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Literatur

Goethe-Medaillen im Zeichen des Widerspruchs

Sabine Peschel mit dpa, goethe.de
27. August 2020

Die bolivianische Künstlerin Elvira Espejo Ayca, die Schriftstellerin Zukiswa Wanner sowie ihr Kollege Ian McEwan werden bei einem digitalen Festakt geehrt.

Die Goethe-Medaille mit dem Relief-Porträt Goethes
Die Goethe-Medaille wird seit 1955 verliehenBild: picture-alliance/dpa/arifoto

Wenn am 28. August 2020 traditionell die Goethe-Medaille vergeben wird, ist alles anders als in den 65 Jahren zuvor. Die Verleihung der vom Vorstand des Goethe-Instituts gestifteten Auszeichnung findet wie immer seit 2008 am Geburtstag Johann Wolfgang von Goethes (28. August 1749) statt, aber einen klassischen Festakt wird es in diesem Jahr nicht geben. Coronabedingt findet die Feier nicht am langjährigen Wirkungsort des deutschen Dichterfürsten, in Weimar, statt, sondern sie wird ins Digitale verlegt und in Zusammenarbeit mit der Deutschen Welle (DW) ausgerichtet.

Mit dem seit 1975 als offizielles Ehrenzeichen der Bundesrepublik anerkannten Preis würdigt das Goethe-Institut alljährlich Persönlichkeiten für ihr herausragendes Engagement im internationalen Kulturaustausch. In diesem Jahr erhalten ihn ein Mann und zwei Frauen, die sich unter dem Motto "Widerspruch ertragen - der Ertrag des Widerspruchs" begegnen. Widerspruch gegen soziale Ungerechtigkeit, Nationalismus oder Korruption, der sich im Engagement und den Werken der diesjährigen Preisträger Elvira Espejo Ayca, Ian McEwan und Zukiswa Wanner zeigt.

Die bolivianische Schriftstellerin und Künstlerin Elvira Espejo AycaBild: Michael Dunn

Die drei Preisträger: Brückenbauerin, Pro-Europäer und "African Artist"

Die 1981 in Bolivien geborene Dichterin, Essayistin und Musikerin Elvira Espejo Ayca war bis vor kurzem zugleich Direktorin des National Museum of Ethnography and Folklore in La Paz und aus Sicht der für die Auszeichnung zuständigen Kommission eine "wahre Brückenbauerin". Im Juni diesen Jahres musste sie ihren Posten aufgeben, gezwungen von der Übergangsregierung.

Ihre Entlassung löste internationalen Protest aus. Die Goethe-Jury fand, Ayca entwickle gerade "in der Auseinandersetzung mit Ambivalenzen ihre besondere kreative Kraft" und leiste wertvolle kulturelle Vermittlungsarbeit zwischen Lateinamerika und Europa.

Der 1948 geborene britische Schriftsteller Ian McEwan ist als Bestsellerautor von Romanen weltbekannt. Die Jury würdigt auch ihn für seinen Widerspruchsgeist und hebt besonders seinen Einsatz für Europa hervor. Das literarische Schaffen McEwans sei "vom Wesen des Widerspruchs und der kritischen, tiefenpsychologischen Reflexion gesamtgesellschaftlicher Phänomene durchdrungen". Im eigenen Land setze sich McEwan als leidenschaftlicher Pro-Europäer trotz harscher Angriffe "offen gegen engstirnige Nationalismen ein".

Mit der 1976 in Sambia geborenen Schriftstellerin, Journalistin und Verlegerin Zukiswa Wanner ehrt die Jury eine aufgrund ihrer detaillierten Kenntnis der südafrikanischen Literatur international gefragte Expertin. "Wanner schreibt über nationale Grenzen hinaus", heißt es in der Begründung, "indem sie die Vielfalt afrikanischer Kulturen in ihre künstlerische Arbeit einfließen lässt". Ihr differenziertes Verständnis für regionale Diskurse sowie afrikanische weibliche Identität machten sie zum Vorbild einer ganzen Generation afrikanischer Schriftstellerinnen.

Der britische Schriftsteller Ian McEwan engagiert sich für EuropaBild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Widerspruch gegen populistische Tendenzen

Mit den Ausgezeichneten dieses Jahres setzt das Goethe-Institut ein Zeichen - gegen weltweit erstarkende populistische Tendenzen. "Gerade aus Widersprüchen können fruchtbare Kräfte erwachsen, die Vielfalt ermöglichen und zu Reflexion und neuen Erkenntnissen anregen", sagt der Präsident des Goethe-Instituts, Klaus-Dieter Lehmann. Ayca, McEwan und Wanner scheuten den Widerspruch nicht, sondern erkennen ihn als Chance. "Funktionierende Demokratie setzt auf kritische Diskurse."

Überreicht bekommen Ayca, Wanner und McEwan ihre Medaillen jeweils in dem Goethe-Institut, das sie für die Preisvergabe vorgeschlagen hat, Elvira Espejo Ayca in La Paz in Bolivien, Ian McEwan in London, und Zukiswa Wanner in der kenianischen Hauptstadt Nairobi.

Auch wenn sie physisch nicht gemeinsam an einem Festakt teilnehmen können, stehen sie doch im Zentrum der live gestreamten Feier. Drei Kurzfilme porträtieren die Preisträgerinnen und den Preisträger. Barbara Göbel, Direktorin des Iberoamerikanischen Instituts in Berlin, die Journalistin Franziska Augstein und die Schriftstellerin und Verlegerin Zoë Beck halten die Festreden.

Aufmerksamkeit statt Abschottung und Desinformation

"Die Corona-Krise verändert durch gegenseitige Abschottung, Desinformation und Widersprüche die Gesellschaften", bedauert Lehmann. Dieser Entwicklung wolle man trotzen und das Verbindende stärken. DW-Intendant Peter Limbourg bezeichnet es als "Ehre und große Freude, den drei beeindruckenden Persönlichkeiten durch eine multimediale und mehrsprachige Berichterstattung die verdiente Aufmerksamkeit zu verschaffen und weltweit kulturinteressierte Menschen an der Preisverleihung teilhaben zu lassen."

Die Schriftstellerin und Verlegerin Zukiswa Wanner ist Vorbild für viele südafrikanische FrauenBild: Brian Otieno

Seit der ersten Verleihung 1955 sind 354 Persönlichkeiten aus 67 Ländern geehrt worden, darunter Daniel Barenboim, Pierre Bourdieu, David Cornwell alias John le Carré, Sir Ernst Gombrich, Lars Gustafsson, Ágnes Heller, Petros Markaris, Sir Karl Raimund Popper, Jorge Semprún, Robert Wilson, Neil MacGregor, Helen Wolff, Juri Andruchowytsch oder Irina Scherbakowa.

2019 erhielten der Verleger, Buchhändler und politische Publizist Enkhbat Roozon aus der Mongolei, Shirin Neshat, Künstlerin und Filmemacherin aus Iran/USA und der in Deutschland lebende türkische Autor Doğan Akhanlı die Auszeichnung.

Eine Wiederholung der digitalen Ausgabe des Festaktes sehen Sie hier: Webseite des Goethe-Instituts, auf dem Goethe-Facebook-Kanal (@goetheinstitut) und auf dem YouTube-Kanal DW-Books. Außerdem strahlt die Deutsche Welle den Festakt in ihrem deutschsprachigen TV-Programm von DW Deutsch aus (Erstausstrahlung 09:15 UTC / 11:15 MESZ).

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