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Gesellschaft

"Kultur stärkt Zivilgesellschaften"

8. Juli 2021

Gerade in noch nicht gefestigten Gesellschaften gilt es, über Kultur zivilgesellschaftliche, demokratische, pluralistische Strukturen aufzubauen, sagt der Leiter des Goethe-Instituts Bukarest, Joachim Umlauf.

Dr. Joachim Umlauf, Leiter des Goethe-Instituts Bukarest
Bild: Maria Tudosescu

DW: Das Goethe-Institut ist in Belarus unerwünscht und muss seine Arbeit in der ehemaligen Sowjetrepublik einstellen. Dasselbe gilt für den DAAD. Das ist eine Reaktion auf die von der EU beschlossenen Sanktionen gegen das Lukaschenko-Regime. Aber es verdeutlicht auch die Rolle des Goethe-Instituts in einem autoritären Staat. Wie sehen Sie das?

Dr. Joachim Umlauf: Das ist ein sehr interessantes Thema. Man muss es von zwei Seiten sehen. Das Goethe-Institut hat schon immer in Diktaturen einen kulturellen Freiraum für Künstlerinnen, Künstler und Intellektuelle geboten. Das betrifft sogar meinen eigenen Standort: Bukarest.

Das Goethe-Institut in Bukarest war das erste im damaligen Ostblock und wurde 1979, also lange vor der Wende, eröffnet. Bei allen Beschränkungen, die sicherlich galten, konnten wir doch auch Freiräume für Denken und Kultur anbieten. Deshalb ist es relativ logisch, dass solche Institutionen von Schließungen in autoritär geführten Staaten betroffen sind.

Gerade das Goethe-Institut in Belarus war ein besonderer Ort für die Intellektuellen, die bei den Aufständen oder bei den Bestrebungen, demokratische Strukturen herbeizuführen, eine besondere Rolle spielen.

Das Goethe-Institut Bukarest ist in seiner kulturpolitischen Arbeit auch für die Republik Moldau zuständig. Dort finden am 11. Juli vorgezogene Parlamentswahlen statt. Viele Menschen hoffen auf eine Veränderung, eingeleitet von der neuen proeuropäischen Präsidentin Maia Sandu. Wie gestaltet sich die Arbeit des Goethe-Instituts in der Republik Moldau?

Wir sind in der Tat hier in Rumänien für die Republik Moldau zuständig. Von hier aus werden auch Programme betreut im Rahmen der sogenannten östlichen Transformations-Partnerschaft, aus der jetzt Belarus ausgestiegen ist. Das heißt, sowohl Deutschland als auch die EU investieren hohe Geldbeträge, um in diesen Randregionen Europas - Armenien, Aserbaidschan oder eben die Republik Moldau, die von inneren Konflikten gekennzeichnet sind - tätig zu sein. Das gilt natürlich ebenfalls für die Ukraine.

Wir investieren viel Geld, um soziale und gesellschaftliche Strukturen zu stärken, um die Zivilgesellschaften zu stärken - und das über Kultur. Jetzt kommt die Republik Moldau ins Spiel. Der Konflikt dort ist wahrscheinlich der kälteste in dieser Region. Er existiert.

Transnistrien ist geprägt von der Abspaltung von der restlichen Republik Moldau und dort sind immer noch russische Soldaten stationiert. Also eine Situation, die sich nicht so sehr unterscheidet von der in der Ukraine. Aber man kann die Grenze dort leicht überschreiten. Es gibt Austausch.

Das heißt, dieser Konflikt ist nicht virulent, auch wenn er natürlich da ist. Entgegen den Versprechungen in den 90er Jahren, die Truppen wieder abzuziehen, sobald die Situation befriedet ist, betrachtet Russland mit kritischen Augen die europafreundliche Politik der jetzigen Präsidentin. Nichtsdestotrotz behindert das nicht unsere Arbeit.

Wir haben zum Beispiel ein Programm für sogenannte Kulturmanagement-Akademien in der ganzen Region. Das werden wir in der Republik Moldau durchführen, weil nämlich die Reisefreiheit in die Republik Moldau aus den umliegenden Ländern weiterhin möglich ist. Mit anderen Worten: Für uns ist die Republik Moldau eine echte Chance.

Wir haben in Chişinău ein Goethe-Zentrum, das eine sehr aktive Arbeit im Bereich der Sprachkurse und Kulturprojekte leistet und mit dem wir eng zusammenarbeiten. Wir haben uns in den letzten 30 Jahren stark verändert und sind immer mehr zu einer Institution geworden, die durch Kultur Bildung fördert und eben auch versucht, die Zivilgesellschaften durch Kultur zu stärken. Kultur ist als ein Freiraum zu begreifen. Gerade in jungen Gesellschaften, die noch nicht so gefestigt sind, gilt es, über Kultur zivilgesellschaftliche, demokratische, pluralistische Strukturen aufzubauen.

Wie würden Sie die deutsch-rumänischen Beziehungen beschreiben?

Die deutsch rumänischen Beziehungen sind sehr gut, und das wird auch von beiden Seiten stets betont. Ich erinnere nur etwa daran, dass Präsident Klaus Johannis den Karlspreis der Stadt Aachen bekommen hat: ein Zeichen der gegenseitigen Wertschätzung.

Man meint manchmal, man kämpft ein wenig gegen die Windmühlen der schlechten Bilder an, die Rumänien seit den 90er Jahren anhaften. Dieses Bild wird heute korrigiert durch die rumänischen Auswanderer, die nach Deutschland kommen. Man sieht nämlich, dass Rumänen gut ausgebildet sind, dass sie fleißig sind, dass sie sich anpassen können. Sie bringen Fähigkeiten, die geeignet scheinen, in einer anderen Gesellschaft auf positives Echo zu stoßen.

Ich war gerade in Iaşi anlässlich der Eröffnung eines Museums, das an den 80. Jahrestag der Pogrome von 1941 erinnert. Das halte ich für ein sehr positives Zeichen für die Aufarbeitung des Holocausts in Rumänien.

Das Goethe-Institut Bukarest im Zentrum der rumänischen HauptstadtBild: Marius Dinca

Jeder Deutsche, der nach Rumänien kommt, ist erstaunt und positiv überrascht, über dieses Land, über die Freundlichkeit der Menschen, im Übrigen auch über die Sicherheit in diesem Land. Rumänien ist ein sehr sicheres Land. Schattenseiten gibt es natürlich überall. Auch in Deutschland. Die Behandlung der Saisonarbeiter - auch aus Rumänien - während der Pandemie hat dazu geführt, dass einige arbeitsrechtliche Veränderungen eingeführt worden sind, was zum Beispiel Lohndumping und Beschäftigungsbedingungen betrifft. 

Schaut man auf die Internetseite des Goethe-Instituts Bukarest, so staunt man über das vielfältige Angebot. Viele der Angebote richten sich an junge Menschen - sei es in Sachen Umwelt oder beispielsweise Literatur. 

Als Leiter des Goethe-Instituts in Rumänien weiß ich, dass man im Gegensatz zu vielen anderen Ländern hier keine Mühe hat, junges Publikum anzuziehen: ein junges, natürlich städtisches, zumeist auch akademisch gebildetes Publikum. Durch unsere Bildungsprogramme versuchen wir, eine Form der Demokratisierung und des leichten Zugangs zu Kultur anzubieten.

Das Publikum ist da. Es ist hungrig. Es hat Lust darauf, Dinge zu machen, zu entwickeln. Das bringt uns hier in eine weit bessere Situation als in vielen anderen europäischen Ländern. Unsere Arbeit ist heute nicht davon geprägt, wie es vielleicht früher war, deutsche Kultur zu repräsentieren. Wir machen es heute immer in enger Partnerschaft mit den rumänischen Institutionen und wirken so ganz anders in die Gesellschaft hinein, als es reine Repräsentation tun kann.

So haben wir etwa auch Aktionen mit Institutionen wie Greenpeace, was natürlich ein junges Publikum anzieht. "Media Incubator" ist auch ein Projekt, dass uns sinnvoll erscheint, vor dem Hintergrund von Fake-News, dem radikalen Umbruch des Presseszene, des Rückgangs der Zeitungen und der Verlagerung von Meldungen immer mehr ins Internet, und es wendet sich an junge Journalisten, aber auch Blogger und sogenannte Influencer.

Bei unserem Workshop im Oktober setzen wir einen besonderen Schwerpunkt auf das Thema Feminismus: Wie wird über frauenrelevante Themen beispielsweise berichtet? Als Goethe-Institut ist es uns wichtig, ökologische Projekte ins Kulturprogramm einzubeziehen. In Literaturblogs geht es auch darum, junge rumänische Poeten zu animieren, mit uns zusammenzuarbeiten.

Alles läuft bei uns zweisprachig. Wir sind der Überzeugung, dass man durch kulturelle Erziehung dazu beitragen kann, ein guter Europäer zu werden, in dem Sinne, dass man Pluralität ertragen kann, dass man Verschiedenheiten aushalten kann. Das ist die eigentliche Stärke Europas, die in der Verschiedenheit liegt und nicht in der Gleichheit, was uns die Populisten glauben lassen wollen. Wir sind der Überzeugung, dass die Einheit nur in der Diversität zu erreichen ist.

Das Goethe-Institut hat in der Pandemie auch neue Formate entwickelt. Wie haben Sie diese schwierige Zeit erlebt?

Wir haben einiges so umgestellt, dass Formate behalten werden konnten. Ich glaube, der große Gewinn sind in der Tat Online-Veranstaltungen, die in Zukunft, so hoffen wir auf jeden Fall, die Präsenz-Formate ergänzen werden. So erreichen wir nicht nur das städtische Publikum. Bei einem Online-Streaming bekommen wir mehr Menschen vor den Bildschirm als in einem Saal. 

Sie haben die Leitung des Goethe-Instituts Bukarest 2019 übernommen. Davor waren Sie in mehreren westlichen Ländern tätig. Gibt es da Unterschiede? Was schätzen Sie an Rumänien besonders?

Es wäre falsch zu sagen, dass ich meinen Aufenthalt und meine Arbeit in den anderen Ländern nicht genauso genossen hätte, wie ich es jetzt in Rumänien tun kann. Aber dennoch gibt es einen grundsätzlichen Unterschied: Man hat hier das Gefühl, noch mehr gebraucht zu werden.

Wir wollen uns nicht einmischen in rumänische Belange. Aber wir wollen auch gesellschaftliche Anstöße geben und Diskussionen führen. Das bringt uns vielleicht zu dem zurück, worüber wir am Anfang gesprochen haben: Denkräume, Freiräume, kulturelle Räume zu schaffen.

Persönlich mag ich die rumänischen Städte sehr gerne. Rumänien hat wunderbare Landstriche, wunderbare Berge, die Karpaten, das Meer... Und dann ist noch die ausgezeichnete Kaffee-Kultur. Sie können hier an jeder Ecke einen wunderbaren Kaffee trinken, was ich mehrfach am Tag mache, gleich hier vor meinem Büro, wenn ich rausgehe oder zwischen zwei Terminen: einfach auf einer Terrasse sitzen und einen guten Cappuccino trinken.

Medana Weident Autorin, Reporterin, Redakteurin, vor allem für DW Rumänisch
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