Maria Picasso-Menck
29. November 2011"Da sind sie, die Picassos", ruft Maria Picasso-Menck, eine elegante Dame mit silbergrauem Haar, und zeigt auf die alten Fotos in Ovalrahmen an der Wand. Da ist der strenge Urgroßvater Vincenzo Picasso, ein ehrenwerter Genueser Bürger. Oder der Großvater Ettore. "Der hat immer von einem Cousin aus Paris gesprochen, der so komisch malt", lacht sie. Nein, den Cousin, den Pablo aus Paris, habe sie selbst nie gesehen. Im Übrigen war er ja gar kein Picasso: Seine Mutter war eine, heiratete aber einen Spanier, der Ruiz hieß, und so ist Picasso eigentlich der Künstlername ihres Sohnes. Nach dem Tod seiner Mutter war jeglicher Kontakt zu den spanischen Verwandten abgebrochen, und ansonsten waren die Genueser, die richtigen Picassos, zu stolz, um den mittlerweile so berühmten Verwandten zu kontaktieren.
Auf der Suche nach Siegfried
Man fragt eine Dame nicht nach ihrem Alter. Aber es war schon zu Mussolinis Zeiten, als Maria in Genua als Tochter eines Ingenieurs und Musikliebhabers aus dem Picasso-Clan geboren wurde. Um ihr jeglichen Kontakt zu den Faschisten zu ersparen, schickte der liberale Vater sein Kind an eine private Schule, wo es weder Uniform noch Zwangsdeutsch gab. Und er bewirkte das Gegenteil: Maria träumte von einem blauen Militärmantel mit goldenen Knöpfen, und die Nibelungensage war ihre Lieblingslektüre. Schon als Kind wusste sie: "Ich muss nach Deutschland, ich muss den Siegfried kennenlernen."
In den Jahren, als die ersten VW-Käfer Richtung Rimini rollten und die Deutschen von "Zwei kleinen Italienern" sangen, kam die zierliche Genueserin nach Stuttgart, um Germanistik zu studieren. Ihren Siegfried hatte sie bald gefunden, auch wenn er Thomas hieß und kein Drachentöter, sondern nur Beamter war.
Nach der Universität arbeitete die "Frau Doktor Picasso" zunächst in einem Stuttgarter Lebensmittel-Exportbetrieb, der versuchte, den Deutschen mediterrane Esskultur nahezubringen. Da war die hübsche Italienerin schon mal für die psychologische Betreuung der Kundschaft zuständig, der das Olivenöl zu komisch roch und die keine Ahnung hatte, was man mit einer Aubergine oder einer Feige so machen kann. "Ich weiß nicht, wie viele Kisten Auberginen ich nach Hause geschleppt habe, weil sie nicht gingen", erinnert sich Maria Picasso. "Aber irgendwann haben sie sich doch gut verkauft."
Wenn sie heute mit ihrem Fahrrad an griechischen Imbiss-Buden, indischen Restaurants, südländischen Delikatessläden und Afro-Shops in der Bonner Innenstadt vorbeifährt, um frische Pasta zu kaufen, denkt sie daran, wie stark sich Deutschland in den letzten 50 Jahren doch verändert hat - zum Guten, bei allen Abstrichen.
Mit Käse zu Verdi
Aus dem Fenster der Wohnung von Maria Picasso sieht man zwei Dinge, die in ihrem Leben die Hauptrollen spielen: den Rhein und das Opernhaus. Den Rhein, dessen Legenden sie einst nach Deutschland gelockt haben, liebt sie immer noch. Und das Opernhaus ist seit 30 Jahren ihr wahres Zuhause. Ihre Aufgabe sei es, zu erreichen, dass eine Arie von Verdi nicht wie ein Lied von Brahms klinge, sagt sie. Und das bedeutet manchmal viel, viel Arbeit. Damit ein deutscher Sänger etwa in einem "Rigoletto" nicht "wagnert", wie sie sagt, verstreichen schon mal einige Übungswochen.
"Das Erste, was man bei den Deutschen klarstellen muss, ist das 'O'. Ich sage immer: Es gibt viele verschiedene Os", erzählt die Sprachpädagogin. "Die Deutschen sagen zum Beispiel 'Poo'. Bei uns wird keiner verstehen, dass es der Po, der Fluss, ist!"
"Im Italienischen gibt es drei verschiedene Möglichkeiten, den gerundeten Vokal auszusprechen", erklärt Frau Picasso. Ihren Schülern bringt sie deswegen als erstes die richtige Aussprache des Wortes "Gorgonzola" bei – denn da hat man sie, die drei verschiedenen Os. Beherrscht man die hohe Kunst des "Gor-gon-zola" kann es weiter zu Verdi und Puccini gehen.
Bitte bei "Picasso" klingeln!
Ihre Schüler, die Sängerinnen und Sänger des Bonner Opernhauses, lädt Maria Picasso oft zu sich nach Hause ein, und die kommen gern. "Einfach bei Picasso klingeln!" heißt es dann. Vor Dieben hat Maria Picasso-Menck keine Angst, obwohl auch ihr Haus voll von Bildern ist; schließlich ist ihr Sohn Daniel auch ein Künstler – wie der berühmte Verwandte.
Ins Theater kommt Maria ganz oft, ja fast täglich, besonders wenn "ihre Oper" läuft. "Schön haben Sie das gemacht, Kompliment!" hört sie dann von den Kollegen und Bekannten. "Wofür? Ich habe doch nicht gesungen!" lächelt "die Picasso" dann zufrieden. Und macht sich kleine Notizen in ihrer "Ricordi"-Partitur.
Autorin: Anastassia Boutsko
Redaktion: Suzanne Cords