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Der Amerikaner erhält die Goethe-Medaille 2010

27. August 2010

Einmal im Jahr verleiht das Goethe-Institut die Goethe-Medaille. Einer der drei diesjährigen Preisträger ist der amerikanische Exilforscher John Spalek. Wir haben mit ihm gesprochen.

Der amerikanische Exilforscher John Spalek erhält 2010 die Goethemedaille (Foto: Stephan Jockel, Deutsche Nationalbibliothek Frankfurt)
Preisträger John SpalekBild: Stephan Jockel, Deutsche Nationalbibliothek Frankfurt

DW-WORLD.DE Herr Professor Spalek, Sie werden in diesem Jahr mit der Goethe-Medaille geehrt, eine Auszeichnung, die an Persönlichkeiten aus dem Ausland verliehen wird für besondere Verdienste um die deutsche Sprache und den internationalen Kulturaustausch. Welche Bedeutung hat die Medaille für Sie?

JOHN SPALEK: Eine Bedeutung vielleicht nicht für mich persönlich – die Goethe-Medaille ist vielmehr eine Anerkennung für die Exilforschung, die Beschäftigung mit den Autoren, Wissenschaftlern, Künstlern, die Deutschland verlassen mussten. Was mich angeht: Ich fühle mich geehrt, aber mir ist es viel wichtiger, dass damit die Forschung anerkannt wird und bekannt wird.

Persönliche Note

Sie stammen aus Polen, haben den Zweiten Weltkrieg mit ihrer Familie im Osten des Landes verlebt – gibt es da Erinnerungen, die für Sie heute noch wichtig sind?

Ich weiß nicht, ich werde oft danach gefragt und muss zugeben, dass ich wahrscheinlich nicht so an dieser Exilforschung gehangen hätte, es nicht so lange gemacht hätte, wenn mich da nicht etwas angesprochen hätte. Und es gibt doch etwas wie eine persönliche Note. Ich bin ja quasi selber ein Emigrant. Ich habe meine Muttersprache – also Polnisch – verlassen, dann Russisch benutzt, und dann Deutsch, dann Englisch, dann Spanisch.

Sie kamen aus Polen nach Deutschland und sind im Alter von 21 Jahren in die USA emigriert, hat die Erfahrung des Etwas-Verlassen-Müssens, Sich-Fremd-Fühlens, sich in einer neuen Kultur und Sprache einzugewöhnen auch Ihre Arbeit geprägt?

Im Nachhinein sage ich mir, dass das wohl der Fall gewesen ist. Wissen Sie, ich war in Deutschland von 1945 bis 1949. Nach Polen konnte ich nicht zurück, also zu den Sowjets zurück, das ging überhaupt nicht. Und deshalb sah ich die Möglichkeit, in die USA auszuwandern. In letzter Zeit bin ich mir bewusst geworden, dass ich ja auch ein Emigrant bin – aber andererseits war die Auswanderung eine Art von Befreiung. Die Möglichkeit, etwas Neues anzufangen.

Der Anfang

Sie haben dann die Exilforschung entdeckt, viele Nachlässe von Emigranten – Künstler, Schriftstellern, Wissenschaftlern – der Forschung zur Verfügung gestellt. Wo und wie haben Sie diese Nachlässe vorgefunden? Mussten Sie da auch mal auf einen Dachboden klettern?

Mein allererster Fund, das war schon 1970 in Albany bei New York ein Teilnachlass von Fritz von Unruh. Und da mussten wir tatsächlich auf einen Dachboden kriechen, und die Kartons rausnehmen. Das war unsere erste Erfahrung.

Die Westküste der USA war ja ein Zentrum der deutschsprachigen Emigration – konnten Sie denn noch einige der Zeitzeugen persönlich treffen?

Ja, weil ich früh genug angefangen habe, Mitte der 1960er Jahre. Und das war, was mein Leben über die nächsten Jahrzehnte bestimmt hat. Ich konnte noch eine ganze Reihe von Personen, hauptsächlich in der Filmindustrie, treffen, also zum Beispiel einen gewissen Henry Coster, der hieß eigentlich Kosterlitz, aber auch andere, Drehbuchautoren, Produzenten, auch andere. Marta Feuchtwanger kannte ich dann sehr gut, einen Bruder von dem Schriftsteller Bruno Frank, den Sohn von Vicki Baum, Billy Wilder und verschiedene andere. Ich komme mir fast selber wie eine geschichtliche Figur vor, weil ich die Leute tatsächlich gekannt habe.

Neuanfänge

Koffer voller ErinnerungenBild: Deutsche Nationalbibliothek/Sylvia Asmus

Waren dies traurige Begegnungen, weil die Menschen ja vor dem Nationalsozialismus fliehen mussten? Oder hatte es eher eine Atmosphäre von: Wir haben überlebt und machen jetzt hier in den USA etwas Neues?

Letzteres. Über das Traurige ihrer Erfahrungen haben wir selten gesprochen. Die meisten waren sehr erfolgreich, ich sprach ja mit Leuten, die etwas geleistet hatten, das waren Koryphäen auf ihrem Gebiet. Es waren Leute, die es geschafft hatten und die darauf stolz waren. Und so geriet ich, ohne es zu beabsichtigen, zum Sammeln und Gründen von Archiven.

Ist man da manchmal so etwas wie ein literarisch-wissenschaftlicher Detektiv?

Ja, unbedingt! Das ist Detektivarbeit. Natürlich, man sucht nach Materialien, nach dem, an das sich die Leute noch erinnern können, Beweismaterialien für das Leben eines Schriftstellers, eines Drehbuchautoren, eines Wissenschaftlers, eines Künstlers.

Volle Koffer

Sie sind wieder mit vielen Kartons im Gepäck nach Frankfurt in das Deutsche Exil-Archiv gekommen, was haben Sie denn dieses Mal mitgebracht?

Einen sehr guten von einem Fotografen und Schriftsteller namens Peter Basch. Er hat vor allem schöne Frauen fotografiert und hinterließ tausende von Briefe, Dokumente, Fotos – vier Koffer voll. Diese Familie war eine Aufbewahrer-Familie. Sie haben nichts weggeschmissen. Es gab noch Zeitungsausschnitte von 1910, sein Vater war Produzent von Stummfilmen in Deutschland. Das andere ist ein gewisser Peter Engelmann, von einer Familie, die damals in die Türkei auswandern musste und später in die USA kam. Den Nachlass hat mir seine Tochter übergeben. Dann ein Wilhelm Solzbacher – interessant für mich, weil er mir bisher entgangen ist. Er war ein Friedensaktivist und verließ Deutschland schon 1933, weil er in der Gefahr war, verhaftet zu werden. Ich wünschte, ich hätte den früher kennen gelernt, das bedauere ich immer besonders, dass mir Leute entgehen.

Zunächst einmal stehen diese Kartons ja unsortiert in einem Raum. Was geschieht später hier in Frankfurt mit diesen Nachlässen?

Sie werden hier sortiert, in Ordnung gebracht, archiviert, manchmal dauert das sehr lange. Ich würde mir wünschen, dass die Öffentlichkeit häufiger davon erführe. Aber es kommen Besucher, es werden Aufsätze und Dissertationen geschrieben.

Thomas Mann und Bertolt Brecht sind bekannte Namen. Aber Fritz von Unruh, Ernst Toller, Soma Morgenstern, Ivan Heilbut – deren Nachlässe Sie gefunden haben: Das sind Personen, die heute nicht mehr allgemein bekannt sind, insbesondere bei der jüngeren Generation. Sollte man eigentlich mehr über das Leben dieser Emigranten wissen?

Selbstverständlich! Denn es ist die deutsche Geschichte, und nicht der schwächste Teil davon. Es sind ja bedeutende Leute, die auswandern mussten. Es ist schon ein wesentlicher Teil der deutschen Kultur, der verloren gegangen ist, es ist noch viel zu tun. Das was Deutschland damals verloren hat, das sollte immer wieder zum Vorschein gebracht werden.

Überzeugungskraft

Wie sieht es mit der Finanzierung aus? Müssen Sie kämpfen?

Ein Orden für den KulturaustauschBild: Goethe-Institut

Ja. Aber ich bin schon daran gewöhnt, dass ich immer nur für kürzere Zeiträume Gelder bekomme. Zurzeit schaue ich mich wieder nach neuen Geldern um, ich hoffe, dass es gelingt. Ich hätte gerne noch zwei Jahre daran gearbeitet, eine Reihe von Nachlässen ist noch da. Es geht ja nicht einfach um das Abholen von Nachlässen, man muss verhandeln. Manchmal geht das sehr leicht, öfter aber nicht. Es gibt Familien, die behalten die Dokumente zu Hause – es bricht ein Feuer aus, dann verbrennt alles, das ist alles schon passiert. Ich bedauere es, wenn ich zu spät komme.

Jetzt verhandele ich meistens mit den Kindern der Emigrantengeneration, das ist schon etwas schwieriger, die sprechen oft kein Deutsch mehr. Bei den Emigranten selber war das kein Problem, das war ja immer noch ihre Heimat. Heute ist der Bezug nicht mehr da. Überzeugung ist daher ein wichtiger Begriff. Ich muss die Menschen überzeugen, dass sie die Materialien nach Deutschland geben, wo ihre Eltern seinerzeit zu Flüchtlingen gemacht wurden, ich muss ihnen versichern, dass die Dokumente gut behandelt und katalogisiert werden und der Forschung zur Verfügung stehen. Aber es sind sehr wenige, die mir dann absagen. Ich möchte das gerne noch zwei Jahre machen – es gibt noch viel zu tun.

Sie reisen jetzt nach Weimar, um die Goethe-Medaille in Empfang zu nehmen – waren Sie schon einmal dort?

Nein. Ich bin gespannt. Ich habe ja selber an der Universität Goethes Werke unterrichtet – das dürfte ein Erlebnis sein!

Das Gespräch führte Cornelia Rabitz

Redaktion: Conny Paul

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