Grünes Licht für Mammut-Damm am Amazonas
21. April 2010Das Projekt erinnert an manch gigantomanisches Vorhaben des 20. Jahrhunderts, die Zahlen sprechen für sich: Die Kapazität wird 11.200 Megawatt betragen, 20.000 Menschen sollen umgesiedelt, 500 Quadratkilometer Urwald geflutet und mindestens zwölf Milliarden Euro verbaut werden. Der Belo Monte-Staudamm am Amazonas-Nebenfluss Xingu, für den das Konsortium Norte Energia am Dienstag (20.04.2010) den Zuschlag erhielt, wird bei seiner Vollendung der drittgrößte Stausee der Welt sein. Größer sind allein der Drei-Schluchten-Staudamm in China und das Itaipú-Kraftwerk zwischen Brasilien und Paraguay.
Derweil kündigten Umweltschützer und mehrere Urvölker der Region weitere Proteste gegen das Mega-Projekt an. "Wir sind bereit für den Krieg", sagte Sheila Juruna, eine Anführerin des Xingu-Volkes, in der Zeitung "O Globo". Wenn die Regierung nicht freiwillig auf die Urvölker zugehe, werde sie dazu gezwungen. Die Indianer wollen am geplanten Standort des Staudamms ein "multiethnisches Dorf" errichten. Kleinbauern planen zudem, die Zufahrtsstraße durch den Amazonas zu blockieren.
"Autoritäre Entscheidungen"
Noch Mitte April hatte ein Gericht die Baugenehmigung für den Staudamm außer Kraft gesetzt, weil der Bau direkte Auswirkungen auf den Lebensraum der Urvölker hat. Über 20.000 Menschen müssen umgesiedelt werden. Insgesamt war die Ausschreibung drei Mal ausgesetzt worden. Das Umweltministerium hatte die Baugenehmigung Anfang Februar erteilt und sich über die Einwände der betroffenen Bevölkerung hinweggesetzt.
Einer Studie der Umweltstiftung WWF zufolge wäre der Riesenstaudamm bei weitaus geringeren Investitionen in die Energieeffizienz überflüssig. Doch die Regierung hält das Kraftwerk für unerlässlich für den Ausbau des Energiesektors und verspricht Steuererleichterungen und günstige Staatskredite für Investoren.
Der international prominenteste Kritiker des Belo Monte-Damms, der aus Österreich stammende Bischof von Xingu, Erwin Kräutler, sagte für die Region "Chaos und Tod" voraus, sollte das Bauvorhaben umgesetzt werden würde. Die Folgen für Mensch und Umwelt seien unabsehbar, befürchtet Kräutler, der auch Vorsitzender des katholischen Indianer-Missionsrates ist. Die Entscheidung der Regierung von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva ist für den Kirchenmann "autoritär und arrogant". Sie erinnere an die Zeiten der Militärdiktatur (1964-1985). Damals hatte die Junta den Bau des gewaltigen Itaipú-Staudamms durchgesetzt.
Grüne Großmacht Brasilien?
Dass die Regierung Lula da Silvas den Belo Monte-Staudamm nun gegen massive Proteste im In- und Ausland durchzusetzen bereit ist, dürfte mit einer energiepolitischen Doppelstrategie zusammenhängen. Für Christina Stolte, Brasilien-Expertin am Hamburger GIGA-Institut, sieht sich Brasilien einer großen Herausforderung gegenüber. Innenpolitisch müsse es seine expandierende Wirtschaft mit immer mehr Energie versorgen. "Zum anderen versucht sich Brasilien als 'grüne Macht' unter den Schwellenländern zu positionieren", so die Wirtschaftsgeographin gegenüber DW-WORLD.DE.
Brasilien weise gern darauf hin, schon jetzt mindestens 50 Prozent seiner Energie aus erneuerbaren Quellen zu gewinnen, sagt die Stolte. Damit grenze es sich bewusst ab von den anderen großen aufstrebenden Staaten China oder Indien, die vor allem auf herkömmliche, fossile Energiequellen setzten und sich global kaum als ökologische Musterknaben zeigten. Die Wasserkraft zählt für die brasilianische Regierung dabei zu den umweltschonenden, grünen Energien. In dieser Logik muss ihr auch das Staudamm-Projekt als ökologisch korrekt erscheinen.
Ganz anders sieht das Samuel Barreto, in Brasilien verantwortlich für das "Wasser für Leben"-Projekt der Umweltorganisation WWF. Er verlangt nach weit gründlicheren und umfassenderen Studien als den bislang von der Umweltschutzbehörde vorgelegten. Denn offenkundig sei der Xingu wegen seiner starken saisonalen Wasserschwankungen für das geplante Mammut-Kraftwerk gar nicht geeignet, so der Umweltschützer gegenüber DW-WORLD.DE.
Es sei denn, im Oberlauf des Xingu würden weitere Dämme gebaut. Nach Berechnungen des Klimaforschers Philip Fearnside vom Inpa-Forschungsinstitut in Manaus, würden zwei Staudämme in dem Amazonas-Zulauf zehn Jahre nach der Flutung mehr Treibhausgase produzieren, als der Großraum Sao Paulo mit seinen 20 Millionen Einwohnern.
Autor: Nadia Pontes/ Sven Töniges
Redaktion: Ina Rottscheidt