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Politik

Grüne Außenpolitik auf dem Westbalkan

26. November 2021

Keine Regierung in der Geschichte der Bundesrepublik hat dem Westbalkan schon im Vorfeld so viel Aufmerksamkeit geschenkt wie die künftige Ampelkoalition. Im Koalitionsvertrag wurden die Ziele für die Region formuliert.

Annalena Baerbock
Annalena Baerbock, Bündnis90/Die Grünen, soll neue Bundesaußenministerin werdenBild: Bernd Settnik/picture alliance/dpa

In dem Vertragspapier, das am Mittwoch (24.11.) in Berlin vorgestellt wurde, heißt es wörtlich: "Wir unterstützen den EU-Beitrittsprozess der sechs Staaten der Westbalkan-Region und die hierfür notwendigen Reformen zur Erfüllung aller Kopenhagener Kriterien."

Weiter heißt es: "In diesem Rahmen stärken wir die Zivilgesellschaft und unterstützen weitere Heranführungsschritte. Als Nächstes müssen die ersten EU-Beitrittskapitel mit Albanien und Nordmazedonien eröffnet, die Visa-Liberalisierung mit Kosovo beschlossen und die Verhandlungen mit Montenegro und Serbien fortgesetzt werden. Wir unterstützen den EU-geführten Normalisierungsdialog zwischen Kosovo und Serbien und die Bemühungen um dauerhaften Frieden in Bosnien und Herzegowina, aufbauend auf der Wahrung der territorialen Integrität und der Überwindung ethnischer Spaltung. Parallel zu den Beitrittsverhandlungen muss die EU ihre Aufnahmefähigkeit verbessern."

Bodo Weber, Balkan-Kenner aus Berlin, sieht hier ganz klar die grüne Handschrift aus dem Wahlprogramm am Werk. Deren bisherige Spitzenkandidatin, Annalena Baerbock, soll demnächst das Auswärtige Amt leiten.

Johanna Deimel ist Südosteuropa- und Westbalkan-ExpertinBild: Privat

Für Johanna Deimel, unabhängige Balkan-Expertin aus München, ist das ein Zeichen dafür, dass die "Region Westbalkan für die kommende Bundesregierung strategisch bedeutsam und ein integraler Bestandteil des europäischen Einigungsprozesses ist."

Für den stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion, Johann David Wadephul, ist das nur eine Fortsetzung des Weges, "der in den 16 Jahren CDU-geführter Bundesregierung dafür maßgeblich geebnet wurde". Auch in diesem Punkt sei der Koalitionsvertag ideenlos, so der CDU-Politiker gegenüber der DW.

Ende der Stabilokratie?

Tatsache ist, dass sich für all die oben genannten Themen auch die noch amtierende Bundeskanzlerin Angela Merkel eingesetzt hat. Doch Deimel schätzt, dass die Westbalkan-Politik in der Ampel-Koalition den Fokus auf die Zivilgesellschaft legen wird. "Korrupte 'regierungsnahe' Akteure werden nicht mehr so einfach finanzielle Unterstützung erfahren," glaubt Deimel.

"Die noch geschäftsführende Bundeskanzlerin Angela Merkel hat mit dazu beigetragen, dass Präsident Aleksandar Vucic sein Land in eine Autokratie führt", sagt Deimel. "Sie hat ihm immer irgendwie die Stange gehalten, auch als Tausende Demonstranten in Serbien, die für demokratische Grundrechte über Wochen auf die Straße gegangen sind - für sie aber keine unterstützenden Worte aus der Regierung in Berlin gefolgt waren. Zugleich aber gab es Bilder scheinbar einvernehmlicher Treffen zwischen Merkel und Vucic", so die Analystin, die 2012 diese Politik der Kanzlerin als "stabilokratisch" bezeichnet hatte.

Bundeskanzlerin Angela Merkel besucht Serbiens Präsident Aleksandar Vucic in Belgrad, 13.09.2021Bild: Oliver Bunic/AFP/Getty Images

Verbesserung der Aufnahmefähigkeit der EU

Ein wenig verwirrend findet Deimel jedoch den letzten Satz der Westbalkan-Passage, in der es heißt, dass parallel zu den Beitrittsverhandlungen die EU ihre Aufnahmefähigkeit verbessern müsse. "Ich befürchte, dass dies als weitere Abschwächung der EU-Erweiterung verstanden werden könnte, und das wäre ein fatales Signal".

Bodo Weber, politischer Analyst, Vorstandsmitglied des Democratization Policy Councils, BerlinBild: Privat

Bodo Weber sieht hier nur ein "sprachliches  Zugeständnis" an die erweiterungsskeptische FDP. Beide Experten hoffen aber, dass man sich mehr bemüht, mögliche Blockaden durch einzelne Mitgliedstaaten - wie zuletzt von Bulgarien gegen Nordmazedonien - aufzulösen. Ein Ansatz wäre hier die Abschaffung des Einstimmigkeits-Prinzips, so Deimel.

Deutschlands Führungsrolle ist gefragt

Wie auch immer dieser Satz gemeint sein mag, die neue deutsche Regierung wird sich mit viel mehr Kraft als bisher einsetzen müssen, um die Ziele in der Westbalkan-Politik zu erreichen. Denn die Region hat, nicht zuletzt mit den territorialen Konflikten zwischen Serbien und Kosovo und in Bosnien-Herzegowina, viel komplexere Probleme zu bewältigen.

Dass der Koalitionsvertrag noch einmal die territoriale Integrität beider Länder betont sei sehr zu begrüßen, sagt Engjëllushe Morina, Analystin beim "European Council for Foreign Relations" in Berlin. Doch sie befürchtet, dass eine deutsche Unterstützung nicht ausreicht. Hier sollte Deutschland eine "führende Rolle" einnehmen, insbesondere um den wachsenden und destabilisierenden Einfluss Russlands in der Region zu dämpfen. "Hier kann die SPD helfen", so Morina.