Die Jury hat entschieden: "Synonymes" des israelischen Filmemachers Nadav Lapid ist der beste Film der 69. Berlinale. Der Silberne Bär für einen Film, der neue Perspektiven öffnet, ging an eine deutsche Regisseurin.
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Es war kein berauschender Wettbewerbs-Jahrgang, da sind sich die Kritiker weitgehend einig. Einer der Filme, die auffielen, bekommt von der Jury nun den Goldenen Bären: "Synonymes" von Regisseur Navad Lapid erzählt die Geschichte von Yoav (Tom Mercier), einem jungen Israeli, der - frisch aus dem Militärdienst entlassen - durch Paris streunt und versucht, seine Heimat hinter sich zu lassen. Dabei ist er durchaus radikal: Er weigert sich, Hebräisch zu sprechen, durchquert Paris rastlos, impulsiv - stets begleitet von einem französischen Wörterbuch voller Synonyme.
Die Geschichte hat autobiographische Züge und ist der vierte Spielfilm des 43-Jährigen. Schon seine früheren Filme, wie "Policeman"(2011) und "Ich habe ein Gedicht" (2014), fielen auf. Mit "Synonymes" spürt er dem Thema Heimat, Identität und ihrer Last nach - skurril, originell und witzig.
Aktuelle Themen
Den großen Jurypreis bekommt das Drama "Grâce à Dieu" von François Ozon: Der ist besonders aktuell und brisant. Seit 2014 wurden immer neue pädophile Straftaten in der Erzdiözese Lyon und ihre Vertuschung durch Kirchenobere publik. 2016 wurde Anklage gegen den Priester Bernard Preynat, um den es auch im Film geht, erhoben; die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen. Im Januar 2019 fand ein Gerichtsverfahren gegen Kardinal Barbarin und sechs andere Geistliche wegen der Nichtanzeige der Fälle statt. Das Urteil wird für März erwartet.
Berlinale 2019: Die Gewinner
Berlinale 2019: Die Gewinner
Bild: Guy Ferrandis/SBS Films
Goldener Bär: "Synonymes" von Nadav Lapid
Der israelische Regisseur Nadav Lapid bekommt für "Synonymes" den Goldenen Bären. Der Film überrascht und profitiert von der Präsenz des Schauspielers Tom Mercier. Die Geschichte: Ein ehemaliger israelischer Soldat will in Paris Franzose werden. Er möchte seine alte Identität ablegen, weigert sich Hebräisch zu sprechen und murmelt französische Redewendungen, während er durch Paris streift.
Bild: Guy Ferrandis/SBS Films
Silberner Bär: "Grâce à Dieu" von François Ozon
François Ozon porträtiert in "Grâce à Dieu" eine Gruppe von Opfern, die gegen die Vertuschung sexueller Misshandlungen eines katholischen Priesters vorgeht - ein hochaktuelles Thema. Sein Film beruht auf wahren Begebenheiten. Während die Kirche versucht, den Film verbieten zu lassen, bekommt der Film mit dem Großen Preis der Jury den Rücken gestärkt.
Bild: Jean-Claude Moireau
Beste Regie: Angela Schanelec mit "Ich war zuhause, aber"
Dieser Film mit seinen losen Handlungssträngen spaltete die Festivalgemeinde: Es gab Buhrufe und Applaus. Nun gibt es den Silbernen Bären für die Regieleistung von Angela Schanelec. Ihr Film erzählt von der Hauptfigur Astrid, die ihren Mann verloren hat und keinen Halt mehr im Leben findet. Sie kümmert sich allein um ihre Kinder und plagt sich mit Schuldgefühlen.
Bild: Nachmittagfilm
Beste Hauptdarstellerin und bester Hauptdarsteller im gleichen Film: "So Long, My Son" von Wang Xiashuai
Das dreistündige Drama wurde als Favorit für den Goldenen Bären gehandelt. Nun bekommen Hauptdarstellerin Yong Mei und Hauptdarsteller Wang Jingchun jeweils den Bären für ihre schauspielerischen Leistungen. Der Film zeigt den politischen Umbruch in China anhand von zwei Familien über drei Jahrzehnte hinweg: von der blutigen Kulturrevolution bis hin zum politischen Umbruch des Landes heute.
Bild: Li Tienan/Dongchun Films
Neue Perspektiven: "Systemsprenger"
Der Alfred-Bauer-Preis ist nach dem ersten Leiter des Filmfestes benannt und steht für Werke, die neue Perspektiven der Filmkunst eröffnen. Die deutsche Filmemacherin Nora Fingscheidt bekommt den Preis für ihr Spielfilmdebüt, in dem eine aggressive, traumatisierte Neunjährige sich dem System der Jugendhilfe widersetzt. Auch eine beeindruckende Leistung der jungen Schauspielerin Helena Zengel.
Bild: kineo Film/Weydemann Bros./Yunus Roy Imer
Bestes Drehbuch: "La paranza dei bambibi"
Der Film wurde vom Autoren Roberto Saviano auf der Grundlage seines Romans "Der Clan der Kinder" selbst geschrieben und bekommt nun den Silbernen Bären für das beste Drehbuch. Die Geschichte spielt in Neapel: Die Mitglieder der Bande des 15-jährigen Nicolas steigen auf - von Kleinganoven zu Handlangern der Mafia und Schutzgeldeintreibern bis sie schließlich die Chefs des eigenen Viertels sind.
Bild: Palomar 2018
Publikumspreis und Bester Dokumentarfilm: "Talking About Trees" von Suhaib Gasmelbari
Der Film handelt vom Leben im Sudan, von der Liebe zum Film und der Freiheit. Suhaib Gasmelbari hat vier Freunde begleitet, die ein altes Kino wiedereröffnen wollen. Seitdem 1989 Omar al-Baschir an die Macht gekommen ist, mussten nach und nach alle Kinos im Land schließen. Kino sei im Sudan einst beliebter gewesen als Fußball, sagt der Regisseur beim Gespräch mit dem "Tagesspiegel".
Bild: Agat Films & Cie
Bester Erstling: "Oray"
Ein Film über Muslime ohne Terror, Kopftuch oder Dschihad? Dass das geht, beweist der Kölner Regisseur Mehmet Büyükatalay. Er zeigt in seinem Erstlingswerk "Oray" einen gläubigen Muslim - und alltägliche Probleme statt abgegriffene Klischees.
Bild: Christian Kochmann / filmfaust
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Zwei Deutsche Filmemacherinnen ausgezeichnet
Der Silberne Bär/Alfred-Bauer-Preis für einen Spielfilm, der neue Perspektiven eröffnet, ging an "Systemsprenger" von Nora Fingscheidt. Der deutsche Film erzählt die Geschichte eines neunjährigen Mädchens, mit dem alle pädagogischen Systeme überfordert sind. Den Silbernen Bär für die Beste Regie vergab die sechsköpfige Internationale Jury unter Vorsitz von Juliette Binoche ebenfalls nach Deutschland: Ihn erhielt Angela Schanelec für die deutsch-serbische Produktion "Ich war zuhause, aber". Der Film handelt vom Verschwinden eines 13-jährigen Schülers.
Preise der unabhängigen Jurys
Den FIPRESCI-Preis der Filmkritiker bekam ebenfalls "Synonymes", den Preis der ökumenischen Jury bekam "God Exists, Her Name Is Petrunya", von der mazedonischen Filmemacherin Teona Strugar Mitevska: eine Balkansatire, die von der Dominanz der Religion und der Machokultur in ihrer Heimat erzählt. Der Film war bei Publikum und Kritikern gut angekommen. Auch der Gilde-Filmpreis ging an diesen Film, dem ersten mazedonischen Beitrag im Wettbewerb überhaupt. Den Ehrenbär hatte zuvor bereits Regisseurin Agnes Varda verliehen bekommen.
Frischer Wind mit Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek
Es ist der letzte Jahrgang unter der Leitung von Festivalleiter Dieter Kosslick. Neu übernehmen 2020 der Italiener Carlo Chatrian, der zuvor die Filmfestspiele in Locarno verantwortete, flankiert von der Niederländerin Mariette Rissenbeek. Die Berlinale ist das weltgrößte Zuschauerfestival. Insgesamt wurden 2019 wieder über 400 Filme präsentiert. 16 davon liefen im Wettbewerb um die begehrten Goldenen und Silbernen Bären.