1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Grüner Wasserstoff treibt die Zukunft

20. September 2021

Es wird ein riesiger Kraftakt, Industrieländer klimaneutral zu gestalten. Ohne große Mengen von grünem Wasserstoff scheint das laut Experten nicht zu gehen. Aber kann in Deutschland genug produziert werden?

H2 Hydrogen Molekül Symbolbild
Das gasförmige Element Wasserstoff liegt üblicherweise als molekularer Wasserstoff vor und trägt das Symbol H2Bild: Alexander Limbach/imago images

Ohne Wasserstoff wird es nicht gehen, davon sind Experten überzeugt. 2045 will Deutschland klimaneutral sein. Ging es bislang bei der Energiewende hauptsächlich darum, Strom aus erneuerbaren Energien herzustellen, muss sich jetzt auch in anderen Sektoren viel ändern. Denn der Stromsektor macht nur rund 20 Prozent des gesamten Energieverbrauchs aus.

Vor allem im Bereich der Mobilität im Schwerlastverkehr, also Lkw, Schiffe und Flugzeuge, beim Heizen von Gebäuden und in der energieintensiven Industrieproduktion wie der Chemie- und Stahlbranche werden noch fossile Brennstoffe eingesetzt, weil sich in diesen Bereichen Strom aus erneuerbaren Energien nicht direkt nutzen lässt. 

"Wo es um die Reduktion von 80 Prozent ging, da war das noch nicht notwendig", sagt Verena Graichen vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). Aber für das ehrgeizige Ziel, klimaneutral zu werden, sei der Einsatz von Wasserstoff auf jeden Fall notwendig.

Stromquelle bestimmt die Wasserstofffarbe

Neben dem Aufbau von erneuerbaren Energien wird daher Wasserstoff eine wichtige Rolle spielen müssen. Mit dem leichtesten Element der Welt, das in der chemischen Tabelle schlicht mit einem H gekennzeichnet ist, können etwa synthetische Kraftstoffe hergestellt oder Brennstoffzellen betrieben werden, um so beispielsweise Gebäuden zu heizen oder Fahrzeuge zu bewegen. Außerdem kann er die Energie, die aus Wind und Sonne gewonnen wurde, speichern. Und er dient als Rohstoff und Energiequelle für die Industrie.

Allein die Stahlindustrie verursacht rund sieben Prozent der CO2-Emissionen; ThyssenKrupp will seine Hochöfen umrüsten, um bald nicht mehr nur Kohlestaub in den Hochofen einzublasen, sondern auch grünen WasserstoffBild: Rupert Oberhäuser/picture alliance

In der Natur kommt Wasserstoff fast ausschließlich in gebunden Form vor, beispielsweise als H2O, also als Wasser. Soll Wasserstoff aber als Energieträger genutzt werden, muss er in die reine Form umgewandelt werden. Dafür braucht es Strom, der aus Wasser zwei Gase werden lässt: Sauerstoff und energiereichen Wasserstoff.

Und hier gibt es dann auch die Erklärung, warum von grünem, grauem, blauem oder violettem Wasserstoff die Rede ist. Je nachdem wie der Strom gewonnen wird, ändert sich die Farbbezeichnung. Blauer Wasserstoff wird beispielsweise mit Erdgas gewonnen, grauer mit fossilen Brennstoffen, violetter mit Atomstrom. Emissionsfrei ist nur der grüne Wasserstoff, der mit Hilfe erneuerbarer Energien produziert wird.

Wasserstoff ist das häufigste Element in unserem Universum: Er ist als chemisches Element in gebundener Form in nahezu allen organischen Verbindungen vorhanden, etwa in Wasser in Form von H2OBild: Zoonar/picture alliance

Die Nachfrage nach grünem Wasserstoff vervielfacht sich

Das Rennen um neue Energieträger und die Technologieführerschaft hat begonnen. Viele Länder haben inzwischen nationale Wasserstoffstrategien eingeführt. Die im Juni 2020 beschlossene deutsche Strategie soll die Produktion von Wasserstoff und den Aufbau einer Infrastruktur vorantreiben sowie Anwendungen fördern. So will Deutschland nicht nur Klimaschutz voranbringen, sondern gleichzeitig die Nase in neuen, nachhaltigen Wirtschaftsbereichen vorne behalten. "Unsere Rohstoffe sitzen nicht in der Erde, sondern sie sitzen zwischen den Ohren. Das heißt, wir müssen unser Wissen nutzen, umsetzen und industrialisieren", sagt Karsten Lemmer vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR).

Eine industrielle Produktion von grünem Wasserstoff gibt es bislang aber noch nicht. Wasserstoff aus erneuerbaren Energien wird in Deutschland nur in sehr geringen Mengen und meist in Demonstrations- oder Forschungsanlagen hergestellt und ist daher auch noch etwa dreimal so teuer wie grauer Wasserstoff. Der in der Industrie eingesetzte Wasserstoff wird im Augenblick fast ausschließlich aus Erdgas gewonnen und als industrieller Rohstoff eingesetzt. Der Verbrauch liegt bei rund 55 Terawattstunden (TWh).

Wasserstoffgetriebene Müllfahrzeuge im Testbetrieb in Bremen : Laut der europäischen Wasserstoffstrategie soll grüner Wasserstoff ab 2030 in großem Umfang in allen Sektoren eingesetzt werden, in denen die CO2-Emissionen bisher nur schwer gesenkt werden könnenBild: Faun

Dass sich die Nachfrage nach Wasserstoff vervielfachen wird, ist sicher. Die Frage ist nur: wie sehr? Es gibt verschiedene Studien, die allerdings die jüngst verschärften Klimaziele noch nicht berücksichtigen. Sie gehen noch von einer Reduktion der Treibhausgasemissionen 2050 um 95 Prozent gegenüber dem Basisjahr 1990 aus. In dem Fall würden zwischen 110 TWh und rund 380 TWh in 2050 gebraucht. Mit den neuen Klimazielen könnte der Bedarf noch höher liegen. "Gerade die letzten fünf Prozent stellen eine extreme Herausforderung dar", heißt es bei der Denkfabrik Agora Energiewende. 

Alleine wird es nicht gehen…

Bis zum Jahr 2030 will Deutschland neun Milliarden Euro investieren, um so eine Produktionskapazität für Wasserstoff von fünf Gigawatt aufzubauen. Das entspricht der Leistung von drei bis vier mittelgroßen Atomkraftwerken. In der EU soll sich die Elektrolyseleistung von 2024 bis 2030 auf 40 Gigawatt versechsfachen. 

Aber alle deutschen Anstrengungen werden nicht reichen. Die heimische Produktion von grünem Wasserstoff wird 2045 nur ein Drittel der Nachfrage decken können, prognostiziert die Stiftung Klimaneutralität. "Daher müssen wir parallel den Import von grünem Wasserstoff vorbereiten", sagt Veronika Grimm der DW. Sie ist Mitglied des Wirtschafts-Sachverständigenrats, umgangssprachlich "die Wirtschaftsweisen" genannt, der die Bundesregierung berät.

Solche Projekte würden bereits mit Marokko, Chile und Australien angestoßen, so Grimm. Auch mit EU-Ländern werde es Wasserstoff-Kooperationen geben. "Daneben haben unter anderem die Erdöl-exportierenden Länder Wasserstoff als Zukunftsperspektive erkannt. Die liegen meist in Regionen, in denen es viel Potential für Sonnenenergie gibt", so Lemmer vom DLR. Mit Saudi Arabien hat Deutschland in diesem Jahr eine Absichtserklärung zur Zusammenarbeit beschlossen.

In West- und Südafrika gibt es viele Flächen für Solar- und Windenergie - das Solarkraftwerk in Ouarzazate in Marokko gilt als ein MusterprojektBild: Getty Images/AFP/F. Senna

Im vergangenen Jahr wurde bereits mit Marokko, wo eines der größten Solarkraftwerke der Welt steht, eine Absichtserklärung zur Entwicklung und Produktion von grünem Wasserstoff getroffen. 

Verena Graichen vom BUND gibt allerdings zu bedenken: "Man muss sich schon fragen, ob es fair ist, Wasserstoff aus einem Land mit Energiearmut zu importieren, um unseren Lebensstandard hier möglichst unkompliziert zu decken, statt selber für mehr Effizienz und geringeren Rohstoffverbrauch zu sorgen". Außerdem müsse es nicht nur viel Sonne, sondern auch Wasser geben, um Wasserstoff zu produzieren. 

Politik muss die richtigen Weichen stellen

Um eine Wasserstoff-Wirtschaft schnell zu etablieren, könnte es zudem nötig sein, den Übergang pragmatisch zu gestalten, meint Veronika Grimm. Sie plädiert dafür, übergangsweise viele Farben des Wasserstoffs zuzulassen und erst in dem Moment, wo der grüne Wasserstoff umfangreich verfügbar ist, auf grün zu setzen.

Im Augenblick ist grüner Wasserstoff ökonomisch unattraktiv. "Grüner Wasserstoff ist in Westeuropa heute etwa dreimal so teurer wie grauer", sagt DLR-Mann Lemmer. Das müsse sich ändern. Alle neuen Technologien seien in der Anfangsphase teurer, als wenn sie etabliert seien. Hier könne der Staat Rahmenbedingungen schaffen, damit die ökologischen Vorteile die ökonomischen Nachteile, also die höheren Kosten, kompensieren, erläutert Lemmer.

Die Kosten von Produktionsanlagen für grünen Wasserstoff würden rapide fallen, heißt es von der Analysefirma Aurora Energy Research. Damit würden künftig die Strompreise zum Hauptkostentreiber. "Um grünen Wasserstoff konkurrenzfähig zu machen, können Regierungen den Ausbau erneuerbarer Energien unterstützen und Elektrolyseure von der Zahlung von Netzgebühren und Steuern befreien", meint Anise Ganbold von Aurora Energy Research.

Wirtschaftswissenschaftlerin Grimm schlägt vor, die Betreiber von Elektrolyseanlagen von der EEG-Umlage zu befreien. Diese Umlage ist ein Aufschlag auf den regulären Strompreis, um den Ausbau von Erneuerbaren Energien zu finanzieren. Sie erhöht damit den Strompreis.

Verena Graichen von BUND hält eine stringente Klimapolitik für den wichtigsten Punkt. "Wasserstoff wird nur dann in den Markt kommen, wenn sicher ist, dass es eine Nachfrage gibt und wenn sich die Umrüstung lohnt."

Insa Wrede Redakteurin in der Wirtschaftsredaktion
Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen
Den nächsten Abschnitt Top-Thema überspringen

Top-Thema

Den nächsten Abschnitt Weitere Themen überspringen