, befand sich Europa schon auf direktem Weg zur industriellen Revolution. 

Goethe, Interpret der neuen Zeit

Die ökonomischen und politischen Umwälzungen Ende des 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren rasant. Und der immer noch gern so genannte "Dichterfürst" Goethe war beteiligt an diesen Veränderungen: nicht nur konkret als Stadtplaner, Landschaftsgestalter und politischer Berater am Hof von Weimar, sondern auch als kritischer Beobachter der anbrechenden Moderne, als philosophischer Interpret neuer Wissenshorizonte und, vor allem anderen, als extrem bildungshungriger, wandlungsfähiger Schriftsteller.

Ins kulturelle Gedächtnis der Deutschen prägte sich auch Heinrich Christoph Kolbes Gemälde "Goethe am Golf von Neapel" (1826) Bild: DW/S. Peschel

Will man die vielen Felder, auf denen Goethe in seiner Zeit gewirkt hat, studieren, fährt man besser nach Weimar. Dort, im Goethe-Nationalmuseum, sind in beeindruckender Weise die vielen Facetten des Genies präsentiert, weit über dessen literarisches Schaffen hinaus – von seiner politischen Funktion als Staatsmann über seine zeichnerische Tätigkeit bis hin zu seinen umfangreichen wissenschaftlichen Studien.

Im Blick der Ausstellung: die Rezeptionsgeschichte

Die aktuelle Bonner Ausstellung hat eine grundsätzlich andere Perspektive. Sie spürt der Wirkungsgeschichte nach, der Goethes als Person und der seines Werks. In neun Kapiteln präsentiert sie die andauernde Aktualität des Dichters, demonstriert, wie stark er Schriftsteller, Maler, Bildhauer, aber auch Komponisten, Fotografen, Film- und Theaterregisseure seit zweihundert Jahren inspirierte. Immer wieder neu, oft konträr.

Noch im Eingangsbereich, ehe man die schneckenförmig zentral orientierte Ausstellung richtig betritt, wird mit Georg Herolds Kunstwerk "Goethe-Latte" von 1982 die ironische Relativierung des Genies, aber auch der eigenen Hochachtung optisch verdeutlicht: "Goethe", steht auf der langen, schmalen Holzlatte, "Im Vergleich dazu irgendein Scheißer" auf dem deutlich kürzeren Brett daneben. Was taugt der Dichter als Vorbild?, ist eine der wesentlichen Fragen, der die Ausstellung nachgeht.

Schutzherr eines 'besseren Deutschlands'

Als der damalige deutsche Bundespräsident Christian Wulff bei seiner Rede zum 20. Jahrestag der deutschen Einheit am 3. Oktober 2010 davon sprach, dass der Islam inzwischen auch zu Deutschland gehöre, zitierte er Goethes West-östlichen Divan: "Wer sich selbst und andere kennt, wird auch hier erkennen: Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen." Die Bonner Ausstellung dokumentiert die sich anschließende aufgeregte Debatte in den deutschen Feuilletons. Sie untersucht aber vor allem, wie Goethe damit zur nationalen, sinnstiftenden Autorität gemacht wird. "Goethe hat stets Konjunktur, wenn es darum geht, ein aufgeklärtes, zukunftsorientiertes und für Toleranz wie Humanität eintretendes Deutschland gegen ein dunkles, vergangenheitsfixiertes und von borniertem Nationalismus bestimmtes Deutschland abzugrenzen", schreibt Thorsten Valk in seinen Erläuterungen zur Konzeption der Ausstellung.

Goethes interkultureller Dialog

Diese "gesellschaftspolitische Indienstnahme" lässt sich in der Ausstellung sehr anschaulich historisch bis nach Weimar zurückverfolgen. Blätter mit Goethes arabischen Schreibübungen gehören zu den ästhetisch schönsten Exponaten im Ausstellungssegment "Ferne Welt", das Goethes interkulturellen Dialog mit dem Orient behandelt.

Eines von zahllosen Werther-Bildern: "Die Leiden des jungen Werther's" zeichnete Franz Skarbina 1880Bild: Freies Deutsches Hochstift/Frankfurter Goethe-Museum

Eine ganz andere, weniger reflektierende, sondern leidenschaftliche Geschichte erzählt die Abteilung "Gefühlswelten". Die euphorischen Reaktionen auf den ersten internationalen Bestseller der deutschen Literatur, "Die Leiden des jungen Werther", haben sich in einer Bilderflut niedergeschlagen, Suizid-Debatten und einen modischen Werther-Kult ausgelöst. Selbst auf Porzellanen wurden die "Leiden" aus Goethes vor 250 Jahren erschienenen Briefroman abgebildet.

Goethes Italien-Sehnsucht weckte die der Deutschen

Ähnlich wirkmächtig war Goethes Italien-Reise, dargestellt im Kapitel "Arkadische Welt". Das berühmte Gemälde von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein zeigt den Italienreisenden "Goethe in der römischen Campagna" (1786-87). Es wurde zur Vorlage für viele weitere Porträts wie die Andy Warhols oder das von Georgi Takev. "Goethe in Italien" inspirierte Cy Twombly 1978 zu einer Serie. Die Fotografin Barbara Klemm hielt die bedeutsamen Orte von Goethes Rom-Aufenthalt mit der Kamera fest.

Cy Twomblys Serie "Goethe in Italy", 1978Bild: DW/S. Peschel

"Kennst du das Land?" fragte ein Wiener Plakat von 1935 und lieferte "Wo die Zitronen blühen" als mitgedachte Ergänzung von Goethes Gedichtzeile bildlich mit. Auch die Tourismus-Industrie schätzte die von Goethe angefachte Italien-Sehnsucht der Deutschen.

Dem Wandel der Zeiten nachspüren

Viel bildliches, dokumentarisches Anschauungsmaterial bietet die Ausstellung, auch viele akustische Belege und Videos. "Die Welt der Moderne" wird, etwas flach, im Zusammenhang der Tragödie "Faust" abgehandelt. Den zweiten großen Aspekt, wie nämlich die Wandlungen der "Welt" auf den großen Künstler und Intellektuellen wirkten, findet man am ehesten in der Behandlung von Goethes Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution wieder, "Eine Welt im Umbruch". Goethe lehnte den politischen Umsturz in Frankreich strikt ab und bewunderte Kaiser Napoleon. "So wie jener die nationale Identität der Franzosen prägte, so wurde Goethe im Verbund mit Schiller eine nationalkulturelle Symbolfigur der Deutschen", heißt es im entsprechenden Ausstellungskapitel.

Die Faust-Tragödie markiert den Aufbruch in die ModerneBild: DW/S. Peschel

Wie sehr sich die Zeiten ändern, sich nationale Identifikationsfiguren zu Objekten der Ironie oder vertrauten Gesprächspartnern wandeln können, das vor allem zeigt diese Ausstellung - und wandelt dabei auf Goethes Spuren.

Die Ausstellung in der Bundeskunsthalle in Bonn ist noch bis zum 15. September zu sehen.

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