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Neue Wiesen braucht das Land

Kay-Alexander Scholz
21. Juli 2020

Wilde Wiesen, viele Blumen und Insekten sieht man immer öfter mitten in Städten. Gut für die Artenvielfalt - und alles wächst von selbst? Nein, denn neben viel Überzeugungsarbeit warten noch andere Herausforderungen.

Eine Sommerwiese am Bahnhofsvorplatz von Cottbus
Bild: DW/Kay-Alexander Scholz

Deutschland wird bunter - im wahrsten Sinne des Wortes. An vielen Straßenrändern und auf Wiesen mitten in der Stadt ist nicht mehr nur das Grün von Rasenflächen zu sehen. Dort blühen zahlreiche Pflanzen in gelb, weiß, blau und rot. Auslöser des Trends waren vor allem Warnungen von Naturschützern: Die Insekten sterben und mit ihnen die Singvögel. Bis Ende des Jahres will deshalb auch die Bundesregierung ein Insektenschutz-Gesetz auf den Weg bringen.

Einer der Vorreiter ist Christian Schmid-Egger. Der Agrarwissenschaftler von der "Deutschen Wildtier Stiftung" betreut in Berlin ein Projekt zum Schutz von Wildbienen, von denen es immerhin fast 600 Arten in Deutschland gibt. Die kleinen Tierchen gehören zu den sogenannten Schirm-Arten. Heißt: Wo Wildbienen sind, gibt es auch Käfer, andere Insekten und Singvögel.

Großer Feind der Wildbienen sei das Ideal des englischen Rasens, ganz ohne Blüh-Pflanzen und Kräuter. Nur eine solche Wiese sei "ordentlich", beschreibt Schmid-Egger die typischen Widerstände von Anwohnern und Ämtern. "Ordnung ist ein ganz hoher Wert in Deutschland - inzwischen rotten wir mit dieser Ordnung aber Insekten aus." Statt Ordnungswahn zu praktizieren, sollten die Kommunen Wiesen ausblühen lassen. Dann hätten die Insekten auch was auf ihrem Speiseplan. Und je vielfältiger die Blütenpracht ausfällt, desto besser. Einige Wildbienen sind nämlich Pollenspezialisten, die nur ganz bestimmt Pflanzen besuchen.

"Leute nee, hier nicht meckern!"

Sommerwiese in VetschauBild: Stadt Vetschau

Alte Schönheitsideale sind nicht das einzige Problem der Wildbienen. Der Bürgermeister von Vetschau, einer 8000-Einwohner-Kommune unweit von Berlin, bekannt durch den angrenzenden Spreewald, schloss sich vor zwei Jahren der Bewegung "Pesitizidfreie Kommunen" an. Davon gibt es mittlerweile rund 500 deutschlandweit. Pestizide sollen Schädlinge oder Unkräuter vernichten, töten aber auch nützliche Pflanzen und Tiere - wie Wildbienen. Neben dem Verzicht auf Pestizide wird in den Kommunen auch weniger oft gemäht, damit die Wiesen blühen können. Negative Folgen habe der Entschluss nicht gebracht, berichtet Bengt Kanzler. Im Gegenteil, wo seltener gemäht werde, fielen auch weniger Kosten an.

Inzwischen gibt es fünf solcher Flächen in Vetschau - Hinweis-Schilder inklusive. Den Text darauf umschreibt der Bürgermeister im Gespräch mit der DW so: "Leute nee, hier nicht meckern, hier hat keiner vergessen zu mähen, weder die Wohnungsgesellschaft noch die Stadt sind schlampig, das ist ganz bewusst gemacht worden."

Wild ist nicht immer nur gut

Nur, ganz ohne Arbeit funktionierten auch die neuen Wiesen nicht, warnt Kanzler: "Blühwiese heißt nicht, ich nehme irgendeine vorhandene Wiese, da brauchen wir dann keine Kühe raufschicken oder nicht mähen und dann hab' ich Ruhe." Eine Blühwiese müsse man "anfassen, auflockern, Samen unterbringen, der dann in der Mischung eine vernünftige Blühwiese erzeugt."

Manchmal reiche aber selbst das nicht. Denn "wild" sei nicht immer auch "gut" für den Menschen. In Vetschau breitet sich seit Jahren Ambrosia aus - eine hochallergene Pflanze. In der Regel würden freiwillige Bürger zusammen mit der Stadt die Problem-Pflanze herausreißen. Doch bei richtig großen Flächen müsse trotzdem chemisch nachgeholfen werden, so Kanzler. Solche Ausnahmen seien möglich - und vor allem nötig. Weil ansonsten die Folgen schlimmer wären. Wenn zum Beispiel von einer Ambrosia-Wiese die Pollen in Richtung Freibad flögen.

Jede Blüte wird gezählt

"Eins, zwei, drei" - Stella Weweler von der "Deutschen Wildtier Stiftung" zählt auf einer markierten Fläche von zwei Mal zwei Metern die Blüten der blau blühenden Wegwarte. Einmal im Monat findet auf der Wildblumenwiese am Spreebogen im Berliner Regierungsviertel eine Pflanzen-Kartierung statt. Die Wiese ist eine der rund zwei Dutzend Flächen des Wildbienen-Schutz-Projektes in Berlin.

Wo sind all die Blumen? Stella Weweler am Spreebogen in BerlinBild: DW/K. Scholz
Heimat Wildblumen-Wiese: auch für diese etwas träge HummelBild: DW/K. Scholz

Weweler zählt alles, was gerade blüht - 14 Arten kommen allein auf dieser kleinen Fläche zusammen. Auch Küchenkräuter wie Fenchel sind darunter. Dazu muss sie vermerken, wie hoch der Bedeckungsgrad der Wiese ist, also wie viel der Fläche vom Grün bedeckt ist, und ob vom Saatgut viel aufgegangen ist oder sich Spontan-Vegetation entwickelt hat. Nicht alle Pflanzen seien erwünscht - gerade bei neu angelegten Wiesen, berichtet sie. Vermehren sich sogenannte Beikräuter, wird die Wiese geschröpft, das heißt bis auf eine Höhe von 20 Zentimetern abgemäht. Die Ziel-Pflanzen seien dann in der Regel noch nicht so hoch gewachsen, erklärt sie, und bekämen ihre Chance.

Am Ende soll so eine fertige Wiese von April bis Oktober blühen. Doch damit das funktioniere, werde wohl auch diese Fläche, sagt sie, demnächst abgemäht, obwohl sie gerade so schön aussieht. Damit aber die Wildbienen nicht leer ausgingen, werde der Mäher nur über die halbe Fläche gehen. Die andere Hälfte muss warten, bis etwas nachgewachsen ist. Sollte es zu trocken sein und nichts wachsen, werde die zweite Hälfte gar nicht gemäht - das Schicksal der Wildbienen geht vor.

Damit Wildblumen-Wiesen irgendwann normal werden

Das Projekt hat langfristige Ziele. Nämlich möglichst viele Erkenntnisse für das städtische "Handbuch Gute Pflege" zu liefern, erzählt Weweler. Denn irgendwann soll die Stadt solche Wiesen alleine managen können. Dafür brauche es Erfahrungsberichte und praktikable Handlungsanweisungen. Auch Wildblumen-Wiesen brauchten schließlich Pflege, so Weweler. Passiere nix, würden nach ein paar Jahren Sträucher und dann Bäume darauf wachsen. So sei der Lauf der Dinge in der Natur.

Zu Besuch bei Blüten: Bedeutung und Bedrohung von Bestäubern

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