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Politik

Brexit-Fahrplan stößt auf Widerspruch

3. Mai 2017

Die EU hat konkrete Verhandlungsziele für den Brexit festgelegt. Der Fahrplan erntet prompt Kritik aus London. Das kann spannend werden. Aus Brüssel Bernd Riegert.

Belgien PK Michel Barnier
Barnier will "Entente cordiale": Da geht es lang für die BritenBild: Reuters/E. Vidal

Der Chef-Unterhändler der Europäischen Union, Michel Barnier, und die britische Premierministerin Theresa May teilen eine Leidenschaft. Sie wandern beide gerne in steilen Bergen. "Dabei lernt man Schritt für Schritt voran zu gehen, einen sicheren Tritt und immer Begleitung zu haben. Außerdem sollte man den Gipfel, also das Ergebnis, fest im Blick haben", sagte Michel Barnier am Mittwoch in Brüssel. Vom Bergwandern könne man viel für die anstehenden Verhandlungen zwischen dem Vereinigten Königreich und den übrigen 27 Mitglieder der EU lernen, fügt er lächelnd hinzu. Trotz aller Aufgeregtheiten über die sicherlich "schwierigen" Verhandlungen, so Barnier, werde es nicht um eine "Bestrafung" Großbritanniens gehen.

Am Ende solle eine "Entente cordiale" zwischen dem ausgeschiedenen Königreich und der Europäischen Union enstehen. 1904 hatten Frankreich und Großbritannien ein "herzliches Einverständnis" über die Interessen in ihren Kolonien als Vertrag geschlossen. Ein solches "herzliches" Entgegenkommen will Barnier in zwei Phasen unter, wie er sagt, "großem Zeitdruck" erreichen. Die Uhr tickt seit dem 29. März, als Premierministerin May das Austrittsgesuch nach Artikel 50 des Lissabon-Vertrages stellte. Zwei Jahre tickt die Uhr. Wenn bis dahin kein Abkommen zwischen den Parteien geschlossen werden kann, würde Großbritannien automatisch und komplett aus der EU scheiden.

So sieht der Brexit-Fahrplan à la Barnier für die erste Phase der Gespräche aus:

Bürgerrechte

Im Juni 2017 starten die Gespräche mit einer Vereinbarung über die Rechte der rund drei Millionen EU-Bürger, die heute in Großbritannien oder bis zum endgültigen Austritt dorthin ziehen. Sie sollen im Prinzip die gleiche Niederlassungsfreiheit wie heute erhalten, Zugang zum Arbeitsmarkt und Sozialsystemen. Diese Rechte sollen auch für Familienangehörige gelten, und zwar auf Lebenszeit, also noch etliche Jahrzehnte. Umgekehrt sollen diese Rechte auch den 1,2 Millionen Briten gewährt werden, die heute in der Europäischen Union leben und arbeiten.

Geld

Danach beginnen Gespräche über die finanziellen Verpflichtungen, die mit der Beendigung der Mitgliedschaft in der EU nach Ansicht von Michel Barnier einhergehen. Dabei gehe es nicht um eine "Brexit-Rechnung", die London präsentiert werden solle. Es gehe vielmehr um einen "Ausgleich des Mitgliedskontos".  Großbritannien hat im laufenden EU-Haushalt bis 2020 Finanzzusagen abgegeben für diverse Programme. Die Briten sind auch gegenüber Drittstaaten wie der Türkei und der Ukraine Hilfszusagen via EU eingegangen. Eine genaue Summe über die Höhe der rechtlich verbindlichen Zusagen wollte die EU heute nicht mehr nennen. Frühere Schätzungen der EU-Kommission lagen bei Summen von 50 bis 60 Milliarden Euro. Einige Medien kommen mit eigenen Berechnungen sogar auf 100 Milliarden Euro. Jetzt wolle man sich mit den Briten zunächst auf eine Methodik einigen, um Zahlungsverpflichtungen zu berechnen, kündigte der EU-Chefunterhändler an.

Grenzen

Als dritten Punkt will der ehemalige französische EU-Kommissar die Grenzkontrollen zwischen dem Vereinigten Königreich und der Republik Irland regeln. Nach dem Brexit würde die EU-Außengrenze quer über die irische Insel zwischen dem EU-Mitglied Irland und Nordirland verlaufen, das zu Großbritannien gehört. Iren und Briten wollen erreichen, dass die Grenze möglichst durchlässig für den Personen- und Warenverkehr bleibt. Wie das bewerkstelligt werden kann, sollen sich jetzt Fachbeamte und Juristen ausdenken.

Über die Einhaltung der Vereinbarungen soll der Europäische Gerichtshof wachen, auch nachdem Großbritannien nicht mehr EU-Mitglied sein wird. Allerdings ist dann auch kein britischer Richter mehr in Luxemburg vertreten.

Phase zwei

Die zweite Phase der Brexit-Verhandlungen über das künftige Verhältnis der EU zu Großbritannien, die fälligen Übergangsregelungen und ein Handelsabkommen soll erst starten, wenn die erste Phase erfolgreich beendet ist. Wann dieser Zeitpunkt erreicht ist, will die EU festlegen, sagte Michel Barnier in Brüssel. "Das geht natürlich, nicht wenn die Atmosphäre schlecht ist und wir uns gegenseitig misstrauen."

Die Brexit-Gespräche, Phase 1 und 2 zusammen, sollten nach den Vorstellungen der EU-Kommission im Oktober 2018 abgeschlossen sein. Denn bis zum März 2019, dem geplanten Austrittsdatum, müssen noch alle EU-Mitgliedsstaaten, das Europäische Parlament und vielleicht auch einige nationale Parlamente der Vereinbarung zustimmen.

May im Wahlkampf: Ich werde ziemlich hart seinBild: picture-alliance/dpa/PA Wire/A. Devlin

London sagt vorsorglich Nein

Die ablehnende Reaktion auf den EU-Fahrplan aus London prompt kam prompt. Die britische Premierministerin Theresa May erklärte in der BBC, EU-Kommissionspräsident Juncker werde noch merken, dass sie "ungeahnt schwierig" (bloody difficult) sein könne. May will Phase eins und zwei parallel verhandeln.

Der britische Brexit-Chefunterhändler David Davis sagte, man werde sich von der EU nicht "rumschubsen" lassen. Die Äußerungen Barniers seien nur Vorschläge. Über die finanziellen Forderungen will Davis erst ganz am Ende der Brexit-Gespräche sprechen. Die bis zu 100 Milliarden Euro werde er sicher nicht zahlen. "Und wenn wir am Ende ganz ohne Vereinbarung gehen, gibt es überhaupt kein Geld", sagte Minister Davis dem Sender ITV. Die britische Regierung lehnt es außerdem ab, sich weiter Urteilen des Europäischen Gerichthofes zu unterwerfen, falls EU-Bürger in Großbritannien nach dem Brexit klagen sollten.

Da also schon die Voraussetzungen für eine Aufnahme von Gesprächen im Moment umstritten sind, ist unklar, wo und wann sie überhaupt starten werden. Zunächst sollen die vorgezogenen Unterhauswahlen am 08. Juni abgewartet werden.

 

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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