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Politik

Auf in die zweite Runde

Barbara Wesel
8. Dezember 2017

In Brüssel stellte Kommissionschef Jean-Claude Juncker "hinreichenden Fortschritt" bei den Brexit-Gesprächen fest und gab grünes Licht, um die Verhandlungen über das künftige Verhältnis zwischen EU und UK zu eröffnen.

Belgien May und Juncker in Brüssel
Bild: Reuters/Y. Herman

Morgenstunde hatte Gold im Munde. Selbst wenn die Scheidungsvereinbarung zwischen der EU und Großbritannien sich am Ende als politisches Leichtmetall erweisen sollte, ist jetzt der Weg frei für die Fortsetzung der Brexit-Verhandlungen. Als in der Nacht zum Freitag ein ungewöhnlich früher Termin für eine Pressekonferenz der EU-Kommission verbreitet wurde, wussten Beobachter in Brüssel, dass Premierministerin Theresa May und ihre Gesprächspartner kurz vor dem Abschluss standen. Auf fünfzehn Seiten werden die Einzelheiten jetzt festgehalten. May hatte zuletzt Tag und Nacht daran gearbeitet, mit Kompromissformeln vor allem die nordirische DUP in der Irlandfrage an Bord zu holen, die ihre Minderheitsregierung unterstützt.

Das Geld

Lange hatte die Vereinbarung über die Brexit-Rechnung als schwierigstes Kapitel gegolten. Nachdem aber London verstanden hatte, dass die weiteren Verhandlungen daran geknüpft sind, dass Großbritannien seine Verpflichtungen erfüllt, wurde dieser Teil dann relativ einfach. Theresa May gestand zu, dass der Mitgliedsbeitrag auch nach dem Brexit bis Ende der Haushaltsperiode Ende 2020 weitergezahlt wird. Sie erkannte auch milliardenschwere laufende Verbindlichkeiten etwa bei den Regionalhilfen an ebenso wie ihren Anteil an den Pensionszahlungen für EU-Beamte. Das gleiche gilt für den EU-Afrika-Fonds, die Türkei-Flüchtlingshilfe und andere Budgetposten.

Davon abgezogen werden Gelder, die die EU Großbritannien noch schuldet, so dass man bei einer Gesamtsumme zwischen 40 und 45 Milliarden Euro landet. Wobei es hier nicht um harte Zahlen geht, sondern nur um die Prinzipien der britischen Verpflichtungen, wie EU-Unterhändler Michel Barnier immer wieder betonte. Dadurch sollen Empfindlichkeiten bei den Briten, besonders die der Brexit-Befürworter, geschont werden. Der Franzose Barnier ließ sich beim Geld sogar noch zu einem Scherz hinreißen. Wo die EU den Briten denn am meisten nachgegeben habe? "Wir haben sie nicht gezwungen, die Umzugslaster für die EU-Agenturen zu zahlen", frotzelte Barnier.

EU-Bürger in Großbritannien fürchten seit dem Brexit-Referendum um ihre Zukunft Bild: British in Europe

Die Bürgerrechte

Die Einzelheiten zu den Bürgerrechten stehen jetzt nach monatelangem Gezerre. Betroffen sind über drei Millionen EU-Bürger in Großbritannien und etwa eine Million Briten in der EU. Ihr Leben soll im wesentlichen weitergehen wie bisher. Das betrifft Wohnort, Arbeitsplatz, Sozialleistungen, Studium und Rente. Gerungen wurde vor allem um den Familiennachzug nach Großbritannien: Jetzt ist festgelegt, dass Ehepartner, Eltern und Kinder nachgeholt werden dürfen und die Rechte auch für ungeborene Kinder, unter Umständen sogar weitere nahe Verwandte, gelten sollen.

Großbritannien muss auch zusagen, dass der bürokratische Aufwand für EU-Bürger preiswert und einfach wird. Die Garantie dieser Rechte wird in britisches Recht übernommen, so dass die Betroffenen in Streitfällen vor britische Gerichte ziehen müssen. Der Europäische Gerichtshof wird nur noch bis zu acht Jahre nach dem Brexit einen Einfluss auf die britische Rechtsprechung haben. Die Formulierungen hierzu sind etwas diffus. Es ist nicht sicher, ob EuGH-Urteile für die britische Justiz weiter bindend sind oder nur berücksichtigt werden sollten. An diesem Punkt hat die EU ein Zugeständnis an London gemacht wie auch bei den in Europa lebenden Briten: Sie dürfen künftig auch innerhalb der EU umziehen.

Der belgische Europaabgeordnete Guy Verhofstadt, der sich als Vorsitzender der Brexit-Kommission im Europaparlament besonders für die Rechte der Bürger engagiert, fordert hier allerdings ein paar Nachbesserungen. Etwa in Bezug auf die Bindungskraft der EuGH-Urteile, die Rolle des künftigen Ombudsmanns in Großbritannien und die Verwaltungsverfahren.  

Nordiren protestieren gegen eine harte Grenze als Folge des BrexitBild: Getty Images/C. McQuillan

Das irische Grenzproblem

Nachdem eine Einigung noch Anfang der Woche am Problem einer künftigen Grenzziehung zwischen Nordirland und der Republik Irland gescheitert war, fanden die EU-Kommission und die britische Regierungschefin jetzt eine Lösung, die eine diplomatische Mogelpackung nahelegt. Großbritannien versichert, dass es keine harte Grenze in Irland geben soll. Deswegen soll Nordirland nahe an europäischen Regulierungen bleiben. Gleichzeitig wird betont, dass es keinen Unterschied zwischen dieser Region und dem Rest des Vereinigten Königreichs geben soll. Faktisch liefe es also darauf hinaus, dass das Königreich in der Zollunion und/oder dem Binnenmarkt bleibt. Das aber lehnen die Brexit-Befürworter vehement ab. Die aufgeschriebene Lösung scheint also wenig realistisch, und das Problem der Grenze und des irischen Friedensabkommens wird auf die Zukunft vertagt.

Dennoch stimmt der irische Premier Leo Varadkar in Dublin dem Ergebnis zu: "Nach langen Verhandlungen haben wir eine zufriedenstellende Lösung für die irischen Fragen erreicht." Mehr als die bindende britische Zusage, es werde keine harte Grenze geben, war wohl derzeit nicht zu erreichen, obwohl die EU der 27 den Iren hier den Rücken gestärkt hatte. Tatsächlich stehen alle Beteiligten hier vor einer logischen Unmöglichkeit, die die Verfechter eines harten Brexit stets unter den Tisch fallen ließen.  

Das Europaparlament ist in alle Phasen der Verhandlungen einbezogen: Juncker (M.) zwischen Brok (l.) und VerhofstadtBild: Reuters/Y. Herman

Reaktionen in Brüssel

Guy Verhofstadt ist mit dem Ergebnis des Scheidungsvertrags weitgehend einverstanden: "Eine Reihe der Forderungen des Parlaments wurden hier eingelöst", lobt der Liberale. Der Ausschuss werde den Weg für die Fortsetzung der Brexit-Verhandlungen freigeben. Das Parlament wolle allerdings an der Rahmenvereinbarung für das künftige Verhältnis beider Seiten mitwirken.

Auch sein Kollege Elmar Brok von der EVP ist zuversichtlich: "In dieser Phase der Verhandlungen brauchen wir hinreichenden Fortschritt, und den gibt es." Die Frage Nordirlands und der künftigen Grenzziehung müsse Großbritannien eher intern klären, so Brok im Gespräch mit der DW. Die Probleme bei Geld und Bürgerrechten seien weitgehend gelöst, und überhaupt gehe es ja hier nur eine "Interimsvereinbarung". Danach werde um die Gestalt des künftigen Handelsabkommens gerungen, was eine viel schwierigere Aufgabe sei. Brok findet sogar freundliche Worte für Theresa May als Verhandlungsführerin, er will sich allerdings nicht festlegen, ob sie am Ende der Brexit-Gespräche noch Premierministerin sein werde.

Vor allem die weiter bestehenden Probleme betont dagegen sein Parteikollege Manfred Weber: "Wir werden eine Übergangsperiode nach dem Brexit nur dann akzeptieren, wenn wir mit dem Ergebnis der zweiten Verhandlungsphase zufrieden sind", sagt der Fraktionsvorsitzende der EVP. "Gemeinsam ist die EU stark. Allein ist das Vereinigte Königreich in einer schwierigen Position. Das ist die Hauptlektion aus dem heutigen Ergebnis der Brexit-Verhandlungen."

Und Reinhold Bütikofer von den Grünen im Europaparlament sieht jetzt ein "Minimum an praktischer diplomatischer Vernunft". Für Optimismus sei allerdings kein Anlass, denn der "Brexit ist nach wie vor für beide Seiten ein Minusgeschäft". Bütikofer betont auch den enormen Zeitdruck für die nächsten Verhandlungsrunden und schont schließlich die britische Seite nicht: "Wenn man sieht, wie weit der vorläufige Kompromiss, (…) von den ursprünglichen Versprechungen der Brexit-Befürworter entfernt ist, kann man sich immer wieder nur fragen: Wie konnte eine solche Verrücktheit passieren?"

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