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Politik

"Grüner Knopf" für fair produzierte Textilien

9. September 2019

Wie viel Gift oder Kinderarbeit steckt in einem T-Shirt? Die Verbraucher können nun entscheiden, ob sie Textilien kaufen, die hohen sozialen und ökologischen Standards gerecht werden. Der "Grüne Knopf" wird eingeführt. 

Bundesentwicklungsminister Gerd Müller in Äthiopien
Bild: picture-alliance/dpa/K.Nietfeld

Es ist die größte Katastrophe in der Geschichte der Textilindustrie. Im April 2013 stürzt in Bangladesch die Textilfabrik von Rana Plaza ein. Weit über 1000 Menschen sterben, über 2000 werden verletzt. Bekannte Firmen wie Mango, Benetton, C&A und Primark lassen dort ihre Kleidung nähen. Die Fabrik ist erst kurz zuvor von der Business Compliance Initiative (BSCI) kontrolliert worden, der weltweit größten Umsetzungsinitiative für Arbeitsstandards.

Nicht nur dem deutschen Entwicklungshilfeminister Gerhard Müller dämmert spätestens jetzt, dass sich dringend etwas ändern muss: "Wir müssen weg von dem Shareholder Value Denken, sondern hin zu einer globalen Verantwortung für globale Lieferketten."

Rana-Plaza in Dhaka, Bangladesch, am 25.April 2013 - die größte Katastrophe in der TextilindustrieBild: picture-alliance/dpa/A. Abdullah

2014 initiiert er das Textilbündnis. An der gesamten Textil-Lieferkette entlang sollen die sozialen, ökologischen und ökonomischen Bedingungen verbessert werden. Freiwillig. Für den Minister gibt es genug ethische Gründe, dass Unternehmen und Verbrauchen einfach mitmachen müssen. Doch nach fünf Jahren ist das Ergebnis dürftig. Geht man vom Gesamtumsatz aus, dann macht nur die Hälfte der Textilbranche mit. Die andere Hälfte fühlt sich nicht angesprochen oder scheut den bürokratischen Aufwand. 

Der "Grüne Knopf" wird in Äthiopien geboren

2017 besucht Entwicklungshilfeminister Müller eine Textilfabrik in Äthiopien. Da ist ihm schon klar, dass er nachlegen muss. Für Unternehmen, die soziale Standards wie gerechte Löhne und humane Arbeitsbedingungen einhalten, ohne giftige Chemikalien arbeiten, soll es ein Siegel geben. Faire Produktion soll erkennbar sein, und wenn sich daraus ein Wettbewerbsvorteil für diese Unternehmen ergibt, dann ist das auch so gewollt.

Grüner Knopf: Metasiegel für fair produzierte TextilienBild: DW/B. Stehkämper

Müller steht an einem Zuschneidetisch und versucht, die ihn begleitenden Journalisten von dem neuen Siegel zu überzeugen. Ein staatliches Metasiegel. Im Gespräch geht es hin und her, wie es heißen könnte. "Grünes Band", "Fairer Faden" - der "Grüne Knopf" erntet die meisten Lacher. Die Journalisten ahnen da noch nicht, dass ihnen der Grüne Knopf zwei Jahre später tatsächlich begegnen wird.

Das Entwicklungsministerium geht ins operative Geschäft

Die Beamten im Entwicklungsministerium betreten Neuland. Zusammen mit Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen und Modeindustrie entwickeln sie 26 Mindeststandards, die Textilunternehmen erreichen müssen, um an das Metasiegel zu kommen.

Es betrifft Abwassergrenzwerte, schwere Formen von Kinderarbeit und Verbot von Zwangsarbeit. Außerdem müssen die Unternehmen anhand von 20 Kriterien nachweisen, dass sie ihren Sorgfaltspflichten nachkommen.

Zum Beispiel, ob es in den Produktionsstätten Beschwerdemechanismen gibt. Unabhängige Prüfer kontrollieren die Einhaltung. Die Deutsche Akkreditierungsstelle (DAkkS) hat dafür extra Prüfer ausgebildet und stellt die Kontrollen sicher. Zwei Jahre lang übernimmt das BMZ dafür die Kosten, danach müssen die Unternehmen sie selbst schultern. 

Potenzial für umweltfreundliche Produkte

Etwa 50 Unternehmen lassen sich derzeit prüfen. Es ist aufwändig. Nicht jedes Unternehmen kann oder will das leisten. Zwanzig Unternehmen davon haben die Prüfung schon erfolgreich bestanden, darunter der Outdoor-Hersteller Vaude, der Hotelwäscheproduzent Dibella oder das Modelabel Melawear.

Müller schwärmt, welche Kraft der "Grüne Knopf" entfalten könnte, wenn er Kriterium bei der öffentlichen Beschaffung wäre. Klinikwäsche, Uniformen - es wäre ein erhebliches Potenzial, um sozial- und umweltfreundliche Produkte zu unterstützen. Müllers Schwärmerei hat nur einen Schönheitsfehler. Der "Grüne Knopf" kann, aber er muss nicht Kriterium bei der Auftragsvergabe sein. 

Der "Grüne Knopf" ein Rohrkrepierer?

An Kritik am "Grünen Knopf" mangelt es nicht. Während die Textilindustrie ein "Bashing" ihrer Branche beklagt, geht das Siegel vielen Entwicklungs- und Umweltorganisationen nicht weit genug. Uwe Kekeritz, der entwicklungspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, sagt gegenüber der Deutschen Welle: "Ob das Siegel Breitenwirksamkeit entfaltet, steht in den Sternen. Und zu einem Umdenken in der Branche oder gar zu einer Veränderung des Geschäftsmodells der Fast Fashion wird der 'Grüne Knopf' nicht führen."

Bangladesch - Näherinnen protestieren gegen die miserablen ArbeitsbedingungenBild: Reuters/M. Possain

Diese Kritik teilen die meisten, kirchliche Vertreter, Entwicklungs- und Umweltorganisationen. Dass Freiwilligkeit zu etwas führt, glaubt fast niemand von ihnen. Sie fordern stattdessen ein Lieferkettengesetz.

Noch wird nicht die ganze Lieferkette geprüft

Gerhard Müller kennt auch die Kritik, dass der "Grüne Knopf" nicht die gesamte Produktionskette, vom Baumwollfeld bis zur Konfektion, unter die Lupe nimmt. Kontrolliert werden die Produktionsstufen "Zuschneiden und Nähen" sowie "Bleichen und Färben". Der Entwicklungshilfeminister hält dagegen: "Wir starten mit 95 Prozent, es ist ein Prozess." 

Der "Grüne Knopf" - Entscheidungshilfe für Verbraucher?Bild: picture-alliance/dpa

In drei Jahren etwa will man die gesamte Lieferkette prüfen, um den "Grünen Knopf" vergeben zu können. Andere, wie Uwe Kekeritz, wollen aber jetzt schon 100 Prozent. "Der Minister verspricht Nachhaltigkeit vom Baumwollfeld bis zum Bügel, obwohl der 'Grüne Knopf' bislang nur für wenige Produktionsschritte gelten soll. Der 'Grüne Knopf' darf gesetzliche Maßnahmen nicht ersetzen. Es kann nicht sein, dass die Politik die Verantwortung an die Kundinnen und Kunden abgibt." 

Von diesem Montag an sind die Textilien mit dem "Grünen Knopf" im Handel. Bundesentwicklungshilfeminister Gerhard Müller betont: "Es geht nicht um uns." Vielmehr sei es wichtig, die Situation der weltweit über 120 Millionen Beschäftigten in der Textilindustrie zu verbessern. Die meisten arbeiten in Entwicklungsländern und meistens sind es Frauen. 

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