Gogo-Funk aus Fernost
6. Juli 2002Anarchie und Musik sind schon oft fruchtbare Symbiosen eingegangen. Wie man Gesellschafts- und Kapitalismuskritik musikalisch umsetzt, zeigten die Sex Pistols in den siebziger Jahren. "God save the Queen / the fascist regime" war ihre Hymne.
Improvisation und Inhaltsleere
Ähnlich konsequent, wenn auch etwas weniger provokant, wollen die Performancemusiker der japanischen Gruppe Shibusa Shirazu sein, die derzeit in Deutschland auf Konzerttour ist. Aggression, Zufall, Improvisation und Inhaltsleere sind Programm und Auftrag zugleich. Akustische Anarchie erzeugen, bestehende Musikkategorien durchbrechen, das ist das Ziel von Shibusa Shirazu. Die Gruppe will ein musikalisches Trümmerfeld produzieren und Platz für Neues schaffen - doch wofür, ist nicht klar.
Sei niemals cool
Shibusa Shirazu bedeutet auf deutsch soviel wie "uncool" oder "sei niemals cool". "Wir wollen keine Musik machen – es handelt sich hierbei um einen Unfall, der zufällig passiert ist", sagt Daisuke Fuwa, der Dirigent und konzeptuelle Kopf der Gruppe. Keine Musik soll es sein, doch was zu hören ist, klingt sogar rhythmisch und harmonisch.
Zufälliges Prusten und Jauchzen
15 Musiker, darunter zwei Schlagzeuger, vier Saxophonisten und fünf Bläser spielen drauf los was das Zeug hält. Der Stille den Kampf ansagen, prusten, in die Oboe jauchzen, Lippen, Luft und Zunge interagieren zufällig vor Trompetenmundstücken. Funk, Pop, Rock, Jazz, Klezmer – alles kommt in einen großen Topf und wird durchgemischt. Nur der Schlagzeuger hält durch, spielt konstant seine Funkrhythmen, mal hier und da ein kleines Break und ein Wechsel zwischen binären und ternären Sequenzen. Mehr kann er sich nicht erlauben, sonst würde die Performance auseinanderbrechen.
Gogo-Girls und Butoh-Tanz
Schnittstelle zwischen Bühne und Publikum sind die beiden Gogo-Tänzerinnen. Sie visualisieren das musikalische Schlachtfeld in all seinen Ausmaßen. Mit perfekter Körperhaltung durchbrechen sie absichtlich grundlegende Regeln der Choreographie, bewegen sich nahezu atonal zu den teilweise recht tanzbaren Klängen der Audio-Crew im Hintergrund. Zwischendurch hopst ein weiß bemalter Tänzer an ihnen vorbei, der an die Butoh-Avantgarde-Bewegung im Japan der frühen sechziger Jahre erinnert.
Ist uncool cool?
Shibusa Shirazu will zwar mit musikalischen Konventionen brechen, bleibt jedoch selbst Produkt einer Gesellschaft mit all ihren musikalischen Konventionen und Traditionen. Denn die Musiker und Tänzer der Gruppe sind allesamt Vollprofis, die ihre Instrumente und Körper in Perfektion beherrschen. Den Weg "back to the roots" versperrt ihre Professionalität. Das Fazit: Uncool will Shibusa Shirazu sein, aber ist nicht genau das schon wieder cool?
Tourdaten:
06.07. Rudolfstadt, Tanz- & Folkfest im Heinepark
07.07. Karlsruhe, Zeltival im Tollhaus
08.07. Wuppertal, Villa Media
09.07. Wuppertal, Crossovermedia Factory Art Hall
10.07. Hamburg, Fabrik
11.07. Kassel, documenta-Festivalzelt
13.07. Moers, Röhre