Goethe-Preis für Amos Oz als Ausdruck des Dialogs
28. August 2005
DW-WORLD: Herzlichen Glückwunsch, Herr Oz. Der Goethe-Preis der Stadt Frankfurt wurde Ihnen für Ihre literarische Arbeit verliehen, aber auch für Ihre politischen Aktivitäten. Was bedeutet die Auszeichnung persönlich für Sie?
Amos Oz: Vielen Dank. Der Preis bedeutet für mich eine Intensivierung meines persönlichen Dialogs mit europäischer und deutscher Kultur. Und eine noch engere Bindung meiner Familie an Goethe speziell und an die deutsche und europäische Kultur im Allgemeinen.
Was meinen Sie mit der Bindung Ihrer Familie an Goethe?
Meine beiden Eltern konnten Deutsch lesen und sprechen. Meine ältere Tochter spricht Deutsch. Ich gehöre zur verlorenen Generation dazwischen. Ich spreche kein Wort Deutsch. Aber meine Eltern und Großeltern fühlten sich viele Jahre zur deutschen Kultur und zum deutschen Kulturerbe hingezogen. Und vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten haben sie Deutschland oft als so etwas wie ihr geistiges und intellektuelles Paradies angesehen. Natürlich war das eine einseitige Liebe. Während meiner Kindheit und Jugend wusste ich, dass es meinen Eltern das Herz gebrochen hatte, dass sie Deutschland liebten und nicht zurückgeliebt wurden.
Im Text der Ehrenurkunde für den Goethe-Preis heißt es, dass Sie mit Ihrer Arbeit in bester Tradition der Werke Johann Wolfgang von Goethes stehen. Was bedeutet es für die israelisch-deutschen Kulturbeziehungen, dass ein Israeli den Preis bekommt, ist das deren Höhepunkt?
Ich denke, es ist eine Intensivierung oder Teil der Intensivierung dieser Beziehungen. Sie wurden während der Nazi-Zeit sehr schwer beschädigt und es brauchte Jahrzehnte, um sie wieder aufzubauen. Die Kulturbeziehungen erholten sich teilweise durch den literarischen Dialog. Ich denke, es lag daran, dass israelische Literatur ausführlich in Deutschland gelesen wurde. Und deutsche Nachkriegsliteratur wurde von vielen Israelis eifrig gelesen. Das hat zur Wiederaufnahme des israelisch-deutschen Dialogs und zur Identifizierung damit beigetragen. Für mich ist es schwierig, von einem Höhepunkt zu sprechen. Aber dass der Goethe-Preis an einen israelischen Autor verliehen wird, ist ein sehr bemerkenswerter Ausdruck für die Intensität des literarischen und geistigen Dialogs zwischen den beiden Kulturen.
Was kommt als nächstes?
Es ist dringend notwendig, eine neue Generation von Übersetzern auszubilden, die in der Lage sind, vom Hebräischen ins Deutsche und vom Deutschen ins Hebräische zu übersetzen. Die ältere Generation wird natürlich immer kleiner. Israelis, die vor dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland ausgebildet wurden, werden weniger und weniger. Wir müssten dringend neue Übersetzer für beide Sprachen ausbilden. Ich denke, es sollte ein Universitätsprogramm in beiden Ländern geben, um den literarischen Dialog fortzusetzen und um ihn sogar noch breiter und tiefer zu machen.
Würden Sie sich an diesem Universitätsprogramm beteiligen?
Ich könnte eine Gastvorlesung zur philosophischen und künstlerischen Relevanz von Literaturübersetzungen geben. Aber ich kann niemandem sagen, wie er vom Hebräischen ins Deutsche und umgekehrt übersetzen soll, da ich kein Wort Deutsch spreche. Wir brauchen Menschen, die vorher schon übersetzt und damit Erfahrung haben, und die beide Sprachen beherrschen.
Ihre literarische Arbeit kann natürlich nicht von Ihrer politischen Arbeit getrennt werden. Aber haben sie auch das gleiche Ziel? Glauben Sie, dass Ihre Bücher politischen Einfluss haben?
Das ist die schwerste Frage von allen, weil es keine Möglichkeit gibt, den Einfluss eines Buches, eines Romans oder eines Gedichtbandes auf den Leser zu messen. Wir werden es nie wissen. Vielleicht kann der Leser selbst nicht sagen, inwieweit sein Lesen die eigenen politischen Ansichten geschärft hat. Ich hoffe, es gibt eine gewisse Wirkung, aber ich werde es nie erfahren. Selbst wenn wissenschaftlich nachgewiesen würde, dass meine Arbeit absolut keinen Einfluss hat, würde ich sie weiter machen. Es ist das einzige, was ich tun kann. Das gilt für meine literarische und meine politische Arbeit. Ich kann sie nicht messen oder irgendeinen Beleg bieten, dass dieser Einfluss existiert. Aber ich denke, dass literarische und politische Arbeit vielleicht irgendwie und irgendwann dazu beiträgt, dass Menschen ihre Vorurteile und Klischees loswerden.
Eine ganz andere Frage: Der Gaza-Rückzug fand überraschend einfach statt. Nun ist der Blick auf das Westjordanland gerichtet. Erwarten Sie dort ebenfalls einen israelischen Rückzug?
Diese Frage hängt sehr stark von der palästinensischen Reaktion ab. Wenn die Palästinenser auf diesen einseitigen israelischen Rückzug aus Gaza mit mehr Gewalt und Terrorismus antworten, wird es keinen Rückzug aus dem Westjordanland geben. Sollten andererseits die Palästinenser mit einer friedlichen Geste oder einer Friedensbewegung reagieren, gibt es eine gute Chance, dass am Ende auch ein Abkommen über das Westjordanland zustande kommt. Es ist nicht möglich, dass die Israelis einseitig und ohne palästinensisches Entgegenkommen einfach abziehen.
Denken Sie, dass der Sinneswandel des israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon zugunsten des Gaza-Rückzugs vertrauenswürdig ist?
Bei Politikern ist für mich nicht die Frage, ob sie vertrauenswürdig sind, sondern ob sie aufrichtig sind. Scharon hat in Bezug auf Gaza bewiesen, dass er bereit ist, seine politische Karriere zu riskieren. Das ist ernst gemeint und nicht nur ein Spiel oder Public Relations. Was in seinem Bewusstsein vorgeht, weiß ich nicht, da ich den Mann niemals getroffen habe. Ich weiß nicht, wie tief der Wandel bei ihm ist. Aber das Ergebnis ist sehr bedeutsam.
Amos Oz, geboren 1939 in Jerusalem, ist Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels. 1998 wurde er für sein Gesamtwerk mit dem Israel-Preis ausgezeichnet. Er ist einer der bekanntesten israelischen Schriftsteller und Unterstützer des Friedensprozesses zwischen Palästinensern und Israelis. Oz ist Mitbegründer der Bewegung "Schalom Achschaw". Am 28. August 2005 erhielt er den Goethe-Preis der Stadt Frankfurt.