Der Hauptpreis der diesjährigen Berlinale geht an den iranischen Filmemacher Mohammad Rasoulof. Die Jury wartete mit einigen Überraschungen auf, einige hoch gehandelte Favoriten gingen leer aus.
Anzeige
70. Berlinale: Die Gewinner des Wettbewerbs
Mohammad Rasoulof gewinnt mit "There Is No Evil" den Goldenen Bären der Berlinale 2020. Wir stellen ihn und andere Gewinner des Wettbewerbs um den Goldenen und die Silbernen Bären vor.
Bild: Cosmopol Film
Goldener Bär: "There Is No Evil" von Mohammad Rasoulof
Der Episodenfilm des iranischen Regisseurs Mohammad Rasoulof verbindet vier Geschichten über individuelle Freiheit und die Todesstrafe. Der Widerstand der Protagonisten reflektiert dabei Rasoulofs eigene Entscheidung, den iranischen Autoritäten zu trotzen, die ihm das Filmemachen verboten und ihm mit Gefängnis gedroht haben. Das kraftvolle Werk gewinnt den Hauptpreis der Berlinale.
Bild: Cosmopol Film
Großer Preis der Jury: "Never Rarely Sometimes Always" von Eliza Hittman
Eliza Hittman hat ein brilliantes Porträt über zwei Teenager aus dem ländlichen Pennsylvania gedreht, die nach New York City reisen, um eine ungewollte Schwangerschaft zu beenden. Sidney Flanigan (Bild) glänzt in der Rolle der Autumn mit subtil angedeuteten Emotionen. Das Abtreibungsdrama bekommt den Silbernen Bären der Jury um Jeremy Irons.
Bild: 2019 Courtesy of Focus Features
Beste Regie: "Die Frau, die rannte" von Hong Sang-soo
Neben Bong Joon-ho, der dieses Jahr mit "Parasite" den Oscar für den besten Film gewonnen hat, gehört Hong Sang-soo zu den bedeutendsten Filmemachern Südkoreas. "Die Frau, die rannte" ist eine gefühl- und humorvolle Studie über die Suche einer Frau nach sich selbst, gedreht in minimalistischen Einstellungen.
Bild: picture-alliance/dpa/Berlinale/Jeonwansa Film
Beste Darstellerin: Paula Beer in "Undine"von Christian Petzold
Paula Beer (u.a. bekannt aus "Bad Banks") brilliert in Christian Petzolds moderner Adaption des Sagenstoffs um die gleichnamige Nixe. Petzolds Undine ist Historikerin und arbeitet als Museumsführerin in Berlin. Der Film über eine Liebesbeziehung, bei der es um Leben und Tod geht, verbindet traumähnliche Passagen mit Alltagsszenen aus dem heutigen Berlin. An Beers Seite spielt Franz Rogowski.
Bild: Christian Schulz/Schramm Film
Bester Darsteller: Elio Germano in "Hidden Away" von Giorgio Diritti
Der Film erzählt die außergewöhnliche Lebensgeschichte des italienischen Malers Antonio Ligabue, eines revolutionären Einzelgängers der modernen Kunst. Elio Germani bringt die Leidenschaft und die innere Zerrissenheit der Hauptfigur auf den Punkt. Er verkörpert einen Mann mit einer klaren Vision und großem Talent, der zeitlebens an den Rand gedrängt wurde und verstanden werden will.
Bild: Chico De Luigi
Bestes Drehbuch: "Bad Tales" von Fabio und Damiano D'Innocenzo
Elio Germano ist auch in "Bad Tales" zu sehen. Das surreale Drama erzählt vom Leben in einem steril wirkenden italienischen Vorort. Die Atmosphäre ist aufgeladen, und ein Ereignis treibt die gesamte Siedlung in den Kollaps. Die Protagonisten sind die Kinder, deren Geschichten miteinander verwoben sind. Ein düsteres Märchen über Menschen, die erleben müssen, wie ihre Träume auf der Strecke bleiben.
Bild: Pepito Produzioni/Amka Film Production
Herausragende künstlerische Leistung: Jürgen Jürges (Kamera) für "DAU. Natasha"
Die Kontroversen um Ilja Chrschanowskis Projekt "DAU. Natasha" haben bereits für Schlagzeilen gesorgt. Der deutsche Kameramann Jürgen Jürges, bekannt für seine Arbeit mit Rainer Werner Fassbinder, hat das Mammutprojekt im dokumentarischen Stil mit nur einer Kamera gedreht und folgte den Laiendarstellern durch nur zum Teil inszenierte Szenen. Die Jury würdigt seine außergewöhnliche Arbeit.
Bild: picture-alliance/dpa/Phenomen Film
Silberner Bär 70. Berlinale: "Delete History" von Benoît Delépine und Gustave Kervern
"Delete History" porträtiert drei Frauen in einer Provinzvorstadt, die auf verschiedene Weise unter den Auswirkungen der sozialen Medien leiden. Erst als sie sich gegen einen scheinbar übermächtigen Tech-Giganten zusammentun, kommt wieder Bewegung in ihr Leben. Die Situationskomödie beschreibt auf empathische Art und Weise die Lebensrealität im Zeitalter von Clouds, Algorithmen und Datenkraken.
Bild: Les Films du Worso/No Money Productions
Berlinale Dokumentarfilmpreis: "Irradiated" von Rithy Panh
Mit einem Familienfoto beginnt dieser poetische Dokumentarfilm. Das meditative, essayistische Werk des kambodschanischen Filmemachers Rithy Panh besteht zu einem Großteil aus Archivmaterial der Kriege des 20. Jahrhunderts. Panh über seinen Film: "Das Böse strahlt aus. Es schmerzt – auch spätere Generationen. Doch jenseits dieses Schmerzes liegt Unschuld."
Bild: Rithy Panh
Bester Erstlingsfilm: "Los Conductos" von Camilo Restrepo
Camilo Restrepo befasst sich in "Los Conductos" mit Religion und Gewalt in seiner Heimat Kolumbien. Der Film basiert auf den Erinnerungen eines Sektenaussteigers. Pinky hat sich aus den Fängen eines gewissen "Padre" befreit und verschanzt sich in einer Fabrik, entschlossen, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Ein alptraumhaftes, halluzinatorisches Werk, gedreht mit 16-mm-Film.
Bild: 5a7 Films - mutokino - If you hold a stone - montañero cine
10 Bilder1 | 10
"Dieser kleine Freund hier, der Goldene Bär, wird bald in mein Land reisen. Und er wird Mohammad sagen: 'Du bist nicht allein'. Und Mohammad wird ihm zeigen, wie viele freundliche und friedliche Menschen es im Iran gibt." Diese emotionalen Worte aus der Dankesrede von Mohammad Rasoulofs Produzent Kaveh Farnam führten zu stehenden Ovationen bei der Preisgala der diesjährigen Berlinale.
Rasoulof konnte den Preis nicht persönlich entgegennehmen, da die iranischen Autoritäten ihm nach seinem Film "A Man of Integrity" die Ausreise verboten hatten. Für ihn nahmen seine Tochter Baran und die beiden Produzenten des Films den Preis entgegen. Sie waren sichtlich bewegt. Einige der Crewmitglieder hatten für den Film ihre Freiheit, wenn nicht sogar ihr Leben riskiert.
Persönliches und politisches Statement
Mit Rasoulofs "There Is No Evil" gewinnt das eindrucksvolle persönliche und politische Statement eines iranischen Regisseurs den Hauptpreis der Berlinale. Sein Film "A Man of Integrity" hatte in Cannes 2017 den Hauptpreis in der Sektion Un Certain Regard gewonnen. 2019 wurde Rasoulof zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Am 4. März sei Rasoulof nun vom zuständigen Richter in Teheran aufgefordert worden, die Haft anzutreten, teilten die Berlinale Veranstalter mit. Rasoulof, der auch Familie in Hamburg hat, ist nach Angaben aus seinem Umfeld bisher aber nicht in Haft.
Beim Dreh von "There Is No Evil" ist es Rasoulof gelungen, die offizielle Zensur zu umgehen. In seinem Werk verbindet er vier Kurzfilme, die allesamt von Freiheit und der Todesstrafe in einem despotischen Land handeln. In einem DW-Interview sagte Rasoulof über "There Is No Evil": "Meine zentrale Frage im Film war: Übernehmen wir Verantwortung für unser Handeln? Oder schieben wir sie, um uns vor Gewissensbissen zu schützen, auf die herrschende Macht, die uns zwingt, gewisse Dinge zu tun?"
Beste Darstellerin: Paula Beer
Die deutsche Schauspielerin Paula Beer, bekannt u.a. aus der TV-Serie "Bad Banks", hat den Preis als beste Darstellerin für ihre Rolle in Christian Petzolds Liebesfilm "Undine" gewonnen. Den Silbernen Bären für den besten Darsteller bekam der Italiener Elio Germano für seine Rolle als Maler Antonio Ligabue. Germano spielt auch in dem italienischen Film "Bad Tales/Favolacce" mit, der den Bären für das beste Drehbuch mit nach Hause nimmt. Der Große Preis der Jury um Schauspieler Jeremy Irons geht an das Drama "Never Rarely Sometimes Always" der US-Regisseurin Eliza Hittman.
Der Kameramann Jürgen Jürges, der schon mit Regielegende Rainer Werner Fassbinder gearbeitet hat, bekommt den Silbernen Bären für seine herausragende künstlerische Leistung bei dem Mammutprojekt "DAU. Natasha" von Ilja Chrschanowski. Leer ausgegangen ist einer der hoch gehandelten deutschen Favoriten, die moderne Adaption von Alfred Döblins Roman "Berlin Alexanderplatz" von Regisseur Burhan Qurbani.
Die Hauptpreise der Berlinale wurden heuer erstmals ohne den Alfred-Bauer-Preis vergeben, nachdem kürzlich neue Erkenntnisse über die NS-Vergangenheit des Namensgebers und Berlinale-Gründungsdirektors bekannt geworden waren.
Erfolgreicher Start unter erschwerten Bedingungen
Die 70. Ausgabe der Berlinale war die erste des neuen Leitungsduos Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek. Die beiden hatten keinen leichten Start, denn sowohl der Anschlag von Hanau als auch die Zuspitzung der Coronavirus-Krise fielen in die Festivalwoche.
Mit der neuen Sektion "Encounters", die mit starken Beiträgen überzeugte, haben Chatrian und Rissenbeek einen neuen Wettbewerb kreiert, der ästhetisch und strukturell herausfordernde, experimentelle Werke fördern soll. In dieser Sektion ging der Hauptpreis an den längsten Film der diesjährigen Berlinale, den Achtstünder "The Works and Days (of Tayoko Shiojiri in the Shiotani Basin)". Der Dokumentarfilm begleitet eine Bauernfamilie in einem japanischen Bergdorf über ein ganzes Jahr. Der "Encounters"-Preis für die beste Regie ging an "Malmkrog" des rumänischen Regisseurs Cristi Puiu.
Matías Piñeiro bekam eine lobende Erwähnung für seinen Theaterfilm "Isabella". Den Spezialpreis der "Encounters"-Jury bekam "The Trouble With Being Born" von der österreichischen Filmemacherin Sandra Wollner. Mit ihrer Ausrichtung scheint die neue Berlinale-Leitung richtig zu liegen, denn obwohl einige Medien das Fehlen von Stars bei der diesjährigen Ausgabe des Festivals bemängelt hatten, waren die Kinos besser besucht denn je.
Bester Kurzfilm und Goldener Ehrenbär
Den Goldenen Bären für den besten Kurzfilm von der Internationalen Kurzfilmjury bekam "T" der jamaikanisch-amerikanischen Filmemacherin Keisha Rae Witherspoon. Die britische Schauspielerin Helen Mirren hat bereits am 27. Februar den Goldenen Ehrenbären für ihr Lebenswerk verliehen bekommen.
Dies ist eine aktualisierte Version eines früheren Artikels.