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Grüne: Ein Sieg, der sich nicht so anfühlt

27. September 2021

Knapp 15 Prozent für die Grünen bei der Bundestagswahl. Ist das nun Erfolg oder Niederlage? Die Umwelt-Partei wird damit wohl Teil der nächsten Regierung. Doch die grünen Kanzlerinnen-Träume sind erstmal vorbei.

Bundestagswahl 2021 | Wahlparty der Grünen
Annalena Baerbock und Robert Habeck am Wahlabend in BerlinBild: Christoph Soeder/dpa/picture alliance

Martin Schmitt hatte bereits alles vorbereitet. Der Grünen-Kandidat im Wahlkreis Ahrweiler hatte den Kollegen seiner Ergo-Therapie-Praxis einen aufgeräumten Schreibtisch hinterlassen, sich eine Zugverbindung für Montagmorgen nach Berlin herausgesucht.

Doch nun sitzt Schmitt nicht im ICE in die Hauptstadt als neu gewählter Abgeordneter des Bundestages, sondern im Büro seiner Praxis in der Eifel. "Ja, das ist eine Enttäuschung", sagt Schmitt der DW am Telefon. "Ich hätte gerne in Berlin einiges umgesetzt."

Bestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl

Hätten die Grünen ein paar Prozentpunkte besser abgeschnitten bei der Bundestagswahl, dann hätte es für Schmitt, Listenplatz acht im Bundesland Rheinland-Pfalz, wohl gereicht. "Wir hätten uns sicherlich noch drei bis fünf Prozent mehr gewünscht", sagt er.

Bleibt in der Eifel: Martin Schmitt von den GrünenBild: privat

Mit fast 15 Prozent haben die Grünen ihr bislang bestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl geholt. Und doch geht es vielen in der Partei wie Schmitt: Es fühlt sich nicht an wie ein Sieg.

Baerbock: "Eigene Fehler"

Wohl auch nicht für Annalena Baerbock, die Kanzlerkandidatin der Umweltpartei. Als sie am Wahlabend in Berlin vor ihre Anhänger trat, war der Jubel zwar groß. Doch Baerbock dämpfte die Stimmung in der Halle: "Wir können heute Abend gemeinsam nicht nur jubeln", sagte sie. Man sei angetreten, um als führende Kraft das Land zu gestalten. "Wir wollten mehr. Das haben wir nicht erreicht."

Noch im Mai sah es so aus, als könne Baerbock tatsächlich die erste Grüne werden, die eine Bundesregierung anführt und Angela Merkel im Kanzleramt beerbt. Doch von fast 30 Prozent in den Umfragen damals sind am Ende nicht einmal 15 Prozent übrig geblieben. "Auch aufgrund eigener Fehler zu Beginn des Wahlkampfs, in der Kampagne", sagt Baerbock. "Eigener Fehler von mir."

"Grüne keine Volkspartei"

Ein geschönter Lebenslauf, abgekupferte Buchpassagen, nachgemeldete Nebeneinkünfte der eigenen Partei: All dies rüttelte an Baerbocks Image als tadelloser Sachpolitikerin. Aber reicht das, um zu erklären, warum die Grünen ihre ambitionierten Ziele nicht erreicht und den Volksparteien CDU/CSU und SPD den Rang abgelaufen haben?

Der Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer sieht bei den Grünen begrenztes WählerpotentialBild: picture-alliance/dpa/J. Stratenschulte

Nein, meint der Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer von der Freien Universität Berlin. "Die Grünen waren von ihrem Programm, ihren Mitgliedern und von der Wählerschaft her nie eine Volkspartei", sagt er der DW. Die grüne Stammwählerschaft sei nach wie vor eher jung, eher städtisch, eher akademisch gebildet. "Sie unterscheidet sich in ihrer sozialen Zusammensetzung deutlich von der Gesamtbevölkerung und sie hat eben quantitativ ihre Grenzen."

Schwache Konkurrenz

Die Parteiführung aus Baerbock und ihrem Co-Vorsitzendem Robert Habeck habe die Grünen zwar von links weiter in die Mitte der Parteienlandschaft gerückt, so Niedermayer. Damit habe man im Frühsommer über die Stammwählerschaft hinaus weitere Wähler hinzugewinnen können. "Aber eben nur für eine relativ kurze Zeit. Und als die Kanzlerkandidatin zu Beginn des Wahlkampfs schwere Fehler gemacht hat, sind diese Wähler gleich wieder abgesprungen."

Da war die grüne Welt noch in Ordnung: Annalena Baerbock bei der Nominierung zur Kanzlerkandidatin mit Robert HabeckBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Dabei hatte viel dafür gesprochen, dass die Grünen bei dieser Wahl zumindest als zweitstärkste Kraft in den Bundestag einziehen könnten. Die sozialdemokratische Konkurrenz schwächelte seit Jahren, die Unionsparteien CDU und CSU nominierten nach zähem Machtkampf mit Armin Laschet einen unbeliebten Kandidaten für die Nachfolge Angela Merkels.

Die Grünen dagegen wirkten geschlossen, beflügelt von einem rasanten Mitgliederzuwachs. Und das Großthema der Grünen, der Klimaschutz, stand im Wahlkampf ganz oben auf der Agenda - spätestens seit der Flutkatastrophe im Westen Deutschlands Mitte Juli.

Die Grünen gelten als Klimaschutzpartei

Dort, im Wahlkreis Ahrweiler, kämpfte Martin Schmitt als Grünen-Kandidat vergeblich um den Einzug in den Bundestag. Die Katastrophe habe die Gefahren des Klimawandels noch einmal sehr deutlich gemacht, sagt er der DW. Das zeige sich nun auch im Wahlergebnis. "Wir haben in den Flutgebieten deutlich positivere Zugewinne erreicht als in den Nicht-Flutgebieten bei uns im Wahlkreis."

Flutopfer fordern mehr Klimaschutz

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In Umfragen betonen die Deutschen stets, wie wichtig ihnen das Thema Klimaschutz sei. So waren in einer Allensbach-Umfrage kurz nach der Flut zwei von drei Deutschen der Meinung, Klimaschutz gehöre zu den wichtigsten Aufgaben einer neuen Regierung. Zugleich wurde den Grünen unter den Befragten immer wieder die größte Lösungskompetenz beim Thema Umwelt- und Klimaschutz zugeschrieben.

"Veränderungen machen Angst"

Warum Schmitts Partei dennoch schlechter abgeschnitten hat als gedacht? "Wir Grünen sind die Partei, die mit Vehemenz für starke Veränderungen steht, vor allem in Klimafragen", sagt er. "Veränderungen sind in der Wählerschaft gewollt, aber sie machen eben auch Angst. Das ist für mich auch menschlich."

Im Wahlkampf machte sich die politische Konkurrenz diese Angst vor radikaler Veränderung zunutze. Wahlsieger Olaf Scholz von der SPD kultivierte erfolgreich sein Image als Mann der Kontinuität, bereit, das Erbe Angela Merkels fortzuführen. Andere Parteien stellten die grünen Klimaschutzideen oft als Frage von persönlichem Verzicht dar. Die Grünen als Verbotspartei, die den Menschen das Leben madig machen wolle mit teurem Sprit und trockenen Sojawürstchen. Auch das dürfte Stimmen gekostet haben.

Grüne Regierungsbeteiligung wahrscheinlich

"Es ist jetzt so", sagt Martin Schmitt. "Ich weiß, dass ich alles gegeben habe." Immerhin habe man nun eine starke grüne Fraktion im Bundestag – "wenn auch nicht so stark, wie wir es gerne gehabt hätten." Und: Seine Partei wird wohl Teil einer neuen Regierung. Zumindest erscheint ein Bündnis von SPD, Grünen und FDP oder eines von Union, Grünen und FDP derzeit am wahrscheinlichsten.

Ob in den nun anstehenden Gesprächen zur Regierungsbildung Annalena Baerbock weiter die tragende Rolle bei den Grünen spielen wird? Oder doch Robert Habeck, dem viele zugetraut hätten, als Kanzlerkandidat mehr Stimmen für die Grünen zu gewinnen? Für Martin Schmitt ist nicht entscheidend, wer am Ende welches Ministeramt übernimmt.

Die grünen Themen müssten im Vordergrund stehen. "Die Verantwortung einer neuen Bundesregierung ist es, Klimaziele endlich umzusetzen", sagt er. Können sich die Grünen bei diesem Thema durchsetzen, dann wird wohl eine Mehrheit ihrer Anhänger den Ausgang der Bundestagswahl als Sieg empfinden und nicht als Niederlage.