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Politik

Grüner Neustart mit frischem Personal

27. Januar 2018

"Und das ist erst der Anfang" lautet das Motto des Grünen-Parteitages in Hannover. Der Anfang hat zwei Namen: Die neuen Parteichefs Annalena Baerbock und Robert Habeck sollen neue Wählerschichten erreichen.

Deutschland | Kandidaten für die neue Grünen-Spitze Robert Habeck und Annalena Baerbock
Bild: picture-alliance/dpa/J. Stratenschulte

Um 13 Uhr 30 beginnt im Hannover Congress Centrum HCC eine neue Zeitrechnung für die Grünen: Robert Habeck, 48 Jahre alt, Umweltminister in Schleswig-Holstein, Autor von Kriminalromanen und Kinderbüchern, und Annalena Baerbock aus Brandenburg, 37 Jahre alt, Völkerrechtlerin mit Studium in London, Bundestagsabgeordnete, sind die neuen Vorsitzenden der Grünen. Beide wurden mit klaren Mehrheiten gewählt, Baerbock (die eine Gegenkandidatin hatte) mit rund 64 Prozent der Stimmen, Habeck (ohne Gegenkandidaten) mit rund 81 Prozent. Und, ganz neu bei den Grünen: Beide sind Vertreter des realpolitischen Flügels. Ein Abschied also vom Flügelproporz.

Baerbock und Habeck müssen tatsächlich einen Neustart für die Grünen organisieren. Nach dem Scheitern der Gespräche über eine Jamaika-Koalition nach der Bundestagswahl hängt die Umweltschutz- und Bürgerrechtspartei im Niemandsland. Als kleinste Oppositionspartei muss sie im Bundestag um Aufmerksamkeit kämpfen. Inhaltlich muss sie sich neuen Themen öffnen, denn ihre Kernanliegen sind entweder erfüllt (wie der Ausstieg aus der Kernenergie) oder derzeit wenig populär (wie der Kampf gegen den Klimawandel).

Habeck gilt als unkonventionell

Habeck steht vor allem für eine andere Ansprache gegenüber Bürgern, die den Grünen nicht natürlich nahe stehen. Als Umweltminister in Schleswig-Holstein gelingt ihm auch das Gespräch etwa mit konventionellen Landwirten, die sich oft von den Grünen nicht respektiert fühlen. Kritiker bemängeln, dass der Autor von zahlreichen Büchern, Vater von vier Kindern, sich allzu gern in den Mittelpunkt stellt. Wie auch immer, die Bundestagsabgeordnete Kerstin Andreae hat hohe Erwartungen an Habeck: "Er ist ja ein sehr ungewöhnlicher, frischer Typ. Unsere alten Ideen sind nicht falsch, aber er kann sie anders, besser formulieren", sagte Andreae im Gespräch mit der DW. In Hannover sprach Habeck vor allem von der immer mehr auseinanderdriftenden Gesellschaft: "Wir müssen die Gesellschaft neu denken, dürfen niemanden gehen lassen." Baerbock riss die Delegierten mit einer kraftvollen und leidenschaftlichen Rede, kämpferisch mit schwarzer Lederjacke, von den Sitzen. Und mit einer kleinen Warnung an Habeck: "Ihr wählt hier heute eine Bundesvorsitzende, nicht die Frau an Roberts Seite!" In den Jamaika-Gesprächen hatte sie sich vor allem als Fachfrau im Klimaschutz Respekt über die Parteigrenzen hinaus erworben.

Mit grüner Sonnenblume - Stimmen für Habeck und BaerbockBild: picture-alliance/dpa/J. Stratenschulte

Die beiden neuen Chefs sollen also das Profil schärfen, und das will auch die gesamte Partei. Noch in den Jamaika-Gesprächen war den Grünen von vielen Beobachtern vorgeworfen worden, etwa bei der Zuwanderungspolitik Kompromisse bis an die Schmerzgrenze eingegangen zu sein. Jetzt heißt es im Leitantrag der Bundesvorstands: "Die Unterschiede zwischen den Parteien in wichtigen Feldern sind teilweise tiefgreifend. Es ist ein großer Gewinn für unsere Demokratie, wenn diese Unterschiede zum Ausdruck kommen. Es gibt wahrhaft keinen Grund für Verdruss an der Demokratie." Gegen nationalistische Stimmungen wollen die Grünen stehen, und die Demokratie optimistisch verteidigen. "Und das ist erst der Anfang", lautet das Motto des Parteitages. Es soll also noch etwas kommen von der Grünen, etwas Neues.

Abschied von Özdemir und Peter

Am Freitag hatten sich die beiden bisherigen Vorsitzenden Cem Özdemir und Simone Peter von den Delegierten verabschiedet. Vor allem für Özdemir waren die vergangenen Monate bitter: Wie kein anderer hatte er für eine mögliche Koalition mit CDU, CSU und FDP gekämpft, am Ende vergebens. Als Parteichef wollte er nicht noch einmal antreten, auch an der Spitze der Bundestagsfraktion war für ihn kein Platz mehr. Einige Wochen lang schien die Macht zum Greifen nah, schien es möglich, dass der türkischstämmige Schwabe sogar Minister unter Kanzlerin Angela Merkel werden könnte. Jetzt blieb ihm nur übrig, gute Miene zum bösen Spiel zu machen: "Ich rate uns, nicht in einen Wettbewerb einzutreten, wer schlechter gelaunt ist. Das sollten wir den anderen überlassen", sagte Özdemir am Freitag unter Applaus. Und ganz im Sinne Habecks fügte er hinzu: "Es öffnen sich gerade viele Türen. Lasst uns durch diese Türen gehen und das Gespräch mit der Gesellschaft auch außerhalb unseres grünen Milieus suchen."

Erleichtert wirkte dagegen Simone Peter, die stets im Schatten von Özdemir gestanden hatte. "Darauf, dass es nun vorbei ist, war ich ja schon lange vorbereitet, jetzt ist es gut", sagte sie am Samstag zur DW.

Personell ist also vieles neu bei den Grünen, inhaltlich bleibt die Partei sich aber im Wesentlichen treu. Anträge in Hannover setzten sich für eine weitere europäische Integration ein, prangerten Rüstungsexporte an und forderten eine nachhaltige Agrarpolitik. Aber es gibt ja auch noch die Gespräche von CDU, CSU und SPD über eine mögliche neue große Koalition. "Da gibt es ja schon noch eine Restunsicherheit, ob das wirklich klappt", meint im Foyer des Congress Centers Toni Hofreiter, der Grünen-Fraktionschef, im Gespräch mit der DW. "Wenn das schiefgeht, sind wir zu Gesprächen bereit, das sind wir immer. Aber eine Minderheitsregierung mit uns und der Union ist schon sehr, sehr unwahrscheinlich." Andererseits: Man kann ja nie wissen, was der Neuanfang so bringt.

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