1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikEuropa

Grüne: "Digitale Defizite in der EU"

Barbara Wesel
3. März 2021

Bundeskanzlerin Angela Merkel und drei weitere Regierungschefinnen aus der Europäischen Union fordern mehr digitale Kompetenz in Europa. Ja, aber wie? Was hält der Grüne Rasmus Andresen von Merkels Digital-Forderung?

EU Netzwerkkabel Stecker gezogen
Bild: DW/P. Henriksen

Vier europäische Regierungschefinnen, darunter Bundeskanzlerin Angela Merkel, fordern die EU-Kommission auf, mehr für die digitale Wettbewerbsfähigkeit Europas zu tun. Der Brief ging an die EU-Kommission, die das Schreiben aus Deutschland, Finnland, Dänemark und Estland prompt begrüßt. Der Sprecher der Kommission kann eine lange Liste von Vorhaben für eine Digitalstrategie, zum Datenschutz, zur Einführung des 5G-Netzes, zur Regulierung von Anbietern und Märkten herbeten. Ende des Monats will EU-Ratspräsidentin Ursula von der Leyen genau das machen, was die Briefschreiberinnen fordern. Sie wird einen Aktionsplan vorlegen. Reicht das? Wirkt das?

Die DW hat mit dem Abgeordneten Rasmus Andresen, haushalts- und industriepolitischer Experte der Grünen im Europa-Parlament, gesprochen. 

Digital voran: Der junge Grüne Rasmus Andresen wünscht sich mehr Handeln statt Briefe schreibenBild: picture-alliance/dpa/C. Rehder

Deutsche Welle: Vier Regierungschefinnen haben einen Brief an die EU-Kommission geschrieben und mehr Fortschritt für ein digitales Europa gefordert. Müssten sich die Damen nicht an die eigene Nase zuerst fassen? Vor allem Angela Merkel? Estland steht ja ziemlich gut da. Aber Deutschland hat doch die rote Laterne in Sachen digitaler Fortschritt?

Rasmus Andresen: Grundsätzlich ist es gut, dass die Mitgliedsstaaten mehr Initiative entfalten. Bei der Digitalisierung ist das dringend nötig. Die Europäische Kommission kann man damit nicht alleine lassen, sondern man muss mehr dafür tun, dass Europa digitaler wird. Aber die Partner sind doch etwas ungleich, wenn man sich vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Gruppe anschaut. Denn anders als beispielsweise Estland, Dänemark oder Finnland ist in Deutschland in den vergangenen Jahren ja gerade beim Thema digitale Infrastruktur nicht so viel passiert. Und deshalb hätten wir uns schon auch gewünscht, dass mit dem Aufruf an die EU auch ein bisschen mehr eigenes Engagement verbunden gewesen wäre.

Müsste Deutschland also mehr Selbstkritik üben und sagen "wir haben dieses und jenes verschlafen und müssten dringend A, B und C erledigen"? Dazu hört man wenig. Gibt es keine konkreten Pläne?

Zumindest gibt es wenig Koordination in der Digitalpolitik. Wir müssen deutlich mehr investieren in digitale Infrastruktur, schnelles Internet überall beispielsweise, oder aber auch in die Digitalisierung der Verwaltung. Es ist nicht so, dass nichts passiert, aber im Vergleich zu den baltischen Ländern oder Skandinavien ist das, was in Deutschland passiert, doch eher lächerlich. Und zumindest hätte man, wenn man gleichzeitig ein Appell nach Brüssel schickt, auch so ehrlich sein sollen, zu sagen, dass man selbst auch noch einiges vorhat und noch einige Baustellen zu bearbeiten hat.

W-Lan in der kleinsten Hütte: In Estland Realität, in Deutschland noch immer nichtBild: picture-alliance/dpa/Estonian Tourist Board

Ist das alles nur eine Frage der Infrastruktur oder geht das nicht sehr viel weiter?

Die digitale Infrastruktur ist die Grundlage, würde ich sagen. Aber natürlich müssen wir uns auch viel stärker damit auseinandersetzen, wie digitale Innovationen stärker auch aus Europa, aus Deutschland kommen können. Und da gibt es schon auch Unternehmen, die sich auf den Weg machen. Aber die klagen ja auch oftmals darüber, dass sie gerade in Deutschland nicht die richtige Förderung bekommen oder dass Fragen zu kompliziert geregelt sind. Deshalb wandern Unternehmen oft auch ins Ausland ab, weil sie das Gefühl haben, dass sie in Deutschland mit ihren Ideen nicht willkommen sind. Und da muss Deutschland auf jeden Fall nachlegen.

Es fehlt an Anschubfinanzierung und an besserer Regulierung, wenn man so will. Was muss jetzt auf EU-Ebene weiter geschehen?

Die EU-Kommission hat auf Anfrage des Europäischen Parlaments einen riesig langen Plan vorgelegt, was alles in der Mache sei an Regulierungen und an Plänen für die digitale Dekade. Und man liest es und man denkt, die denken kaum an etwas anderes. Neben der Corona-Krise gibt es jetzt nur noch das digitale Jahrzehnt.

Kanzlerin Merkel bei Digital-Gipfel der EU in Tallinn (2017), wo die Digitalstrategie bereits gefordert wurdeBild: Getty Images/AFP/I. Znotins

Aber wie kann das ausgefüllt werden? Das müssen am Ende ja die Mitgliedsländer machen, denn es ist ja keine EU-Kompetenz.

Das Engagement der EU muss mit dem der Mitgliedsstaaten auf jeden Fall ineinandergreifen. Und wichtig ist, dass wir deutlich mehr Mittel auch in Digitalisierung investieren. Dazu gibt es jetzt mit dem Wiederaufbau-Fonds nach der Corona-Krise in der EU eine einmalige Chance. Da sind wir jetzt sehr gespannt, was die Mitgliedsstaaten konkret an Projekten vorhaben. Die müssen ja in Brüssel genehmigt werden. Und zum anderen geht es aber auch darum, eine gemeinsame europäische Regulierung auf den Weg zu bringen, beispielsweise um den Einfluss von Google, Amazon oder Facebook zurückzudrängen. Und da würden wir uns wünschen, dass auf europäischer Ebene Gesetze gemacht und beschlossen werden, die ja dazu führen, dass es auch wieder mehr Raum gibt für europäische Innovationen und Unternehmen. Denn wenn die Digitalisierung weiter von Google und anderen diktiert wird, dann werden wir zwar hehre Ziele formulieren können, aber die Entscheidungen fallen im Silicon Valley.

Das heißt, die Marktmacht der großen Internetkonzerne aus den USA müsste bewusst zurückgedrängt werden, auch wenn man damit vielleicht in einen Konflikt mit der neuen Regierung in Washington käme?

Ich glaube, dass wir da gemeinsame Interessen sogar haben mit der neuen Regierung in Washington. Es gibt ganz viele Abgeordnete in den USA, die ähnliche Gesetze vorbereiten und auch nicht wollen, dass ihre Demokratie immer stärker durch Facebook und Google kontrolliert wird. Von daher kann ich mir sogar vorstellen, dass das ein Thema ist, wo wir auch gemeinsam mit beiden Regierungen auch Fortschritte erzielen können.

Würden Sie sagen, dass es in vielen europäischen Ländern - insbesondere aber in Deutschland, auch in Frankreich - bei den Regierenden und in der Verwaltung an der richtigen Denke fehlt? Werden wirklich digitale Lösungen gesucht oder schleppt man nur die Aktenberge von vorgestern durch die Flure? Können Regierung an dieser Haltung überhaupt etwas machen?

Das Problem ist in der Tat, dass in Deutschland immer zu wenig auf Digitalisierung gesetzt wurde und dass man oftmals das Gefühl hatte, dass Digitalisierung ein komplizierter Prozess ist, der zur Umstellung zwingt und vielleicht auch gar nicht nötig ist. Da haben wir gerade in der öffentlichen Verwaltung in Deutschland ganz lange sehr, sehr stark diese Grundhaltung gehabt und in der Politik ohnehin. Und jetzt merken wir so langsam, wie es uns schadet und dass beispielsweise Dänemark oder andere skandinavische Länder uns jetzt um einiges voraus sind, weil sie von Anfang an viel offener waren. Politik kann das nicht alleine machen, den Politik kann Gesellschaft nicht alleine verändern. Aber Politik muss dafür den Rahmen setzen und das Ganze auch vorleben. Und da würde ich mir auch wünschen, dass von der Bundesregierung wesentlich mehr passiert. Denn wenn nicht dort, wo dann?

Rasmus Andresen (35) ist seit 2019 Abgeordneter im Europäischen Parlament. Zuvor war der Politiker von Bündnis90/Die Grünen zehn Jahre Abgeordneter im Landtag von Schleswig-Holstein.

Die Fragen stellte Barbara Wesel.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen

Mehr zum Thema

Weitere Beiträge anzeigen