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41. "Behindert" ist kein Synonym für "Scheiße"

18. März 2022

Für Menschen, die unseren Podcast nicht hören können, stellen wir hier ein Transkript zur Verfügung: Texte über Behinderung, Vorurteile und Inklusion sind im deutschen Rap selten. Doch genau die macht Graf Fidi.

Zum Podcast geht es hier.

Jingle: DW. "Echt behindert!"

Moderator, Matthias Klaus: Herzlich willkommen zu "Echt behindert!" Mein Name ist Matthias Klaus und ich hätte ja fast schon nicht mehr damit gerechnet. Früher war ich Musikjournalist und Musiker bin ich sowieso. Plötzlich haben wir bei "Echt behindert!" ein musikalisches Thema. Heute zu Gast ein Rapper, der seine Behinderung mit allem drum und dran zum Thema macht. Mal sehen, wie das wird. Herzlich willkommen Hans-Friedrich Baum, alias Graf Fidi.

Graf Fidi: Schönen guten Tag. Freut mich, hier zu sein.

Matthias Klaus: Ich habe ja gerade gesagt, ich wäre Musiker. Ich habe sogar mal in einer Band gespielt, da waren wir vier Mitglieder, die blind waren. Aber über Blindheit hätten wir um Gottes Willen nie gesungen damals. Ist auch schon lange her. Was war bei dir denn der erste Impuls? Behinderten Themen in die Welt bringen oder rappen?

Graf Fidi: Ganz klar, rappen. Das mit den behinderten Themen kam erst Jahre später und auch eher so durch Zufall. Und je mehr ich dann Rapmusik gemacht habe und mich dann auch irgendwann mit dem Thema "Inklusion" beschäftigt habe, desto mehr kamen dann auch die Themen Behinderung dazu.

Matthias Klaus: Wann hast du damit angefangen das erste Mal deine Behinderung, du bist im Rollstuhl und hast an einer Hand nur einen Finger, zum Thema zu machen? Kannst du dich daran erinnern, wann der erste Rap-Text davon gehandelt hat?

Graf Fidi: Das muss ziemlich genau 2003 gewesen sein. Und da hieß der Song, der das erste Mal das Thema Behinderung aufgenommen hat, "Handicap Rap."

Matthias Klaus: "Handicap Rap." Das ist ja schon mal nett. Sagst du "Handicap" heute noch?

Graf Fidi: Ich versuche es zu vermeiden, weil ich auch mal beim Gespräch mit Raul Krauthausen erfahren habe, dass "Handicap" bedeutet, dass jemand bettelt und man im deutschen Sprachgebrauch versuchen sollte, es nicht zu verwenden. Allerdings, wenn ich einen Song schreibe, achte ich natürlich manchmal auch eher auf Flow und Rhythmik. Und wenn ich dann merke, dass sich Handicap einfach anbietet, weil es von der Silbenzahl her passt, würde ich in dem Rap-Song auch mal "Handicap" verwenden.

Matthias Klaus: Du hast selber mal ein Lied drüber gemacht. Ich kann dir die Frage nicht ersparen. Warum rappst du überhaupt?

Graf Fidi: Weil es für mich die beste Form des Ausdrucks ist und weil ich, bevor ich gerappt habe, einfach auch Rap-Fan war und mich mit der Hip-Hop Materie beschäftigt habe. Und zum Hip-Hop gehören ja nicht nur Rap-Musik, sondern eben auch noch Breakdance und Graffiti und Beatbox und DJing und diese anderen Dinge, die konnte ich mit meiner Beeinträchtigung eben weniger gut machen. Und da ich auch schon früh in der Grundschule einfach ein Faible hatte für Texte- und Gedichteschreiben, war es ziemlich naheliegend, dass ich dann Rap-Musik mache und Rapper werde.

Matthias Klaus: Und das war immer auf Deutsch?

Graf Fidi: Das war schon immer auf Deutsch, ja und wird auch, denke ich, immer auf Deutsch bleiben, weil ich nicht mal die deutsche Sprache voll und ganz beherrsche. Und ich ja, ich fühl mich mit der deutschen Sprache beim Rappen, denke ich, am wohlsten.

Matthias Klaus: Dann vielleicht erst mal ein bisschen Musik - hören wir mal etwas Neues von dir. Du wirst ein neues Album veröffentlichen. Habe ich das richtig verstanden?

Graf Fidi: Das ist vollkommen richtig. Mein Album wird erscheinen und das ist kein Aprilscherz: am 1. April diesen Jahres.

Musik, Graf Fidi

Songtext:

Du inspirierst mich so du bist so lieb und froh

Hör ich solche Sätze bin ich weder lieb noch froh

Und kannst du bitte etwas Abstand halten

Ich bin doch kein Tier im Zoo

 

Du bist so vollkommen entspannt

Es ist so toll wie du das machst

Du bist ein Vorbild und gibst Kraft

Ich bin kein Vorbild ich bin rotzfrecher Songtexter

Schreibe Clubbanger als Popsänger und Toprapper

 

Wie du das machst das ist voll cool

Ich könnt das ja nicht so mit dem Rollstuhl

Der Rollstuhl bedeutet für mich ich bin dabei

Und nicht das ich gefesselt bin und Teil von einer Minderheit

 

Du bist ein wunderbarer Mensch

ich bin so froh, dass ich dich kenn

ich mach n Foto mit der Cam ok?

Ey machst du einfach so n Foto mit der Cam

Wird dieser wunderbare Mensch dir deinen Unterarm verrenken

 

Mega nice, dass du auch auf dieser Party bist

Ich mag dich echt du bist voll crazy man und wahnsinnig

Wo bei deinen Sätzen stockt mir der Atem

Um ehrlich zu sein hab ich jetzt kein Bock mehr auf Party

 

Ich zieh vor dir den Hut du bist so n liebevoller Typ

Du hast Esprit die ganze Energie, die du versprühst

Dieser liebevolle Typ ist manchmal voll das Arschloch

Ach, jetzt guck nicht überrascht und tue hier voll auf ratlos

 

Refrain:

Er ist nicht dazu da

Um euch zu motivieren

Er ist nicht dazu da

Um euch zu inspirieren

Er ist nicht dazu da

Nur um sich gut zu fühlen

Er ist nicht dazu da er ist nicht dazu da

 

Die können sich alle mal eine Scheibe von dir abschneiden

Man sollte dir Orden verleihen oder Abzeichen

Ne Scheibe von mir abschneiden ich glaub das brauchst du nicht

Stream lieber meine Scheibe besser noch kauf den Shit

 

Kannst du Sex haben darf ich dich mal anschreiben

Ich find dein Körper interessant ich will dich nackt zeichnen

Ähm frag mich doch erst mal nach meiner Lieblingsfarbe

Ob ich Sex haben kann, ist eine intime Frage

 

Starke Leistung Bruder komm jetzt schlag mal ein

Ich lad dich ein einer wie du kommt da gar nicht rein

Man kennt mich hier ich geh hier regelmäßig hin

Aber wenn du noch Geld über hast, spendier mir doch nen Drink

Was du erleiden musstest möchte ich nicht erleben

Das du noch lachen kannst trotz deiner Schicksalsschläge

ich lach in einer Tour spar dir deinen Schicksalsschlag

aber wenn ich dich sehe, weiß ich warum man Mitleid hat

der war gemein

 

Du motivierst mich halt

mit deinen positiven Vibes

wie ein Kolibri im Wald

warum ich dich wie ein Kolibri so motiviere

weiß ich nicht denn ich lieg meistens einfach rum wie tote Tiere

 

Du bist ein transzendentes Wesen

von nem anderen Planeten

lass mich für dich beten

ich bin nicht von irgend nem anderen Planeten

aber wenn du helfen willst, dann schieb mich an den Tresen


Matthias Klaus: "Nicht dazu da." Ein Stück über, wie man ja inzwischen sagt: "Inspiration Porn." Sind dir diese Sachen da alle passiert, die da drin vorkommen?

Graf Fidi: Sagen wir mal 80 Prozent.

Matthias Klaus: 80 Prozent. Was ist das, was dich am meisten stört? Wenn man jetzt mal so ein Zitat aus dem Stück nimmt?

Graf Fidi: Dass viele Menschen, denen ich begegne, vermeintlich etwas Gutes meinen, wenn sie, wenn sie so eine Frage raushauen oder so einen Satz, aber damit eher das Gegenteil bewirken. Also sie meinen, vermeintlich Kontakt mit mir aufzunehmen und mir Respekt zu zollen für meine Situation. Und meinen, es gut zu finden, wenn sie mich irgendwie bewundern können oder mir solche Sätze sagen wie: "Eh, ich... deine Situation, ich könnte das nicht und voll toll, wie du das machst." Ja. Es führt aber eher dazu, dass es mich im schlimmsten Falle ein bisschen grantig und sauer macht und deswegen war das der Grund, warum habe ich mir gesagt habe, ich möchte daraus einen Song machen.

Matthias Klaus: Was mir ja gut gefällt an dem Stück ist, dass du dann immer versuchst, möglichst patzige Antworten zu geben. Ich kriege ja auch solche Sätze zu hören und man denkt dann immer: "Müssen wir wieder freundlich bleiben, damit die Leute auch weiterhin denken, Behinderte sind nicht so vergrätzte Typen und Typinnen" oder wie auch immer. Du sagst hier so: "Hey, pass auf, wenn du mir so kommst, dann breche ich dir das Bein" oder sagen wir mal solche Geschichten. Das wirst du natürlich nicht tun, aber ich finde es sehr erfrischend.

Graf Fidi: Ja, das hat natürlich auch so ein bisschen was mit dem Albumtitel zu tun. Der Albumtitel spielt mit der Beschreibung "Angry Cripple", denn das kommt ja aus dem amerikanischen Wortgebrauch und beschreibt ja...

Matthias Klaus: "Der verbitterte Behinderte."

Graf Fidi: Diesen Satz oder diese Zeile nenne ich auch in einem anderen Song von mir. Und deswegen habe ich mir einfach mal gesagt: "Eigentlich bin ich ja gar kein "Angry Cripple", sondern ich bin halt der "Friendly Cripple", der nette Mann von nebenan, mit dem man was erleben kann."

Matthias Klaus: "Friendly Cripple" deutet darauf hin, dass das Behinderungsthema sich da so ein bisschen durchzieht durch das Album. Wahrscheinlich handeln da die meisten Stücke jetzt auf die eine oder andere Art davon? Oder gibt es "Love Songs" oder "Ich bin der Größte"-Songs oder "Ich habe ganz viel Koks in der Tasche"-Songs? Gibt es die auch?

Graf Fidi: Damit hast du eigentlich komplett alle Thematiken des Albums sehr gut zusammengefasst. Vielleicht bis auf letzteres.

Matthias Klaus: Ja. Ich bin im Bilde. Ja.

Graf Fidi: Ja, es gibt einen Liebes-Song und natürlich auch den obligatorischen "Ich bin der Beste" und ich habe aber gerade letzte Woche mal das Master des Albums - also alle fertigen Stücke sind jetzt seit letzter Woche fertig - ich habe es mal durchgekaut und auch so durchnummeriert, damit ich dann auch weiß, wie die Abfolge der Lieder sein soll. Und tatsächlich kommt dann irgendwie doch in, ich glaube, fünf von acht Songs irgendwie was mit Behinderung vor, wobei jetzt nicht bei allen ein roter Faden da durchgeht. Aber tatsächlich ist es doch schon bei mindestens der Hälfte der Songs das Hauptthema oder wird irgendwie thematisiert. Ja.

Matthias Klaus: Also doch eigentlich eine Menge aktivistische Texte auch.

Graf Fidi: Ja und vor allen Dingen, und das ist mir immer auch ganz wichtig und wird mir auch nachgesagt, da habe ich einfach auch Lust drauf, eben diese aktivistischen Themen auch immer mit einem Augenzwinkern zu versehen, weil ich merke einfach dieses verbittert sein oder verärgert sein, das bringt sowieso nichts. Und ich habe eine gewisse Funktion, nämlich Menschen auch immer wieder, die mit dem Thema "Behinderung" oder "Inklusion" noch wenig, bis gar keine Berührungspunkte hatten, denen einfach auch zu erklären, warum ich so bin wie ich bin. Und wenn es eben das tausendste Mal ist und wenn man das dann schlecht gelaunt tut oder im schlimmsten Falle verärgert ist, dann erreicht man die Leute eben nicht so gut. Deswegen sage ich mir immer, wenn ich das dann mache und so ein bisschen auf die Kacke haue und auf wütend spiele, dann in meinen Songs.

Matthias Klaus: Kommt das denn bei den Leuten an? Also anders gefragt: Man kennt ja Inklusionsveranstaltungen, 80 Prozent Behinderte, 20 Prozent Verwandte. Kommt das bei den Leuten an, die mit dem Thema nichts zu tun haben? Triffst du die auch beim Auftreten zum Beispiel?

Graf Fidi: Ja, meiner Meinung nach schon und sogar zweierlei, weil ganz oft höre ich dann eben auch so: "Boah, gut, dass endlich mal jemand diese Themen anspricht" - sowohl von Menschen mit als auch ohne Behinderung. Aber ich höre auch ganz oft den Satz: "Du, ich hatte vorher noch nichts mit Rap-Musik am Hut und hatte da vielleicht auch eine andere Meinung zu, so ein anderes Bild von der Rap-Musik. Und jetzt habe ich deine Sachen gehört und find die Sachen voll gut. Und ja, habe jetzt ne andere Einstellung zu Rapmusik und zu Rap-Musikern allgemein", und das finde ich sehr gut.

Matthias Klaus: Also du wirst schon so ein bisschen den Ruf des deutschen Raps da auch versuchen zu verbessern?

Graf Fidi: So gehe ich jetzt nicht an die Sache ran. Ich weiß ja, warum die nicht Rap hörenden Menschen dieses vermeintliche Bild haben. Das liegt ja auch so ein bisschen an der Berichterstattung. Aber ich kann auch nicht verhehlen, dass die breite Masse oder das, was momentan die Jugendlichen und jungen Erwachsenen am meisten hören, eben eine Form von Rap ist, die ich selber nicht vertrete und nicht verkörpere.

Matthias Klaus: Das wäre jetzt die nächste Frage gewesen. Wie fühlst du dich in dem Umfeld dessen, was da so an Rap da ist und was ja auch auf den Charts, zumindest, sage ich mal, bei Spotify sehr prominent ist? Wie fühlt man sich zwischen Raf Camora und Bones MC die gerne übers Angeben, über, über Geld, über Waffen rappen oder die auch frauenfeindlich sind, homophob sind, wie auch immer? Das gibt es ja alles im Rap und deutscher Rap hat ja diesen Ruf. Wie kommst du damit klar?

Graf Fidi: Recht gut. Ich bewege mich da in einem Spannungsfeld, wo ich damals angefangen habe. Erstmal wo es noch nicht so homophob und und konzentriert auf Geld verdienen und "ich bin der Geilste" war - obwohl der Geilste vielleicht schon. Aber das hat sich natürlich über die Jahrzehnte nun auch gewandelt. Meine Einflüsse waren damals "Die Fantastischen Vier" aus Stuttgart und dann sehr viele Hamburg Rapper, "Fünf Sterne deluxe" und die "Beginner". Und die gibt es. Stellenweise machen sie noch Musik, andere machen keine Musik mehr. Und dann irgendwann kam dann, sag ich mal, der Straßen-Rap noch dazu, der bis heute sehr dominant ist und prägend und eben auch wichtig ist für die Szene. Also mal ungeachtet der Dinge, die du gerade aufgezählt hast, die sicherlich auch nicht gut sind, ist es trotzdem ein Teil. Also wir können auf der einen Seite einen "Bushido" oder die "187 Strassenbande" oder eine "Katja Krasavice" haben und auf der anderen Seite haben wir einen "Cro" oder einen "Clueso". Und alle sind Teil von Rap und tragen dazu bei, dass, meiner Meinung nach, deutsche Rap-Musik oder Rap-Musik weltweit für mich zu der diversesten Musikrichtung überhaupt gehört. Und gerade Rap besitzt eben auch die Fähigkeit, weil Rap eben sehr textlastig ist, dass man unglaublich viel erzählen kann und mehr, finde ich, als in anderen Musikrichtungen. Und das ist ja auch das, was ich mir mit meiner Botschaft, die ich ab und zu versuche in Texten zu vermitteln, zunutze mache.

Matthias Klaus: Gute Gelegenheit für den nächsten Track. "Synonym für Scheiße".

Musik: Graf Fidi

Songtext:                                      

Ich hörte schon im Kindergarten wie sie zu mir Krüppel sagten

Worte die mich wie Schüsse trafen im Schützengraben

seit fast 40 Jahren

Hör ich immer noch die gleiche Scheiße

Als ob alle Dünnschiss haben

 

In der Schule zählte Hurensohn zum guten Ton

Da kam man nicht mehr weit mit Arschloch oder du bist doof

In der Zeit war oftmals Schimpfen wie Sport

Und auf einmal war Behindert ein geflügeltes Wort

häää

Ich bin behindert und ja ich bin ein Spastiker

Ich bin behindert bleib behindert das ist fakt Dicker

Ich bin behindert und mein rechter Arm, der ist verkrüppelt

Aber nicht gern Inbegriff von euren Kraftausdrücken

 

Ach, es war nicht so gemeint na dann sag es bitte nicht denn

man nutzt auch nicht das N-Wort oder macht darüber Witze

denkt mal drüber nach, bevor du unklug etwas sagt

Sätze wie was bist du denn für ein Spast

 

Bridge:

Bei solchen Sätzen fühl ich mich beleidigt

Denn ich bin ein Spastiker, kein Synonym für Scheiße

 

Hook: 2 x

Ich bin behindert bin behindert bin behindert bin behindert bin behindert

und kein Inbegriff für Scheiße

Ich bin behindert bin behindert bin behindert bin behindert bin behindert

und kein Synonym für Scheiße

 

Bridge

Du bist kein Spast

Ich bin ein Spast

Ich bin mehr als nur ein Spast

 

2. Strophe

Sohn von meinen Eltern

Bruder meiner Schwester

supergeiler Rapper

Tupac`s weißer Vetter

 

Vater meines Sohnes

engagiert vernetzter

Talentierter Texter

Einfach unersetzbar

 

Teammitglied auf Arbeit

Fragil und auch verletzbar

Aktiver Inkluencer

Graf Fidi mieser Rapper

 

passionierter Gamer

geschulter Pädagoge

so gut in jeder Strophe

nicht zugeknallt auf Droge

 

einfach unaufhaltbar

Live einfach der Wahnsinn

Meister mit der Sprache

Auf Dreirad durch die Straße

 

Teilzeitrollstuhlfahrer

Manchmal voll das Schwein

Meistens voll dabei

Bereit ich komm vorbei

 

Freund von meiner Freundin

Teil von meiner Gang

Manchmal leicht verpennt

Einfach nur ein Mensch

 

Mit mir selbst im Reinen

Immer auf der Reise

Behindert und kein Synonym für Scheiße


Matthias Klaus: Graf Fidi. Musste das einfach mal gesagt werden?

Graf Fidi: Ja, das musste es. Ich wollte das auch schon viel früher sagen. Es hat glaube ich vier bis fünf Jahre gedauert, bis ich es jetzt endlich geschafft habe, das so zu schreiben und daraus ein Lied zu machen, so wie ihr es jetzt gerade gehört habt. Und ich hoffe sehr, dass das Lied auf jeden Fall viele Menschen erreicht und auch über den Rap-Horizont hinaus. Weil ich das ein sehr, sehr wichtiges Thema finde. Ich hoffe, damit eben auch noch weiter Gehör zu finden und gesellschaftlich etwas verändern zu können.

Matthias Klaus: In diesem Lied ist ja ein Zitat drin, eine Referenz an einen alten Rap-Klassiker: "Spasst" von "K.I.Z." Hattest du mal Gelegenheit mit den Kollegen von K.I.Z. darüber zu reden, wie Sie das Wort "Spasst" damals benutzt haben?"

Graf Fidi: Wow! Also erstmal gut, dass das herausgehört wurde. Das ist vollkommen richtig. Das ist der Sample aus dem Song.

Matthias Klaus: Ja, ich habe Kinder.

Graf Fidi: Nein, ich hatte noch nicht die Möglichkeit mit den Jungs zu sprechen. Ich habe es jetzt auch nicht versucht. Ich habe die jetzt auch nicht angeschrieben oder deren Booking-Firma den Song zukommen lassen. Wer weiß, wenn - wir zeichnen jetzt ja gerade auf - wenn unser Gespräch erscheint, wird der Song draußen sein. Der erscheint jetzt nämlich am übernächsten Freitag, dem 13.03.22 und vielleicht erreicht das ja die Jungs von K.I.Z. Und vielleicht ergibt sich in naher Zukunft mal ein Gespräch.

Matthias Klaus: Du bist kein Vollzeit-Rapper. Womit verdienst du dein Geld denn eigentlich?

Graf Fidi: Ich verdiene mein Geld zurzeit als Angestellter bei der Lebenshilfe Berlin in einem Tagesförderzentrum für Menschen, die schwerst mehrfach behindert sind und vor allem auch Lernschwierigkeiten haben. Und dort arbeite ich als Medienpädagoge. Ich bin dafür zuständig, mit Klienten in unserer Einrichtung was mit Medien zu machen. Heißt, ich versuche mit denen ihren "Talker" neu zu programmieren, mit denen unterstützende Kommunikation zu lernen. Ich versuche meinen Mitarbeiterinnen "Leichte Sprache" beizubringen, weil ich auch Experte für Leichte Sprache bin. Und vielleicht ergibt sich auch mal in den nächsten Wochen und Monaten die Möglichkeit, mit ein paar Klientinnen einen Rap-Song zu machen. Das wird die Zeit zeigen.

Matthias Klaus: Kleine Nachfrage: Was ist ein "Talker"?

Graf Fidi: Ein Talker ist ein technisches Gerät. Die meisten sehen so ähnlich aus wie ein iPad. Man kann aber auch ein iPad zum Talker umrüsten. Ist so was wie ein Sprachcomputer, also da ist eine Bildschirmoberfläche und da kannst du dann eben durch Drücken auf verschiedenste Symbole Sätze bilden. Jedes Symbol ist einem Wort zugeordnet. Und wenn du dann verschiedene Bilder zusammen drückst und dann auf "Enter" beispielsweise drückst, dann spricht der Talker, also der Computer für dich den ganzen Satz,

Matthias Klaus: Wenn du selber nicht sprechen kannst?

Graf Fidi: Genau. Ja.

Matthias Klaus: Du bist "Inkluencer." Was ist das?

Graf Fidi: Ein "Inkluencer" ist eine Wortschöpfung aus "Influencer" und "Inklusions-Aktivist" und bedeutet, dass ich meine Social Media Präsenz dazu nutze, Menschen über "Inklusion" zu informieren. Und ja, alles was ich sonst noch so mache an freiberuflichen Aktivitäten.

Matthias Klaus: Verleiht man sich den Titel selbst oder kriegt man den irgendwo?

Graf Fidi: Den habe ich selber nicht erfunden. Ich habe mir den abgeguckt. Ich weiß nicht, ob es die "Aktion Mensch" war. Irgendjemand hatte das schon vor mir einmal ins Netz geschrieben und ich fand das so toll, dass ich das dann zukünftig immer für mich auch als Hashtag "geclaimt" habe, wie man das so schön im Neudeutschen sagt.

Matthias Klaus: Es gibt Forderungen nach Repräsentanz in den letzten Jahren, immer mehr in den Medien, Forderungen wie: Wenn es 12 Prozent Behinderte gibt, dann müsste es auch 12 Prozent Schauspieler mit Behinderungen geben oder Nachrichten-Moderatorinnen im Fernsehen, die im Rollstuhl sitzen. Findest du das vernünftig? Ich stelle mir vor, eine behinderten Rapper-Quote oder ist das Quatsch?

Graf Fidi: Na ja, gut, das eine, was du eben genannt hast, mit der Schauspielerei und mit der Fernsehnachrichtensprecherin, finde ich irgendwie sinnvoll. Und über die Quote der behinderten Rapperinnen oder Rapperinnen mit dunkler Hautfarbe und Behinderung habe ich jetzt noch gar nicht nachgedacht. Weiß ich nicht, habe ich gerade noch keine Meinung dazu. Ich finde es wichtig, dass mehr Menschen im öffentlichen Leben und auch in den Medien stattfinden.

Es geht ja nicht darum, dass behinderte Schauspielerinnen generell nicht viel stattfinden, sondern darum, dass sie, wenn es darum geht, eine Rolle mit einem behinderten Menschen zu besetzen, dass diese Person dann auch behindert sein soll. Und das sehe ich durchaus. Und ich fände es auch gut und richtig und sinnvoll, Nachrichtensprecherinnen zu sehen im Fernsehen, die eine sichtbare Behinderung haben oder von mir aus auch eine nicht sichtbare Behinderung. Aber sichtbare Behinderung eignen sich natürlich besser, um das für Menschen, die noch keine Berührungspunkte mit dem Thema haben, eher sichtbar zu machen.

Matthias Klaus: Hast du in deiner Rapper-Karriere erlebt, dass deine Behinderung, das Im-Rollstuhl-Sitzen, das Anderssein, das spastisch Bewegen dir mal zum Nachteil war? Gab es das?

Graf Fidi: Eine Situation gab es doch. Das ist ganz, ganz lange her. Da war ich dann mal bei einer Veranstaltung und wurde dann mit dem Rollstuhl auf die Bühne gehoben und habe dann da gerappt. Und dann kam jemand nach vorne und fühlte sich da persönlich angegriffen und der ungefähre Kontext oder Wortlaut von ihm war: "Du bist ja nur auf der Bühne, wegen deines Rollstuhls und wegen deines Fingers." Also andersherum gesagt: "Wenn ich die Behinderung nicht hätte, dann würde ich nicht auf der Bühne stehen." Aber das ist einmal passiert in meinem gesamten Leben. Und ansonsten muss ich sagen, zumindest mit Live-Auftritten oder mit meiner eigentlichen Performance ist es nie zum Nachteil gewesen. Das, wo ich glaube, dass es ein Nachteil ist, aber daraus könnten wir wahrscheinlich noch mal eine ganze Podcastfolge machen, ist die Tatsache, dass ich der Meinung bin, dass meine Behinderung insofern negativ ist, dass sich bis jetzt kein Label gefunden hat, was sich sagt: "Okay, wir nehmen Graf Fidi unter Vertrag und versuchen ihn als Menschen mit Behinderung oder als Rapper mit einer Behinderung uns um ihn zu kümmern und ja, ihn groß rauszubringen."

Matthias Klaus: Weil das Thema nicht Mainstream ist, vielleicht. Ja?

Graf Fidi: Ich glaube eher, weil Labels sich sagen: "Das ist nicht sexy genug. Also wir können das einfach nicht gut vermarkten. Wenn wir es jetzt aus der Popper-Perspektive sehen, dann ist es einfach nicht poppig genug. Was sollen wir mit jemandem im Rollstuhl, mit sechs Fingern?" Und aus der momentan angesagten Rap-Szene, vielleicht auch ein Typ im Rollstuhl, passt irgendwie nicht so in das "Street-Rapper-Image".

Matthias Klaus: Ich habe mich durch dein Werk gehört und natürlich kennt man da viele Themen. Gerade die Sachen, die um Behinderung gehen. Aber beim Thema Mobbing? Das hat mich doch richtig angefasst, weil ich glaube, dass wir Menschen mit Behinderung viele von diesen Sätzen einfach alle selber schon mal gehört haben. Gerade in der Jugend oder in der Grundschule. Das ist bei jedem anders, aber das passiert oft. Ist dir das alles passiert, was da drin vorkommt? Ist es deine Geschichte?

Graf Fidi: Eins zu eins. Gerade auch bei dem Song "Mitten im Leben" ist die erste Strophe eins zu eins autobiografisch. Also man muss dann immer sagen, da erzähle ich von Begebenheiten aus der Grundschule, wo ich ein kleiner Junge war. Das kann natürlich auch vielleicht ein bisschen verzerrt sein, Aber das ist so eins zu eins, wie ich mich daran erinnere. Genauso passiert, ja.

Musik: Graf Fidi

Songtext:

Früher haben mich die Kids verarscht

sie meinten, wenn ich laufe, sieht es aus, als ob ich zu viel saufe und mein rechter Arm

sieht aus wie von der 3. Art E.T. nach Hause telefonieren

ein Grund, warum ich nicht mehr raus ging, um zu spielen

 

ich hörte Sätze wie fang mich, doch du kriegst mich eh nicht

du bist so geworden, weil deine Mama mit dir als Baby

zu viel getrunken hat und Pillen hat sie auch genommen

das ist der Grund warum du mit vier Jahren erst laufen konntest

 

diese Art brachte mich wieder auf Touren

und ich verlor des Öfteren den Kopf wie He-Man Figuren

einer der Gründe warum ich mich dann mit den Jungen geprügelt habe

und Eltern meinten ich sei der geborene Prügelknabe

 

Ich versteh das nicht ich will doch nur dass ihr mich lieb habt

warum sind dann alle gegen mich auf diesem Spielplatz

wären wir Freunde wären Lücken gefüllt

stattdessen werd ich nur als Krüppel beschimpft

 

I. Chorus 2x

Das Leben kann gemein sein

alle sind sie gegen mich und ich denk mir immerzu

Das Leben ist ein Reinfall

doch morgen geht es wieder weiter und irgendwann

geben sie mir Beifall

 

Matthias Klaus: Ich sehe mich noch auf dem Spielplatz. Wenn du da so als achtjähriger blinder Junge rumläufst, dann gucken die anderen echt komisch und veralbern dich die ganze Zeit. Und nur die ganze Zeit: "Na? Wo bin ich!" Na? Es ist schrecklich.

Graf Fidi: Ich kannte die gleiche Situation mit "Los! Fang mich doch. Fang mich doch. Du fängst mich eh nicht!" Genau.

Matthias Klaus: Genau. Genau. Genau. Und jetzt rappt auch noch einer drüber. Fand ich richtig gut.

Graf Fidi: Danke schön.

Musik weiter:

Songtext:

Früher haben dich die Kids verarscht

sie meinten so ein Rollstuhl, der ist richtig arm und damit kommst du nicht in Club

und überhaupt wie willst du damit eine Frau

kennen lernen keine Chance sowas klappt doch nur im Traum

 

Du lädst ihn teuer ein in irgend so ein Edelschuppen

und nach dem Nachtisch sagt er lass uns Freunde sein

du bist so toll mit dir kann man chatten und quatschen

aber nein ich möchte keinen Sex mit dir haben
 

Matthias Klaus: Gibt es Themen aus der derzeitigen politischen Diskussion über Behinderte, die dich besonders bewegen, die du besonders wichtig findest, wo eine besondere Aufmerksamkeit sein müsste? Und wenn, welche?

Graf Fidi: Das sind so viele bzw. ich habe ja jetzt gerade auf dem neuen Album ein Lied, was, meiner Meinung nach, das erste Lied überhaupt ist - zumindest im Deutschrap - in "Leichter Sprache" über das Thema "Leichte Sprache". Das ist ein großes, weites Feld, was noch viel mehr Aufmerksamkeit benötigt und was ich erzählt habe. Ich bin jetzt Medienpädagoge in einer Tagesförderstätte, wo ich mit Menschen zusammenarbeite, die auch noch viel weniger sich selber eine Stimme verschaffen können. Und ich bin sehr gespannt, auf was für Ideen ich in den nächsten Wochen und Monaten kommen werde. Was sicherlich auch Quell der Inspiration für neue Songs sein wird, um vielleicht mit diesen Menschen, für diese Menschen auch noch mal neue Songs zu verfassen und für sie ein Sprachrohr zu sein.

Matthias Klaus: Das war schon fast "Echt behindert!" für heute mit Graf Fidi, einem Rapper, der sich deutlich und eindringlich mit dem Thema "Inklusion" beschäftigt.

Graf Fidi, ich danke dir für deine Auskunftsfreude und für die Zeit, die du hattest.

Graf Fidi: Ich danke dir. Schönen Tag.

Matthias Klaus: Noch ein Stück, und zwar das Stück, von dem wir gerade gesprochen haben. "Rap in leichter Sprache". Wie heißt es?

Graf Fidi: "Hey, hör mir zu"

Musik, Graf Fidi:

Songtext:

Schön, dass ihr Alle da seid, lasst uns miteinander reden

So lernen wir uns einfach besser kennen und verstehen

Doch manche Menschen haben Scheu, wenn etwas anders ist

Habt Vertrauen in uns und sagt nicht immer: Ihr könnt das nicht

 

Wir sind nicht dumm Wir wollen ernst genommen werden

Wir sind nicht stumm Wir sind hier um was zu lernen

Wir können viel und das wollen wir allen zeigen

Wir sind keine Kinder mehr, wir können das alleine

 

Habt ihr schon gehört: Es gibt ein Recht auf Teilhabe

Und das steht im Gesetz in schwarzer Farbe - der Wahnsinn

Sag es deinen Freunden und teils gern in deinem Netzwerk

Beeinträchtigte Menschen sind ein Teil dieser Gesellschaft

 

Refrain: 2x

Wir wollen auch alles verstehen und haben wir eine Frage

Ist die Lösung fürs Problem meistens die Leichte Sprache

Wir sind hier wie alle anderen, um teilzuhaben

DJ mach mal lauter heute wird ein geiler Abend

 

Es gibt so viele Arten von Sprachen

Damit wir miteinander reden und verstehen

Und egal, was alle anderen sagen

du bist hier und gehst deinen Weg

 

Du hast Ziele und willst zeigen, dass du mehr kannst

dass du mehr kannst als alles nur nach Lehrplan

Du hast ein Leben Du hast Freunde

Du hast Ideen Du hast Träume

und manchmal das Gefühl, dass man es dir schwer macht

 

Habt ihr schon gehört: Man sollte jeden Menschen respektieren

Ich hab Respekt vor dir, hab du Respekt vor mir

Sag es deinen Freunden und teils gern in deinem Netzwerk

Beeinträchtigte Menschen sind ein Teil dieser Gesellschaft

 

Refrain: 3x

Wir wollen auch alles verstehen und haben wir eine Frage

Ist die Lösung fürs Problem meistens die Leichte Sprache

Wir sind hier wie alle anderen, um teilzuhaben

DJ mach mal lauter heute wird ein geiler Abend

 

Speaker: Mehr folgen unter dw.com/echtbehindert.

 

Hinweis der Redaktion: Dieses Transkript wurde unter Nutzung einer automatisierten Spracherkennungs-Software erstellt. Danach wurde es auf offensichtliche Fehler hin redaktionell bearbeitet. Der Text gibt das gesprochene Wort wieder, erfüllt aber nicht unsere Ansprüche an ein umfassend redigiertes Interview. Wir danken unseren Leserinnen und Lesern für das Verständnis.

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